5.31 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Um fünf hoch, sofort angezogen und durch einen nassen, aber immerhin liegengebliebenen Schnee in die Väter-WG geradelt, um heute früh wieder ins Netz zu kommen, ohne mich übers Mobilchen einwählen und also Zusatzkosten tragen zu müssen; hier gibt‘s ja die stets geöffnete Verbindung und außerdem Kaffee. Drüben war alles noch ruhig, nein, einer der Zwillinge fing gerade an zu weinen, aber da zog ich schon die Haustür zu.
An sich, liebe Leser, hatte ich gestern Die Dschungel insgesamt in Ruhe und sie Katanga beobachten lassen wollen, aber dann kam >>>>> d a s , und da w a r dann zu reagieren <<<<.
Nun wissen mit Der Dschungel Vertraute, daß das Arbeitsjournal kein Ort für Polemiken ist, die Hauptseite Der Dschungel aber wohl, und sie erwarten längst mit Recht, Lord Greystoke oder der erwachsene Mowgli rückten, was dort draußen zugespitzt wird, hier zur menschlichen Mäßigung und vielleicht auch Erklärung zurecht. Sie sollen sich nicht täuschen:
Was ihn tatsächlich geritten hat, seinen bösen Artikel zu schreiben, weiß ich nicht, aber man kann ja mal erzählen. In jedem Fall sind ihm die Hintergründe und Entwicklungen nicht bekannt, und da er über etwas schrieb, dessen Zeuge er nicht war, k a n n er nicht wissen, daß sich der Kläger und ich auf diese Persische Fassung geeinigt haben und, hätten nicht Verlagsinteressen dagegengestanden, längst auch mit Rechtskraft geeinigt hätten. Aber in dem bekannten Prozeß war ich selbst nicht Prozeßpartei – der Prozeß gegen mich wird n u n erst, mit eingetretener Verjährung, aufgenommen, und er wird entsprechend auch enden, nämlich ziemlich gleich im Anfang März. Bei dem anderen, von der Presse begleiteten Prozeß, kam mir eine nur beratende Funktion zu; ich erschien auch selbst nie persönlich vor Gericht. Die Anwälte wollten das so. Daran hielt ich mich, weil ich wußte, andernfalls hätte ich flammende Plädoyers gehalten, ohne doch zu wirklicher Rechtsrelevanz je vorstoßen zu können. Allerdings legte ich ziemlich sofort meinen Vergleichsvorschlag vor, bereits vor drei Jahren, und der Kläger hätte ihm auch da schon zugestimmt. Der Vorschlag war, und ist es noch, nicht nur ästhetisch durchüberlegt und nimmt aus dem Buch weder Sujets noch formale wie inhaltliche Intensität, er schützt aber die Persönlichkeitsrechte des Klägers umfassend. Sie zu verletzen, ist meinerseits niemals intendiert gewesen; im Gegenteil hatte ich dem Kläger lange vor Drucklegung immer und immer wieder Partien des entstehenden Romans zugeschickt und schließlich angeboten, den Gesamttext zur Kenntnis zu bringen, bevor überhaupt ans Lektorat gedacht war. Daraufhin schrieb er mir, er wolle das Buch erst lesen, wenn es erschienen sei. Damit war, objektiv, von meiner Seite aus nichts mehr zu tun. – Der Vorgang ist in den Prozeßakten durch Emails bezeugt, hat aber dennoch für die Beschlußfassung des Gerichtes keine Rolle gespielt, denn, so der Vorsitzende Richter, es sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen, „sich mit dem exaltierten Mann noch zu befassen“.
Dies die Hintergründe zur Sache. Die Presse hat darüber wohlweislich niemals geschrieben.
Nun zu Wolfram Schütte.
In meiner Frankfurtmainer Zeit, zumal, als ich die DSCHUNGELBLÄTTER herausgab, die Der Dschungel ästhetische Vorläufer sind und sich damals >>>> sehr an Karl Kraus orientierten, war mir auch Wolfram Schütte, seinerzeit Feuilletonchef der Frankfurter Rundschau, in den Blick geraten. Und zwar dies besonders aufgrund eines hymnischen Artikels, den er über Werner Herzogs >>>> Cobra Verde (1987) geschrieben hatte und in der sich, bezüglich Klaus Kinskis, eine Was-für-ein-Mann!-Ideologie niederschlug, deren Verschwiemelung ich peinlich fand. Und worüber ich dann publizierte. Ich werde diesen Text in den nächsten Tagen in Der Dschungel wiederaufleben lassen. Er zeigt sehr genau die Kleinbürgerei, aus deren Atem die ganze Hymne gestrickt ist.
