“Den Roman behelligt das nicht.” ANH über “Nadiana” von Marcus Braun.

[Geschrieben für und veröffentlicht in → Listen, 2000.]

Wie sich verschlingende und wieder lösende Fäden, so durchwehen die narrativen Strukturen dieses Buches ihren poetischen Raum. Ich habe mich von ihnen oder durch sie hindurchtragen lassen. Nur wer gleich nach dem Wegweiser ruft, findet aus dem Geheimnis nicht raus. Kritik etwa hat sich verfangen: Hubert Winkels bemängelte eine prinzipielle Schwäche des Romanes, der dem Leser alle Übersicht nehme… und merkte nicht, daß ihm selbst die prinzipielle BildungsSchwäche alle Übersicht nahm. So etwas mußt du schreiben, wo sich jede Hausfrau und jeder Banker drin sieht.
Marcus Brauns Buch ist gebildet. Henzes Telemania, Brauns Nadiana. Dabei ist die Hohe Frau des Surrealismus dem Gewebe – sagen wir: möglicherweise – erst nachher zugefädelt worden, als Arabeske der Textur. Insgesamt ist das musikalische Verfahren dieser Dichtung ohrenfällig, – um Dichtung nämlich handelt es sich (Paris, Beschwörung von unendlichen Möglichkeiten malerischen, eher poetischen Freitods, der Tod in allen Elementen, sozusagen vorsokratisch, durch das Feuer, in Lüften baumelnd oder durch die Lüfte rasend, zu schweigen vom Wasser), und nicht grundlos kommt sie wie eine ScriabinVariation daher. Doch wer, (selbst) wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Kritiker Ordnungen?
Marcus Braun hat ein Buch über die Eifersucht geschrieben und ist dabei nicht ein einziges Mal lächerlich geworden. So ungefähr, wie sich das Gefühl dem Befallenen in und durch die Leber frißt (im Roman wird deshalb viel getrunken), bleiben die Personen ungefähr konturiert, – und um sich am Riemen zu reißen, objektiviert die Erzählung ihr Ich in einen Er namens Rosenbaum. Den läßt Marcus Braun dann im poetischen Raum nach seinen Chimären suchen. Dieser erzählttechnische Kunstgriff ist vollendet: Er macht aus dem Objekt eines Satzes sein Subjekt, die Positionen werden füreinander durchlässig; und dennoch muß Braun auf die Kraft auktorialen Erzählens nicht verzichten. Aus diesem Widerspruch entsteht der enorme Sog des Buchs. Wir blieben auf der Brücke stehen, und ich spuckte ins Wasser, legte wie unabsichtlich einen Moment meine Hand auf ihren Hintern, sie ignorierte das, nichts Menschliches sei mir fremd, hörte ich jemanden sagen, ein Mann sah hinten aus meinem Kopf heraus, sah mich fragend an, über seinen Schultern endlos das Meer, nicht endlos, sondern bis zum Horizont in Höhe seiner Augen. Das ist elegant, denn Braun verwendet ein falsches Bild, um es durch Korrektur zu einem richtigen zu machen. Diese Bewegung vollzieht bei ihm oft auch der Kitsch… plötzlich lassen sich verbotene Sätze wieder schreiben sagen lesen. Nadja, verstehe mich nicht falsch, aber verstehe mich. Das klingt wie eine BlancheBeschwörung des greisen Meisters Aragon. Ohnedies werden bei Braun Zitate zum eigenen Stil; die Grenze zwischen den Autoren ist ebenso wie die zwischen Protagonisten poetisch aufgehoben, jeder Folgesatz befindet sich auf der Höhe des Zitierten – oder darüber. Derartiges ist nicht leicht, wenn als Zitatgeber Autoren vom Range Nabokovs fungieren. So ist das eigentliche Meisterstück Brauns seine schmiegsame Kunst, den eigenen Stil aus dem der Vorbilder in eine wirkliche Metamorphose heraus- wie hineinfließen zu lassen. Da klingt dann sogar Bernhard auf: Er hat immer wieder von einem Drehbuch, einem französischen Drehbuch, einem Drehbuch für einen französischen Kriminalfilm gesprochen, wie er überhaupt viel über Frankreich gesprochen hat, die allergrößten Menschen seien Franzosen gewesen, nie Menschen von hier, und eine gewisse Francophilität sei unbedingt notwendig, um hier zu überleben. Doch „Francophilität“ schillert in einem ganz unbernhardschen Doppelsinn. Alles ist in den Atem der Brauerei getaucht.
Marcus Braun denkt die Dichtung weiter und hält einer ins NurUnterhaltsame regredierenden Literatur die berückende Poetik eines schweifenden und andeutenden, zugleich spöttischen Erzählens entgegen. Ich möchte das einen postrealistischen Realismus nennen, einen des Wechsels Flirrens ungefährer Räume. Der Blick gleitet hindurch wie die Kamera Resnais‘ durch Marienbad.
In Brauns Vorgängerbuch „Delhi“, das alle Welt so gelobt hat –Winkels entblödete sich nicht, aus der Tatsache, daß es biografisch Brauns zweizes war, eine „Läuterung“ des Dichters zu erhoffen -, hatte sich noch wenig davon gefunden. Also wurde Braun schon als der Erneuerer literarischen Erzählens bejubelt, der er mit Nadiana nun ist. Das hat Witz. „Delhi“ war, um hoch zu greifen, funktional Brauns Lolita: geschrieben, um den Markt zu erobern. Was im groben und ganzen gelang. Aber der Markt erholt sich von Überrumplern heut schneller als damals, und wenn einer aus der Reihe tanzt, den die Pfiffikusse groß gemacht haben, machen ihn die Pfiffikusse auch schnell wieder klein. Für Marcus Braun ist das unschön. Den Roman behelligt das nicht. Der bleibt und ist schön.

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ANH, Berlin
September 2000

Marcus Braun
Nadiana
Roman
Berlin Verlag, Berlin 2000
ISBN 3-8270-0356-3
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