[bei Jenufa]
Die Moderne, die antrat, es auszulöschen, holt nun das Original ausgerechnet da, wo das Cloning täglicher Umgang ist, in die Wirklichkeit zurück: nämlich im Netz. (Ob auch in die Wirksamkeit, wäre zu sehen.) Denn es ist Sites und Weblogs eigen, daß sie sich ständig verändern. Das ist nicht nur Reflex, sondern tatsächlich ein Spiegel der materialen, zeitlichen Wirklichkeit, wenn auch dort (bislang und soweit wir wissen) nur in e i n e Richtung: Voran. Auch das wandelt sich im Netz. Das Weblog nimmt für die Konstruktion die Irreversibilität zurück und ist prinzipiell unabgeschlossen: Wie in einem Kunstwerk, das ja nur den Anschein der Sukzession herstellen kann, sind frühere (erzählte) Ereignisse von späteren determiniert. Kunst will Irreversibilitäten aufheben; diese potentielle Kraft hat (als Erzählung) das Weblog auch. Frühere Einträge können ständig umgeschrieben und neu verlinkt werden, wodurch sie je andere semantische Höfe („Bedeutungen“) erhalten, ja manche fallen weg oder behaupten ihr Gegenteil, und zwar so g u t, daß es das Gewebe nicht aufribbelt. Also verändert sich wiederum auch dieses. Der Erzählrahmen (frame) flimmert und flirrt, das unbeliebte „framing“ ist nur ein, wenn auch schlagendes Indiz. „Die mythische Welt befindet sich in einem gleichsam flüssigeren, wandlungsfähigeren Zustand als unsere theoretische Welt der Dinge und Eigenschaften“, schreibt Ernst Cassirer. Ich habe an anderer Stelle schon angemerkt, daß die Gegenwart (das bedeutet: ihre Wahrnehmung… also Vorsicht!) ihre materiale Sicherheit verliert. Zugleich aber entsteht – in M o m e n t e n, im N u – das Original genau deshalb wieder, weil jede Vor-Lage im Nachinein variiert werden kann und wird. Lädt sich jemand, sagen wir, heute um 20 Uhr diesen Eintrag herunter, dann kann der sich eine Stunde später bereits gewandelt haben, so daß der ausgedruckte Text zum Original wird, von dem sich das „ursprüngliche Original“, welcher Ableitung oder Ordnung auch immer, entfernt. Der Ausdruck wird zum Unikat und brauchte eigentlich nur noch eine legitimierende Signatur (einmal angenommen, nicht x andere Blogg-Spieler sind auf denselben Gedanken verfallen, was demokratisch-wertmindernd wäre). Das ist der Übergang eines literarisches Textes in die, sagen wir, Lithografie
Der literarische Blogger wird genau deshalb für die Veränderung auch älterer Einträge sorgen, sie möglichst immer präsent halten, vielleicht sogar Metamorphosen-Programme schreiben oder schreiben lassen, da irgendwann das Einsichts-Feld zu kompliziert sein wird, um natural damit umgehen, es „handeln“ zu können. Der Vorteil ist zudem, daß sich auf diese Weise die alten Einträge immer wieder vergegenwärtigen und neue Leser finden, vielleicht auch Wieder-Leser, so daß sie in günstigen Fällen noch einmal und wiederneu verlinkt werden. Das Gewebe gärt. Es teilt sich. Vielfach.
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[BWV 593; 25.10.]
herbst & deters fiktionäre
was poetologisch… Was poetologisch wünschenswert ist, ist übrigens unter Bloggern verpönt: Altes ‚korrigieren‘.
Denn:
– X bloggt Satz A.
– Z reagiert auf Satz A in seinem Blog, zitiert und verweist.
– Jetzt ‚korrigiert‘ X den Satz nach A1.
– Für W sihet es jetzt so aus, als habe Z den Satz von X absichtlich verfälscht oder missverstanden. (manchmal wird beom Ändern das Datum angepasst, wie hier im Blog, manchmal auch nicht…)
Man stelle sich das in einem Gespräch vor: Man könnte etwas ungesagt machen oder nachträglich ‚um-meinen‘.
Das wäre unschön.
Mag sein. Dennoch. Ich korrigiere ja 1) nicht den definierten Sinn, sondern die Formulierung und ergo den „semantischen Hof“, und 2) werden diejenigen, die auf meine sich ständig wandelnden Überlegungen reagieren, sehr schnell mitbekommen, daß es mir um das Flüssige, sich Verschwimmende, Wandelnde geht und also entsprechend oder gar nicht kommentieren (das „Entsprechende“ birgt so und/oder so einen enormen Reiz); 3) kann und will ich auf Gebräuchlichkeiten keine Rücksicht nehmen, sondern es kommt mir immer darauf an, die Essenz eines Mediums zu nutzen und künstlerisch in Bewegung zu setzen. Weshalb ich niemals oder höchst selten Arbeiten mehrfach verwerte, es sei denn, ich modifiziere sie jeweils auf den neuen Kontext, d.h. schreibe sie um. Oder ich „probiere“ sie in einem neuen Medium, etwa hier, „aus“. Das kann schiefgehen, dann r i c h t e ich, sofern ich die Möglichkeit dazu habe. Da ich mir wegen meiner Kommentare in anderen Weblogs Nachrichten zuschicken lasse, sollte sich dort etwas geändert haben, um nämlich meinerseits reagieren zu können, unterstelle ich das anderen Bloggern auch. Das Ding, daß ich hier tanze, ist ein (auch mich selbst) herausforderndes S p i e l.
