[Erschienen in: DSCHUNGELBLÄTTER, Jahrgang 1 Nr. 2
Germinal (21. März bis 29. April) 1985]
Der technologische Rausch wird bereitet aus Furcht vor der allzu nahen Nüchternheit. So verschränkt der Übergang der Oper an die autonome Souveränität des Artisten sich mit dem Ursprung der Kulturindustrie. Die Begeisterung des jungen Nietzsche hat das Kunstwerk der Zukunft verkannt: in ihm ereignet sich die Geburt des Films aus dem Geiste der Musik.
Adorno, Versuch über Wagner
Das dem journalistischen Schmock vermutlich idiotisch vorkommende Zitat ist bereits 1939 entstanden, – im amerikanischen Exil nämlich und mit Blick wohl auf Hollywood. Gleichwohl bezeichnet es trefflich, was sich nun in Europa vollendet: Nirgends schlägt sich Entfremdung so maskiert und also bedenkenlos durch wie in den Cineastenmoden, sei’s Muttermythos (Paris, Texas), sei es die möglichst ‚makellos‘ verfilmte Oper. Noch die letzten Risse zwischen Publikum und Werk sollen verkittet werden, — die Zwischenräume nämlich, die einzig dem Denken noch Raum garantieren. Stattdessen möge EINhelligkeit sich herstellen und eben das zusammenbrechen, was übrigens schon Brecht nur scheinbar leisten konnte: die jeder Wertung nötige Distanz.
Kein Wunder also, daß in der zweimonatigen Filmreihe, die das Frankfurter Programmkino HARMONIE zusammen mit der OPER FRANKFURT im Nivȏse und Pluviȏse verunstaltet hat, eben jene Filme fehlten, die sich gegen den sich EINem »Publikum« andienernden Vorgang sperren: Godards Prénom Carmen etwa sowie des verhöhnten Syberbergs Parsifal.
Gegen Godard, der ja nun seine sehr eigene Meinung übers Publikum hat, mag sich im Moment noch niemand wenden, um so befeuerter stattdessen gegen den geschmacklosen Deutschen, der eben, weil er des Landes heimliche Lieben so innig studiert, diese auch un-heimlich denunziert: Kitsch, Esoterik und Mystik – Paraphernalien des Neuen Deutschen Wirtschaftswunders – werden dermaßen offensichtlich ausgestaltet, daß davon angeblich freie Filme der Heuchelei geziehen sind. Um so heftiger also die Ablehnung: Kritik und Publikum – ohnehin nur scheinbar verschieden, nur daß jene zynischer ist – wenden sich belangloseren Streifchen zu: Sauras Carmen etwa oder auch Herzogs zwar tatsächlich schönem, aber deshalb dem industriellen Kulturwerk auch ungefährlichen Fitzcarraldo, und die besagte Schleimspur« zieht nicht jener, der die deutsche Mythologie konstelliert, sondern es sondern gerade sie sie ab, die sie qua Technik löschen lassen wollen. Im Nachhinein, als Fälschung.
Führen Sie diese Symphonie mit versenktem Orchester im nachtdunklen Raume auf – (zum Beispiel aus dem Off) – und lassen Sie im Hintergrund Bilder vorbeiziehen – (zum Beispiel auf der Leinwand) – und Sie werden sehen. alle Levis und alle meine kalten Nachbarn von heute, die das arme Herz durch ihre Nichtempfindung peinigten, sie alle geraten in Ekstase.
Dieser Satz des Arier-Ideologen H.S. Chamberlain ist wie für jene Industrie geschrieben, der es – etwa am Beispiel der ‚vollendet‘ verfilmten Oper – auf EINdeutigkeit ankommt, d. h. auf die Identifikation von Publikum und Film oder – politisch betrachtet – von Individuum und Staat. Dahinter steht so deutlich wie kaum irgendwo sonst ein Moment der neueren Kunst, das zumindest gedankenterroristisch ist: ein ästhetischer Faschismus, der mit dem Monotheismus begann.
Es wird Syberberg vermutlich nie mehr verziehen werden, daß er eben dies illustrierte. Aber weil er es tat und obendrein das System denunziert – ein gefährlicher Nestbeschmutzer –, steht er mehr noch als Godard für die Möglichkeit einer emanzipierenden wie emanzipierten Oper, wie jener für die des entsprechenden Films. Nicht länger mehr kaschiert sich Illusion als filmische Realität, wird vielmehr selbst zum Thema der Oper und also — findet sie ‚im Kopf‘ statt. Der rückt vom Publikum fort und nimmt es nur deswegen ernst.
Nicht um Gestaltungen von Fiktionen und also Erweiterung der Realität durch Fantasie – Benn nennt es Zusammenhangsdurchstoßung –, sondern um die Reduktion der Gemüter aufs Vorhandene ist es dem Zeitgeist getan. Die erstrebte EINdeutigkeit ist synonym mit der vom Computer ausgedruckten Gehaltsabrechnung. Gefragt ist kurzweilige Illusion — nicht aber, eine solche real werden zu lassen. Vielmehr soll – nicht nur durch den Terror vorgeblich einfacher Bilder und also Zusammenhänge, sondern eben durchs Beglaubigen mittels direkt aufs seelische Zwerchfell sich legender Musik – aus Zuschauern das EINheitspublikum geschmolzen werden, ein widerspruchsloser Ovationsapparat. Die Geschichte – also die Clique derer, die sie machen – hat prächtige Vorarbeit geleistet, die ihr das HARMONIE- und Harmonie-Organ Strandgut zudem formuliert:
Bei der Oper. dem Hort der Gefühle, suchen die von den Fehlleistungen einer rationalistisch verplanten Lebenswelt Gebeutelten Zuflucht.
