Zu Kongreß und Hauptversammlung des PENs Berlin. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 4. Dezember 2022. Darinnen zu Johannes Schneider, online der ZEIT, und seitenhieberlnd Thea Dorns. Mit Stephan Wackwitz, kurz auch Ralf Bönt und ein bißchen idiotischer Satzungerei, die auch funtionärstaktirisch gewesen sein könnte.

[Arbeitswohnung, 7.51 Uhr]
Noch liegt dünn Schnee, gestern abend waren die Straßen noch vereist, als ich, kurz auf einen alkoholfreien Cocktail, und er, Stephan Wackwitz, Wein in der sehr schönen Halle der Bar des → Telegraphenamtes eingekehrt, von der Jahreshauptversammlung des PENs Berlin heimradelte, Stephan etwas in Sorge um mich, weil die Bahnen so rutschig waren. Ging aber, ich fuhr auch völlig sicher. Es wird wohl leider schon wieder schmilzen, dieses unser Schneechen; die Wettervorausschau sagt Temperaturen um 3 Grad an, plus wohlgemerkt, und „leider“ umso mehr, als mir bislang nicht das geringste ausmacht, daß ich nicht heize(n kann). Obwohl meist das Oberlicht offensteht, wie im Sommer. Sie wissen doch, Freundin, daß ich verrauchte Räume nicht mag.
Jedenfalls das Telegraphenamt selbst ist eine Entdeckung, auch wenn sein Preisniveau meine Möglichkeiten leicht übersteigt; zu meiner Stammbar sollt‘ ich es besser nicht machen. Andererseits ist, wo ein Wille, stets auch ein Busch. Vedremo (oder auch nicht).

Zu diesem → PENBerlin-Kongreß läßt uns Johannes Schneider, der als Wohnsitz netterweise „Berlin Kreuzberg“ angibt — in Betracht einer bundesweit bedeutsamen und auch international beachteten Zeitung s c h o n eine linksliberale Kleinbürgerei, von der wir nicht einmal einschätzen können, ob sie nur auf dem Bedeutsamkeitserhuldungstrip des Autors fußt oder eine feine Rancune der Hamburger Redaktion gegen den Buntheitsunhold Berlin ist —, eine an sich recht treffende Einschätzung zuteil werden, und zwar auf ZEIT online; Parteilichkeit ist ja auch dann erlaubt, wenn sie eine nur Eingeweihten kenntliche Sottise enthält: Die von dem Herrn Schneider → in seinem Artikel „ältere Herren im Publikum“ genannten Personen, die über das erste „Panel“ des Kongresses schimpften, waren nämlich — ich. Die ebenfalls treffliche Formulierung „unter RTL-Niveau“ — performt wurde billigstes Unterhaltungsgesülze („ich habe mal bei einer Miss-Wahl mitgemacht, und da waren lauter große Blondinen“) —  war nämlich so sehr m e i n e, daß nächstentags, auf der Hauptversammlung, ein von mir geschätzter Kollege zu mir kam, um weniger fragend-zu-fragen als bestimmt: „Das kam doch von dir?“ Ich konnt‘ da nur lachen. Zum „älteren Herrn“ nun denk ich mir, im Geist bin ich allemal jünger als der junge Mann, der das unbeachtliche Handwerk der —  so nennt es → die Lee/hranstalt (man würd achso gerne meinen, selbstkritisch) selbst! — Institutsprosa „kreativen Schreibens“ in Hildesheim erlernt, etwas, das ich selbst nicht nötig hatte und gewiß auch nicht getan hätte, hätte es diese niedersächsische Grundschule des „Realismus“ zu meiner Zeit schon gegeben, bevor ich durch meine Ästhetik auf die Wanderschaft ging. Und nicht mal das hat er belletristisch zur wenigstens, sagen wir, Stiefmütterchenblüte gebracht. Möglich aber auch, daß der junge Mann mich sehr wohl erkannte, aber nennen nicht wollte – oder es nicht durfte; denkbar durchaus, daß etwa Iris Radisch eingekniffener Lippen gesprochen: „Dieser Name kommt hier nicht vor“. In jedem Fall ist der Artikel aber erhellend, ich empfehle ihn gern.
Die folgenden „Panels“ waren denn auch besser als das peinliche erste, nicht enorm, um einiges aber doch; man amüsierte sich auf zumindest akzeptablem Niveau. Ich mag dem Herrn Schneider hier weitgehend folgen. Doch nach den Gesprächen wurde es laut, was ich auch schon befürchtet hatte, musikantisch laut, wenn auch kaum musikalisch. Disko halt, zumal berlinfremd ohne Techno. Ich für meine Person, den Wackwitz im Schlepptau, nahm schnellstens Reißaus. Bin an den Ohren empfindlich.