Nun erreichten die DSCHUNGELBLÄTTER zwar nie eine nennenswerte Auflage, aber sie wurden gelesen, und zwar querdurch den Betrieb. Sie nannten nämlich Namen; nicht etwa die von zu kritisierenden Autoren, sondern ganz umgekehrt fokussierte sich ein Dichter auf Kritiker und gab ihnen, was die austeilten, zurück: ein Auge um Zahn war die ästhetische Devise. Um es mit Anselm Feuerbach zu sagen: „Gibt dir einer eine Ohrfeige auf die Linke, so gib ihm zwei auf die Rechte.“ Diese Haltung ist bereits an sich eine Überschreitung, da im Literaturbetrieb das ungesagte, aber absolute Tabu gilt, daß ein Künstler aushalten müsse. Indes w a r die Ignoranz, die mir seinerzeit begegnete, nicht auszuhalten, und so spitzte ich meine Waffen. Sie sind bis heute immer schärfer geworden und besitzen nunmehr, im Arsenal des Netzes, eine mächtige Durchschlagskraft, da ich das Medium der Kampfführung besser als meine Gegner beherrsche.
Nachdem mein Wolfram-Schütte/Cobra-Verde-Artikel erschienen war, wurde ich von befreundeten Künstlern sehr gewarnt, die zumal Wolfram Schütte „als einen der besseren“ in Schutz nahmen; ich hielt damals einiges aus. Im Literaturhaus Frankfurtmain kam es dann zu einer Begegnung zwischen Wolfram Schütte und mir, einer fast freundlichen, denn diesmal hatten wir denselben Gegner im Blick; sozusagen gab es eine bedingte Allianz. Diesmal ging es um >>>> Karl Corino, der als seinerzeitiger Literaturchef des Hessischen Rundfunks wirklich j e d e n Autor feierte, der aus der damals noch existierenden DDR in die Bundesrepublik kam; entsprechend drückte er Renegaten in den Preisjuries durch. Es war allzu deutlich, daß er dabei einen persönlichen, wenn auch ganz sicher begründeten Haß auf das Ost-Regime ausagierte; und es war völlig wurscht, welche ästhetische Kompetenz solche von ihm mit Preisvergaben gefeierten Autoren hatten. Man muß sich die in den Endsiebzigern/Anfangachtzigern verteilten Preise nur anschauen, um sehr schnell zu bemerken, wie insgesamt es um politische Stellungnahmen ging und nicht um solche der Kunst. Während einer Veranstaltung warf ich Corino deshalb öffentlich Machtmißbrauch vor und sagte: „Sie wären besser Mitarbeiter des MADs geworden als Literaturchef“. Das fand Wolfram Schüttes Zustimmung, allerdings n i c h t öffentlich, sondern er kam im Foyer auf mich zu, um mir das zu sagen. Dies war unsere letzte persönliche Begegnung.
Aber Cobra Verde wurmte wohl weiter. Zwar ließ ich Schütte nunmehr in Ruhe – mein Freund Michael Rieth, seinerzeit bekannter Jazz-Kritiker für die FR und ein glühender, begeisterter Mann und Musikkenner, verwandte sich sehr für ihn; außerdem gingen die DSCHUNGELBLÄTTER dann ein. Doch meine Skepsis blieb – schon, weil ich Wolfram Schütte auf >>>> Hans-Jürgen Syberbergs schwarzer Wandtafel der Korrumpierten wiederfand; und Syberberg weiß, was er sagt. Aber ich wandte mich anderen, nur-ästhetischen Arbeiten zu. Kaum aber, über zwei Jahrzehnte später, war der Buchprozeß in Gang gekommen, erschien ein wütender Artikel Schüttes zu unter anderem mir und meiner Arbeit, der – wie so viele andere Feuilletonisten – meinen und Billers Roman wie einen einzigen nahm und über beide Bücher entsprechend den Stab brach. Ich dachte mir da aber noch: Laß Schütte reden, er will bloß eine Rechnung begleichen. Daß der Artikel von kompletter Unkenntnis zeugte, war ja nichts Überraschendes. So scherte es mich nicht; ich dachte: Der arme Mann muß jetzt >>>> für sowas schreiben, das ist schon Ausweis genug und macht fast Erbarmen.