Daß dies nicht wahr ist, zeigt ein Blick aufs niedergehende Subventionstheater sehr schnell. In Wahrheit soll vorgeschrieben werden, wo die Zuflucht zu suchen sei derer, „die nicht mehr an die Omnipotenz der bürgerlichen Vernunft glauben.“ – Was sich in der Tat wie eine Darstellung des geistigen Lebens zu Beginn des deutschen Faschismus liest. Aber der Zugriff geht unverschämt weiter, – wobei es nicht etwa ‚Reaktionäre‘, sondern ‚progressive‘ Menschen sind, die solche Äußerungen tun: „diejenigen, (…) für die das Kameraauge die authentischen, unmittelbaren und eindeutigen Gefühle, die in der Oper einzig noch erhalten geblieben scheinen, wie unter einem Vergrößerungsglas auf Zelluloid bannt.“ Da verrät schon die Wortwahl die Absicht: Das ‚eindeutige Gefühl‘ ist eindeutig nur, wenn man’s identifizieren und also wie Ware entäußern kann, — ist das gelungen, kann man’s auch »bannen“, nämlich auf Zelluloid, wo es dann bleiben soll.
Nunmehr darf ausgeatmet werden. Unser Gefühl ist konserviert und kompatibel mit den screens. Den Kindern wird es mit Programmspielen besorgt, der heranwachsenden Jugend mit Pop und den ‚im Erwerbsalter Stehenden‘, soweit nicht aus beruflichen Gründen bereits regrediert, mit dem vollendeten Opernfilm.
Das magische Kunstwerk träumt sein vollkommenes Ebenbild, das mechanische.
Adorno, ebda.
Immer wenn ich diese alten Dschungelblätter lese freue ich mich, dass wir uns erst kennen lernten, nachdem Sie Ihrer literarischen Klinge etwas Humor hinzugefügt hatten. Herrjeh, wie gern haben Sie Ihr Skalpell geschwungen.
@Phyllis
Sie sollten es s o sehen: Ein junger Dichter (eine junge Dichterin) muß in der Jugend scharf sein, klar konturiert, positioniert; Milde (und damit auch eine ästbetische Gerechtigkeit) kann und darf nicht Anliegen junger Künstlerinnen und Künstler sein; andernfalls würden sie und ihr ästhetischer Ansatz notwendigerweise korrupt. (Es sei denn, wir ziehen uns gänzlich zurück.)
Aus dieser Falle entkommt von uns niemand. Erst nämlich, wenn unsere Radikalität unser Werkzeug rasiermesser-geschärft hat und die Formen stehen, können wir mit Nachsicht auf anderes schauen, sogar mit Liebe – und davon vielleicht später sogar etwas in unseren künstlerischen Kosmos mit hineinnehmen.
Allerdings haben Sie insofern recht, als meine Schärfe mich damals noch zusätzlich aus dem Literaturbetrieb ausschloß, also neben meiner familiären Herkunft und meiner schon damals deutlichen Ablehnung des seinerzeit so noch nicht genannten „Pop“ s. Es kommt ja hinzu, daß mein erster Impuls, wann immer ich Leuten mit Macht begegnete, tatsächlich unmittelbar die Attacke war. Macht-selbst (fast gleichgültig, wer sie hatte) galt mir als ein Übel, gegen das sich, wer sie nicht hat, sofort zur Wehr setzen müsse, weil sie einen sonst beugt und, beugt man sich nicht, vernichtet.
Ein wenig bin ich davon nach wie vor überzeugt; ob die Macht „rechts“, „links“, „liberal“ oder sonstwas ist, spielt keine Rolle: Sie korrumpiert immer. Indes bin ich mit einer solchen Haltung für soziale Strukturen ein prinzipielles Problem, besonders in institutionellen, also auch Zusammenhängen des Kulturbetriebs. Ich bin ein wie auch immer konservativer —– Anarchist. So etwas ist nicht mehr vorgesehen, hat in einer konsensdemokratischen Gesellschaft keinen Raum, und wenn ich ihn mir nahm, wurde es als Übergriff sanktioniert. Umso schärfer dann wieder meine Polemiken. Vergessen Sie auch nicht, daß diejenigen, die mich schnell zu mobben begannen, genau zu denen gehörten, die >>>> Karl Kraus bewunderten – aber freilich nicht, wären sie die Gegenstände seiner Polemiken geworden – wovor sie alleine geschützt hat, daß Kraus seit Jahrzehnten schon tot; wiederum ich inszenierte mich zwar ein bißchen so, war sein legitimer Nachfolger aber schon deshalb nicht, weil ich ein poetisches, nicht zeitkritisches Konzept verfolgte und nach wie vor verfolge.