Und es gibt offenbar auch „Genießer(innen)“: …etwa wie >>>>> hier (in den Kommentaren).
ich glaube… … ich klinge kritisch, wo ich nur informieren und erklären will. oder, hm, kontextualisieren.
und, weil ich grad gespannt bin: ich hab jetzt eine Wiki-Struktur auf meinem Palm-Handheld, mal sehwen, wie das wird… jetzt ist alles mit allem verlinkbar – auch ‚on the run‘.
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So, jetzt mach ich mich mal fertig zur Abreise: Literaturforum Oberschwaben – einer der weigen internetfreien Kulturräume 😉
Keine Sorge, ich versteh das nicht falsch. Nehmen Sie ein Buch von mir mit, dann kann sich Oberschwaben mit den Anderswelten verlinken. Lacht.
Ich glaube, das wird kein leser je nachvollziehen können, was für ein arbeitsaufwand dahintersteckt. dies ist einerseits anerkennend, andererseits kritisch gemeint. zumindest wird jeder geschriebene text in dieser beschriebenen fluktuation zu etwas nicht mehr greifbarem, wird somit zu etwas ephimerem, da nicht festzumachen. insofern führt in letzter konsequenz dieses medium zu NICHTS. es bedarf deshalb meines erachtens außermedialer eingriffe, um dennoch festzuhalten. andernfalls wird das (Ihr) weblog zu einem ständig sich wandelnden und geschichtslosen (und kein kalauer kann sich jetzt behaupten à la „gesichtslos“: au contraire) spiegel Ihrer selbst.
Nachvollziehen kann ich aber auch das: die simulation des seins und werdens und vergehens. ein lebender körper. ein leser sieht nur dies und das. wie ein mensch im leben nur dies und das sieht. insofern veranstalten Sie eine performance: nichts dauerhaftes.
Denkansätze meinerseits. vor lauter theorie weiß ich gar nicht mehr so recht, wo ich mich einhaken soll. also tu ich’s da, wo der haken sichtbar ist, nämlich rechts unter der rubrik „recently modified“.
P.S. Aber auch Julia sprach zu Romeo: „Tu parli di niente“.
… und starb. Verzeihung, das ist die rhetorisch nahste Replik. Die aber zugleich Ihren kritischen Einwand stützt. Insofern ist sie nicht nur Wortspiel.
Dennoch, ich bin mir nicht sicher, ob Sie recht haben. Denn Sie antworten ja auf einen Eintrag, der knapp drei Wochen zurückliegt. Das in der Tat höchst arbeitsaufwendige Experiment Der Dschungel ist in dieser Form grad 69 Tage alt; Ihr Einwand (wenn auch von mir gelockt) bezieht sich also auf etwas, das – auf ein Jahrhundert gerechnet – bereits vor 25 Jahren geschah. Ich weiß, mein Widerspruch ist wohlfeil. Aber er schafft Leser, übrigens auch spürbar der materialen B ü c h e r. Und er öffnet ästhetische Eingriffsräume, von denen ich noch vor einem Jahr kaum träumen durfte. Daneben versuche ich, hier mit dem alten, theoretisch stets gut durchdachten, praktisch aber allenfalls schludrig umgesetzten Konzept einer „Netzliteratur“ E r n s t zu machen. Wohin das führt, ist mir selbst noch schleierhaft. Was mich leitet, ist ein poetischer Instinkt, – und ich fuhr immer falsch, wenn ich ihm nicht vertraute.
Ich gebe aber zu, daß ich vor ein paar Tagen Verlagsgespräche über eine eventuelle Buch-Realisierung der in Den Dschungel enthaltenen Texte führte – zumindest einer Auswahl. Dem Buch würde dann eine CD-ROM beigegeben, die das genaue Weblog enthält und über die sich jeder, der mag, ins Netz einlinken könnte, so daß weder Binnen- noch Außenlinks verlorengingen.
Was mir bei der Buchform reizvoll erscheint, ist der Umstand, daß ich im Text selber nur den Text werde laufenlassen, ohne jeden Verweis, auch ohne jeden Hinweis darauf, wer postete… eine flirrende Fläche von Gedankensplittern. Traditionell betrachtet, wäre das dann eine Art Literarisches Tagebuch, ungefähr nach der Manier Kafkas, indes mit der interpretativen Emphase, die Benjamins Passagenwerk so furchtbar schön macht.
Ist eine Idee, ist auch wieder rasend hybrid, ich weiß. Aber das ist mir sowas von Wurscht.
ich folge dem gedanken. und der letzte satz erklärt alles. nur so kann man sicheres ufer verlassen. – grenzen entgrenzen. [ich für mich an mich über mich: inselchen-ich guckt sehnsüchtig wieder ins weite und wirft einen stein ins wasser, um zu sehen, wie weit die wellen wellen: haifischflossen fürchtend.]
Es sind nicht die Flossen, die ich zu fürchten habe. Doch sehr wohl die Haie. Aber nicht die blauen, nicht die Tigerhaie, die offen angreifen, sondern die kleineren, die sich drauf spezialisiert haben, angeschlagenes Wild dann noch einmal zu schlagen… und zwar von hinten, weshalb sie so gerne, nämlich in Folge eines Prozesses gegen Bücher, nachtreten. Man kann es ihnen aber eigentlich nicht verübeln, denn auch sie sind hungrig.