Nun die Hauptversammlung gestern:

Es ließ sich, also mich, über manches ärgern, anderes trieb Wackwitz‘ und meine, Ralf Bönts manchmal auch, Spottlust vor sich her, doch insgesamt war das Treffen angenehm, oft klug, auch intelligent geführt; man begegnet einander auf Augenhöhe, Rancune ist nur selten zu spüren, Überheblichkeit gar nicht, von Thea Dorn vielleicht abgesehen, die —ich habe ihr nach Adorno gemünztes, eine Art fledderndes, an was frau nicht reicht, Pseudonym schon immer geschmäht; neben diesem nehme ich ihr nach wie vor ihr heute freilich vergessenes Buch über, sozusagen, Gary Bertiny übel, dabei liegt mir Nachtragen gar nicht (ermessen Sie daraus, liebste Freundin, die Schwere ihrer Verfehlung) — … – also abgesehen von ihr, die mich nur ansah, so vom Kragen bis zum Umschlag meiner in der Tat edlen Hose hinunter, und „Nadelstreifen“ abfällig sagte. Mehr miteinander sprachen wir nicht, ich hätte, was, auch gar nicht gewußt. Daß ich gut gekleidet war, spielte ansonsten keine Rolle, war im Gegenteil eher gern gesehen, vor allem von den Damen. Gilt für Joachim Helfer ganz genauso, der aber, seiner übrigen Haltung gemäß, stets auf Unerstatement bedacht ist. Ich meine das Wort „bedacht“ überlegt. Übrigens versteht er es, auf das brillanteste scharf zu formulieren, wenn ihn denn etwas wurmt — nicht selten auch das derart fein, daß nicht mal die Gemeinten es bemerken. So etwas hören zu dürfen, sind für mich in Worte gesetzte Blitze der Lust.

