B.L.’s 9.2. – „Türen“ & „Papigno“

18.17
Türen
Wenn man zu Hause arbeitet, gibt es keine Arbeitszeiten als diejenigen, die man sich selbst setzt. Also habe ich beschlossen, heute um 18.00 den Laden dicht zu machen. Die restlichen 17 Minuten bis jetzt galten einer Zigarette, der Toilette, den Fensterläden und einem kurzen Gang durch die Blogs sowie der Postkontrolle. Manchmal sind Mails dabei, die für eine Beantwortung genausoviel brauchten, wie das Tagebuchschreiben oder das Zusammenstoppeln eines Gedichts (dies für den Absender, der mitliest… auch als Entschuldigung). Leider ist die Zeit begrenzt: der Haufen an Arbeit hat sich etwas in die Höhe gewölbt. Besser so, sagt der homo oeconomicus, so’n Mist, sagt der homo contemplativus. (Pardon, es ist wahrscheinlich Küchenlatein, also aus der Lamäng). Schon der Ausdruck „den Laden dicht machen“ ist eine Tür, wenngleich eine zeitliche. Den der „Laden“ ist ja eh’ immer dicht, insofern die Tür zu meinem Zimmer gemeint ist. Wenn ich vor dieser Tür stehe, weiß ich, ich betrete mich. Öffne ich die Tür, um das Zimmer zu verlassen, verlasse ich mich und betrete ein ganz anderes Reich. Durchs Haus gehend, weiß ich ungefähr, was mich hinter jeder Tür erwartet. Eine Anwesenheit (auch wenn diese Anwesenheit sich nicht körperlich ausdrückt), die sich in einem Gepräge ausdrückt, das jemand anderem gehört. Wenn man jung ist, mag man vielleicht alle Grenzen sich verwischen lassen, weil man seine eigenen Grenzen und die Grenzen des anderen noch nicht so gut kennt. Und ich spiele damit auf die Anfangszeit unseres Zusammenlebens an: Mein Schreibtisch stand im Schlafzimmer. Es gab zwar noch das Wohnzimmer, aber da stand ihr Riesenzeichentisch, ein Überbleibsel ihrer Studienzeit (Architektur). Alle Türen waren offen, außer wenn sie nicht da war. Und nahm die Arbeit überhand, schleppte das ganze Geräte des abends in die Küche, um dort weiterzumachen, wenn’s pressierte. Und alles verquickte sich: Arbeit, Haushalt, Liebelei. Ich war das alles zusammen. Aber die Türen wollten dennoch ihrer Funktion gerecht werden, zugemacht werden zu können, als wir eine Wohnung mit einem Zimmer mehr bezogen: das war dann mein Arbeitszimmer. Wo ich dann sogar tüchtig anfing zu qualmen, was sie nicht ertrug. Tür zumachen? Tür aufmachen? Und immer wieder mal (auch in der kleineren Wohnung) die Türen, die isolieren wollen, erlittenen Schmerz, die Auflehnung gegen Ungerechtigkeiten (ihre Augen-Probleme (und verfluchte ihre Mutter am Telefon)): das war dann hauptsächlich sie, die das tat. Türen sollen schließen. Scheint’s. Sollten sie zum Öffnen da sein, brauchte man sie nicht. Privare – privato = berauben, entziehen, vorenthalten. Eine Tür zu öffnen, bedeutet, eine Grenze zu überschreiten, die derjenige gezogen hat, der sie geschlossen hat. Und selbst wenn er die Türe offen gelassen hat, ist immer noch eine Schwelle da, die es zu überschreiten gilt. Und da Türen immer in einen Raum führen, mag man den Raum als das phantasieren, was man sich hinter dem Horizont zu finden wünscht oder fürchtet in der Angst, dennoch ins Leere springen. Türen sind allemal ein Wagnis.

Papigno
Gestern phantasierte ich hingegen über einem Immobilienkatalog, in dem allerdings fast nur Wohnungen zum Verkauf angeboten werden. Darunter aber war eine in Papigno. Papigno liegt dicht bei Terni auf einem isoliert stehenden Felsrücken. Ich seh’ den Ort immer an einer bestimmten Stelle aus dem Tal hervorragen, wenn ich die steile Straße von Terni in Richtung Marmore hinauffahre (also wenn ich nach Rieti muß). Die Umgebung ist allerdings nicht sehr reizvoll wegen des Umstands, daß die Wasserfälle von Marmore für die Gewinnung von Elektrizität benutzt werden. Darum ist das Tal um Papigno voller Umspannwerke und Hochspannungsleitungen. Dennoch war die Beschreibung dieser Wohnung enorm assoziationsträchtig!: „Terni, Papigno, herrliche Wohnung von 120 Quadratmetern, die ins Jahr Null [sic!] zurückreicht, mit unterirdischem Tunnel, der unter Papigno verläuft, restauriert mit ionischen Säulen, originalem Kamin und Statuen. Optimal auch als Museum und für Kunstliebhaber. – € 90.000“. Ich träumte mich in diese Wohnung soweit hinein, daß ich wie ein Embryo schon im Felsgestein von Papigno mich wie geborgen fühlte… Leider habe ich die 90.000 Euro nicht!