Jedes Erbarmen hört aber auf, wenn einer nachtritt, zumal wenn er es zu einem Zeitpunkt tut, da sich eine menschliche Lösung abgezeichnet hat und darüber auch öffentlich gesprochen worden ist. Ich habe auf dem >>>> Tutzinger Symposion, auf das sich >>>> Schüttes Artikel zumindest indirekt bezieht, deutlich von der Übereinkunft gesprochen, die der Kläger gegen mein verbotenes Buch mit mir getroffen habe, und, um ein Zeichen zu setzen, aus der Persischen Fassung vorgetragen, die juristisch noch im rechtsfreien Raum schwebt. Damit habe ich mich bewußt gefährdet, aber diese Gefährdung war nötig, um zu bezeugen, daß und w i e weit ich bereit bin, hinter dieser – und nur dieser – Fassung zu stehen. Ja ich bin sehr viel weiter gegangen und habe öffentlich die Positionen der Kläger vertreten, gegen mein eigenes Partei-Interesse. Womit ich dachte, ein- für allemal klargestellt zu haben, daß es mir nie, und schon gar nicht im Fall des verbotenen Buches, um die Verletzung bezeichenbarer Figuren gegangen ist, sondern allein um einen Roman und seine Ästhetik, der sehr weitgehend von tragischen und wahrscheinlich notwendigen Verwicklungen einer obsessiven Liebe erzählt, die von den Liebenden beidseits bis an die Grenze des Erträglichen ausgelebt wird – eine unbedingte Liebe, deren Unbedingtheit an den Bedingtheiten persönlicher und sozialer Prägungen scheitern geradezu m u ß. Daß diese Unbedingtheit auch sexueller Natur ist und Sexualität dann auch durcherzählt werden muß, ist eine rein ästhetische wie moralische Konsequenz und nicht etwa ein auf Skandale angelegtes Unternehmen. Dies hat – außer einem – kein Kritiker des Buches jemals öffentlich auch nur angedeutet. Insgesamt sind die Kritiken von Vorbehalten und Meinungen durchzogen, die mit dem meist auch gar nicht bekannten Text-selbst nichts, mit meiner Person indes alles zu tun haben.
Nun schlägt Wolfram Schütte, in rigoroser Unkenntnis der berichteten Umstände, abermals zu, und nun ist also der Zeitpunkt gekommen, mich abermals des Mannes anzunehmen – obwohl ich ihn wirklich lieber vergäße und sein Ruheteil beim Titel-Magazin verzehren ließe. Ich hab da wirklich keinen Futterneid und gönne den Leuten ihre Rente. Wenn Wolfram Schütte aber meint, in einem Wolfszwinger wüten zu dürfen, weil er ihn für eine Schafskoppel hält, dann soll er auch die Fänge zu spüren bekommen. Da verliert das Mitleid mit dem Alter jeglich‘ Fundament.
Wolfram Schütte.]
Im übrigen werden Sie alle sehr bald selbst beurteilen können, was denn an den gegen das verbotene Buch erhobenen Vorwürfen wahr ist. Ob also die wenigen recht haben, die es für einen der-großen-Liebesromane-überhaupt halten, oder die vielen, die, ohne es zu kennen, von einem schmierigen Machwerk sprechen.
17.22 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Mit meinem Jungen in Bamberg; während der Fahrt war zu arbeiten nicht möglich, schon weil ich ziemlich müde, aber auch, weil das Kinderabteil voll war; überhaupt war der Zug – für einen Donnerstag – sehr genutzt. Allerdings sind auch Winterferien.
Jetzt kokelt das Bürschchen vor meinem Fenster auf dem Steinsims, der die Kiesterrasse begrenzt, mit Zündplätzchen und einem Plasteröhrchen herum und ist mßlos stolz drauf, daß er das darf. Indes ich mich erst einmal wieder um ds kümmre, was hier so anliegt. Post, der COUP usw. Leider liegt, anders als in Berlin, nicht die Spur von Schnee.