Eine ausgesprochen klare Versammlungsführung ließ uns alle gut durch die Diskussionen kommen; hineißend dazu die, mir selbst völlig abgehende, Besonnenheit Alexandru Bulucz‚, die mir auf die allersinnlichste Weise klarmachte, daß ich selbst, so gern ich auch dabeisein würde, im „Board“ genannten Vorstand dieses PENs zu suchen wirklich nichts hätte; ich wäre als eine Art so unbestimmter wie unbestimmbarer Zeitbombe da drinnen katastrophal. Dies ist nun wirklich meine Lehre aus den vergangenen zwei Tagen. Ich kenne, wenn ich mich ärgre, nicht Freund noch | noch Feind und schon gar nicht mehr gruppendynamische Psychologie. Für die Dichtung ist das gut, hingegen für Vereine und überhaupt Gemeinschaftsfunktionen ..? Das | ganz gewiß nicht. Dennoch ärgerlich, daß an Satzungsbestimmungen festgehalten wird, wo sie irre werden, momentan irre, nicht generell. Etwa wurde abgestimmt, Diskussionsbeiträge zu einem Punkt dürften nicht länger als eine Minute währen. Schon nach dem ersten Beitrag war klar, welch ein Unfug das war. Er durfte aber nicht zurückgenommen werden, weil halt abgestimmt worden war. Mich erinnerte das an Bauaufträge, die vor Jahren beschlossen, von denen aber – sie waren noch nicht ausgeführt – nach diesen Jahren deutlich wurde, welch Unheil sie anrichten würden. Mußten aber dennoch durchgeführt werden, weil halt einmal beschlossen. So geschehen etwa beim heute genau deshalb verschandelten Strandbad Mitte. Selbst die Architektengruppe, die damals den Zuschlag erhielt, wollte ihren Entwurf nicht mehr durchführen. Aber sie mußte, gesetzlicherweise. Nun gut, das ist Schilda Berlin. In meinem „Fall“ ging es um einen Zuwahlvorschlag, also der Aufnahme eines weiteren möglichen Mitglieds. Wurde satzungsgemäß abgeschmettert. Eine geradezu paragraphenblasige Dummheit. Michele Sciurba nämlich – ich → schrieb schon über ihn – , den Verleger von faustkultur, wollte ich im PEN sehen, immerhin des unterdessen wichtigsten Kulturmediums deutscher Sprache im Internet, sowie der edition faust, um dessen Zuwahl sich bereits Harry Oberländer, und zwar schriftlich zuvor, bemüht hatte, „zu spät“, wie es auch bei ihm schon hieß. Es wäre wiederum mir ein leichtes gewesen, ihn der Jahreshauptversammlung kurz und dringlich genug vorzustellen, um ihn aber sofort zum Mitglied zu machen. Niemand hätte hier opponiert. Aber nö, paßte in den Paragraphenkram nicht. Das sind dann immer so Situationen, in denen ich denke, was suche ich hier, also überhaupt in einem Verein? Wir brauchen Grandezza, nicht die Oberhoheit von Paragraphen, die d a wichtig sind, w o sie’s halt sind, nicht indes in Situationen, die ganz gewiß keine juristische Anfechtung nach sich ziehen. Andererseits kam es zum, ich schreibe mal vorsichtig, von meiner ästhetischen Warte aus witzigen Umstand, daß wir fürs „Board“ eine neue Beisitzerin wählten, die noch gar nicht Mitglied war; das wurde sie erst am Nachmittag bei eben diesen Zuwahlen. Ich muß, was ich hier schreibe, aber namentlich noch einmal überprüfen. Außer mir jedenfalls, wenn es denn stimmt, merkte es niemand. Oder niemand wollte es merken, auch und grade das Board nicht. Was ich verstehen kann; diese Frau an Bord zu haben (ich nenne ihren Namen bewußt nicht; sie hat mit dem heiklen Verfahren ja gar nichts zu tun), halte ich für tatsächlich wichtig, da sind mir Paragraphen egal. Eben das aber meine ich: Freiheit ist gefordert, Grandezza, ecco!, nicht Enge.