7 thoughts on “B.L.’s 9.2. – „Türen“ & „Papigno“

  1. türisch schön, dass sie ihre türgeschichte erzählt haben. ja, es ist richtig, die tür zu öffnen, gleicht einem wagnis. man findet nicht immer das vor, was man sich gedacht hat. leider gibt es nicht wenige zeitgenossen, die schwellen wie luft behandeln und ich fürchte, man ist zum teil selber schuld, weil man die tür vielleicht mit falschen signalen behaftet hat. so stolperts halt hinein.
    hinzu kommt, dass man vor eintritt auch nicht auf akustische rückmeldung des insassen eingehen kann, weil mensch mit musik (kopfhörern) im ohr nix hört. also doch einschließen… und wer geht ans telefon… ach, alles so alltagskram, der die türen umgibt. heute las ich noch bei salber, dass anais nin wohl eine ganz verbotene tür geöffnet hat! vor diesem hintergrund ist der alltagstürentrott lappalie. dennoch interessant, wie menschenhausarbeiter das heute regeln.

    mfg
    Biggy (herrn lampe das du anbietend)

    1. Liebe Biggy,
      danke für Ihren Kommentar, aber leider ist das Du für mich ein Scheunentor, über dessen Schwelle ich ungern stolpere und schreibe lieber:

      “liebe Grüße” statt “mfg”
      herzlich sagt das
      Bruno Lampe

    2. kein problem- ich duze im leben draußen eher selten- hier im netz läuft es meist umgekehrt. ich muss halt aufpassen, bei IHREN offenen schönen toren, mit dem interessanten lesestoff.

      lg
      Biggy (um die stolperfalle herumgehend 😉 )

      p.s.: herr herbst, ich wusste weder, dass ich SIE hier ebenfalls auf ein duzen hin angesprochen hätte noch dass SIE das sprachrohr von herrn lampe sind. ( auch nicht bös gemeint)

    3. Nicht, daß mir das Duzen fremd sei: es braucht… Vertrauen. Und Kennen. Was ein schnelles Du a priori herstellen will, ohne daß es da ist. Für mich ist das auch kein Problem, das zu sagen. — Und Herr Herbst (mit dem sich mein alter ego mittlerweile ja doch auch duzt (was auch seine Zeit brauchte)) ist durchaus nicht mein Sprachrohr. Ich nehme an, er denkt ähnlich wie ich. Und erkannte sich wieder. — Wie ich ja auch dem Sinn seines Kommentars durchaus beipflichte.

      unabgekürzte liebe grüße
      Bruno Lampe (stolpernd)

    4. @biggy. Ich lese in Der Dschungel selbstverstständlich auch in den Tagebüchern mit, die ich nicht (mehr) schreibe, aber doch vertrete, stelle Gedankenverbindungen her und reagiere bisweilen auf sie und mit ihnen. Nämlich dann, wenn sich etwas zumindest vemeintlich Allgemeines daraus kondensieren läßt. Bisweilen könnten sich scharf konturierte oder polemisch zugespitzte Sätze daraus gewinnen lassen. Mein Einwurf, auf den Ihrerseits nun wieder Sie reagierten, gehört eigentlich in die >>>> Paralipomena. Die Dschungel ist ja nicht als Plauder- und Meinungsstube gedacht, sondern alles, eben auch das Persönliche, werden als Material für weitere Dichtung betrachtet. Das – und n u r das – ist hier Programm. Es wird nur nicht von vornherein geschieden, sondern Akzidentielles (das in anderen Zusammenhängen, etwa dem Persönlichen, Substantiellstes sein kann) und Substantielles werden zusammengehörig gezeigt. Sagen wir: Schlamm. Nicht schon je “gereinigter” Geist.

      [Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (82).
      81 <<<< .
    5. zwillingsröhrchen als überschwängliche natur lasse ich mich stolpern und dahin fließen, wo es mir gefällt.
      das duzen/ nichtduzen ist mir wurst, schlammKÄTSCHEN im netz kenn ich noch nicht und das dschungliche credo werde ich schwimmend, stop/lernd(end), ernst und lächelnd hiermit kennen lernen. den substanziellen link fand ich klasse, herr herbst. dahinter steht einiges, was mich nachdenklich stimmt.

      lg an SIE beide
      biggy (mitunter schmutzig im geist, die ernsthaftigkeit IHRER standpunkte respektierend)

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