Christopher Ecker und Marcus Braun. Im Verdijournal des Sonntags, den 17. September 2017.


[Arbeitswohnung, 8.33 Uhr
Verdi, Rigoletto]

लक्ष्मी, gestern in der Küche, heizte bereits. Bei mir sind immerhin die Kohlen gekommen; vor November habe ich aber den Ofen anzuwerfen nicht vor. Und nachts mit dem Sohn gewhatsappt, der mit Freunden auf der Suche nach etwas zu essen durch Rom streifte.
Heute früh erst kurz nach sieben raus.
Hatte es gestern wieder einmal mit Verdis Macbeth versucht. Müßiges Stück wie der Trovatore: So schrieb ich‘s meiner Lektorin nach Wien. An Simon Boccanegra, Otello und vor allem den späten Falstaff reiche bei Verdi nichts heran – elenderweise, weil Verdi mir persönlich sehr sehr viel näher als der sich dauerselbst heroisierende Verklemmling Wagner.
Dann nahm ich mir den Rigoletto vor. Da packte mich plötzlich was, ein ganz bestimmter, ich will einmal sagen, tragischer Schmelz. Eigentlich nicht zu fassen, daß Verdi dieses Stück vierzehn Jahre vor dem elenden Macbeth schrieb. Allerdings fällt auch die Traviata für mich aus den Ödnissen heraus. >>>> Eigners Satz fiel mir ein, daß man im Leben nur vier große Romane schreiben könne. Vielleicht gilt das für Opern auch – wobei wir darüber streiten können, ob es der Romane, bzw. Opern nicht vielleicht auch fünf oder sechs sein können.
Jedenfalls höre ich den Rigoletto nun noch einmal. Fesselnd wird er ab der zweiten Szene – musikalisch; die Inhalte (der „Plot“) interessieren mich immer erst an zweiter, manchmal sogar dritter Stelle.
Tätiges Hören: Ein Begriff, den ich für mich selbst gerne einführen möchte. Benn spricht von Zusammenhangsdurchdringung. Sich ein Stück nach dem anderen erhören. So, wie sich >>>> Parallalie ein Buch nach dem anderen erliest.

Als ich mein Bett machte (baute), dachte ich darüber nach, was ich Ihnen heute schreiben solle, bevor ich mich an die Arbeit setzen würde (wobei Ihnen zu schreiben, auch schon eine Arbeit ist).
Zwei Bücher fielen mir ein, zu denen ich mich eigentlich erst äußern wollte, wenn ich sie gelesen hätte. Da ich aber erst mit >>>> Huxleys Kontrapunkt fertig werden möchte, annonciere ich sie hier schon mal vorweg. Es kann auch gut sein, daß ich über beide oder wenigstens eines eine Rezension schreiben werde.

Die Bücher stammen von zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich aber in der Leidenschaft für das, was sie tun, quasi aufeinanderlegen. Ich spreche (schreibe) von Christopher Ecker, über den ich mich in Der Dschungel schon häufiger geäußert habe, ausführlich siehe >>>> dort, sowie von Marcus Braun, zu dessen Roman Nadiana ich mich >>>> da geäußert habe – siebzehn Jahre ist das her!
Anders als Ecker gibt Braun nur selten Neues heraus. Ecker ist eine Austoßmaschine wie ich, Braun ein langsam schreibender, wägender, sozusagen undöblinscher Romandichter. Ich sprach mit Thomas Böhm auf dem vergangenen LCB-Sommerfest lange über ihn, bzw. über sein gerade erschienenes Buch:

Marcus Braun, Der letzte Buddha, Roman, Hanser Berlin 2017


Es sei schlichtweg nicht zu begreifen, daß es nicht wenigstens auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis gesetzt worden sei. „Aber du kennst doch die Szene. Die Leute lesen in die ersten zwanzig Seiten rein, verstehen nicht gleich, was das soll, und legen es beiseite.“
Dabei dräut schon ganz am Anfang ein Absatz:
Die Mönche kamen. Sie sangen. Er erkannte das Mantra nicht. Sie kamen mit geschmortem Hammelfleisch und einer Kanne Bier. Er hatte das Gefühl, noch nie einen Menschen gesehen zu haben. Er trank das Bier und aß den Hammel mit den Fingern, kalte Augen von Fett auf der Brühe, die er an seinem Gaumen mit der Zunge zerdrückte, ließ sich zurück in die Stadt, das Kloster führen, bekam Magenschmerzen, schlief irgendwann ein. Er hatte einen Alptraum, in dem er seinen toten Eltern mit einem kleinen stumpfen Messer das Fleisch von den Knochen der Beine schnitt.
Wen hier die kalten Fettaugen nicht anstarren, dem ist nicht zu helfen (auch wenn ich selbst sie, aus grammatischen Bezugsgründen, der Brühe nachgestellt hätte).

Das andere Buch, Eckers – erst hielt ich es für den von ihm angekündigten Erzählband – ist eine Sammlung von, sagen wir, Feuilletons. Die sind in den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts eine unterdessen fast durchweg zur Glosse heruntergekommene Kunstform gewesen. Bei Ecker werden sie zu Anderen Häfen:

Christopher Ecker, Andere Häfen, mitteldeutscher verlag 2017


Ich schlage eine Seite auf und lese:
Ein Roman ist eine Kugel, in die alles hineingepackt wird, was einem wichtig scheint. Rollen muß sie, die Kugel, rollen, rollen, als ginge es eine schiefe Ebene hinab. Blind. Vorwitzig. Eine Magd. Oder besser (Konfliktpotenzial:) die Tochter des Herbergswirts. Von Andreasberg sieht, wie sie sein Pferd striegelt, einen Rappen, weil ich das Wort mag, und das nasse Fell glänzt wie blaues Metall (…)
Ganz offenbar schiebt einem dieser Dichter in seinen Einschüben eine komplette Romantheorie ein & unter. Aber achten Sie darauf, mit welch lässig-frecher Eleganz! Ich werde jetzt wohl täglich eines dieser Feuilletons lesen. Sò, Vornahme. Es sind 87 Stücke, wenn ich mich nicht verzählt habe. Durch gerundet dreißig Tage wird meine Lektüre also knappe drei Monate brauchen und in dieser Zeit wohl immer mal wieder eine Erwähnung in Der Dame Dschungel finden. Vielleicht lese ich drin je zu Tages-, – und jetzt, au weh, lieber Ecker, ein Reim! – -beginn. Verboten, verboten. Die Germknödelanisten werden es hassen.

Jetzt aber muß ich denen Weitres geben. Dem es aber auch mir, dies nur nebenbei, immer wieder den Magen umdreht: wenn ich wenn ich vor die Stirn geknallt bekomme, daß die „Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft“ die Geschmacklosigkeit begangen hat und sie in alle uns denkbare Zeit weiterbegehen wird, sich nach dem Komponisten des Falstaffs zu benennen. Um zum Anfangsthema zurückzukehren, dessen Name heute das „Arbeits“ ersetzt hat.

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