Anders als beim alten PEN (dem „PEN Darmstadt“, wie wir sagen) gilt meine Kritik aber lediglich zu starr befolgten Versammlungsformalien, dem Miteinander hingegen nicht oder kaum, indem sich spürbar – und zwar über die, ich formuliere mal, „ideologischen Gegensätze“ hinweg – Menschen begegnen, als Literatinnen und Literaten, und eben nicht Positionen, abgesehen allenfalls von LGBTQ-Aktivistinnen und -Aktivisten; doch selbst sie brachten ihre Einwände nahezu ohne die sonstige Aggressivität vor, was ihnen, den Einwänden, ein sehr gutes Recht gab; sogar ich spürte das, der, Sie wissen es, alles andre als ein Freund dieser der Zahl nach winzigen, doch ziemlich erfolgreich um die Deutungshoheit fechtenden Gruppierung ist. Und war dann später sogar bereit, mit ihnen an einer entsprechenden Arbeitsgruppe teilzunehmen – neugierig drauf, was ich da lerne. Nein, das ist kein Spott, nicht einmal Süffisanz. „Was willst ausgerechnet du da?“ wurde ich später gefragt, privat. Im übrigen spielt die Auflösung anthropologischer Grenzen in meinen Arbeiten schon seit dem Wolpertinger seit jeher eine Rolle; daß ich als, sagen wir, zementierter Macho gelte, zeigt imgrunde nur, daß meine Bücher nicht gelesen werden, jedenfalls nicht von vielen. Und manche derer, die sie lesen, tun es denn nur durch die Vorurteilsbrille.
Übrigens ist es ein Hintertreppenwitz unter, egal ob für die FAZ, informationsbehinderten oder böswilligen Skribenten, der PEN Darmstadt sei für den intellektuellen Austausch, hingegen der Berliner für die mediale Tortenschlacht da. Offenbar ist keiner von denen dort je gewesen; meist entzünden sie sich an Deniz Yücels Temperament, das in der Tat manchmal schäumt. Aber besser doch allemal das, als ins trockne Nudeln zu verfallen, ohne daß überhaupt schon Wasser im Topf wär, geschweige, daß es schon kocht. Ich liebe dieses Temperament, auch wenn ich bisweilen die Meinungen Yücels nicht teile. Sie sind in jedem Fall gelebt, und durchlebt überdies, indes bei seinen Kritiker sogar schon von „leben“ so richtig die Sprache nicht sein kann. Ja, er schießt bisweilen über, ganz genauso wie ich. Genau aber das gibt ihm den menschlichen Wert, einen hohen. Und daß er manchmal taktisch „trickst“, nun jà, er hat ein Ziel. Da ist mir, ob er von Dichtung etwas versteht, so ziemlich egal. Wir sollten im PEN Berlin nur darauf pochen, daß sie nicht hinten runterfällt. Doch dafür steht u.a. Bulucz ein, und mit ihm tun es viele. Wir müssen nur erst unsere Sprache dafür, eine dieser Vereinigung angemessene, finden. Und sind auch schon dabei.

Ja, verehrte Freundin, ich bin gern im PEN Berlin. Wir werden uns da häufig streiten, doch immerhin streiten, und öfter aber werden wir Freude aneinander haben. Und miteinander sowieso. Über die Positionen hinweg — als ein kleines Europa der Landschaften und eben nicht der Nationen.

Und jetzt werd ich weiter an den Triestbriefen schreiben.

Ihr ANH
12.10 Uhr

2 thoughts on “Zu Kongreß und Hauptversammlung des PENs Berlin. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 4. Dezember 2022. Darinnen zu Johannes Schneider, online der ZEIT, und seitenhieberlnd Thea Dorns. Mit Stephan Wackwitz, kurz auch Ralf Bönt und ein bißchen idiotischer Satzungerei, die auch funtionärstaktirisch gewesen sein könnte.

  1. Die Logik diese Journalisten Johnannes Schneider (Journalist hier eher als ein Schimpfwort gedacht) ist schon sehr eigenwillig im Blick auf die Cancel Culture: Das ist ist in etwa so, als kritisierte ein Publizist rechtsradikale Umtriebe und die Art, wie Rechtsradikale politisch Unliebsame physisch und mit Worten angehen, und ein anderere, ein Journalist sozusagen, entgegnete diesem Kritiker der Rechtsextremen dann: „Wieso, wo ist denn Dein Problem? Du kannst doch alles aussprechen hier! Wo wirst Du gecancelt und bedroht? Daß Du all das aussprechen kannst, zeigt doch, daß es gar nicht so schlimm ist.“ Eine abstruse Logik, wie wohl an diesem Beispiel schnell ersichtlich wird.

    Und wenn Autoren, wie etwa die unsägliche Margarete Stokowsik, einen offenen Brief an einen Verlag schreibt, der zudem noch ihr eigener Verlag ist, damit eine Woody-Allen-Biographie nicht erscheint, dann ist genau das Cancel-Culture in Reinform. Statt einfach selber den Verlag denn zu wechseln. DAS wäre wenigstens Haltung, die eben auch mal was kostet. Anstatt einfach anderen Leuten ans Bein zu pissen. Stokowski und Konsorten, die da diesen Brief unterschrieben haben, sind eben nicht irgendwer. Und all das wissen solche Leute wie Schneider ganz genau. Schon aus diesem Grunde widern mich solche Gestalten an. Kindermenschenjournalismus. Und das ist noch die höfliche Variante.

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