Ein Teppich, der in die Tiefen langt. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (9)

[bei Hugo Alfvéns Dritter Sinfonie, historische, quäkende Aufnahme… als gäbe es etwas zu jammern.]

In seinem (meiner Arbeit gewidmeten) Aufsatz “Postmoderne Prosafantasien” schreibt Wilhelm Kühlmann: Auch das sich in erzählenden Figuren multiplizierende, spiegelnde und kommentierende Ich bleibt jenseits des Textes angewiesen auf seinen schreibenden Regisseur, der zwar die freien Schaltungen seiner Werke simulieren kann, gleichwohl aber nur in der Logik der Fiktion, nicht als schreibender, lesender, auswählender und komponierender Autor mit seiner imaginären Textwirklichkeit verschmilzt. Das immer wieder bemerkte ‚Sich Einschreiben’ des Autors in den Zusammenhang seiner Schriftwelt ist ein manieristischer Kunstgriff, etwas Unerwünschtes zum Verschwinden zu bringen, und sollte nicht unkritisch in wissenschaftliche Diagnosen übernommen werden. Die Frage nach dem Autor und dem Autorbewußtsein des primären Kommunikationszusammenhangs, nach seinen Intentionen, Beeinflussungen, Strategien und Finten bleibt legitim. Das philogische Argument s t i c h t, allerdings nur auf der Textebene eines Buches. Darüber hinaus vergißt es zweierlei: 1) Der Autor schreibt sich in den Text nicht als autonomes Subjekt ein, sondern vorallem auch als ein Bündel aus Triebstrukturen und anderen unbewußten Motivationen. Wie er warum welche Fährte, bzw. Schreibstrategie verfolgt, ist nicht rundweg willensgesteuert; ich bin sogar davon überzeugt, daß der autonome Anteil an der Entstehung eines K u n s t –Werks ausgesprochen gering, nämlich ein illusorischer ist (insofern auch die Autonomie des Subjekts eine illusorische ist). Der Vorwurf des Manieristischen wäre als einer der „maniera“ gegen das Kunsth a n dwerk zu halten, also die technische Seite eines Werkes; da aber hat er nichts zu suchen. 2) Eben diesen unbewußten Prozeß versucht der Autor „herauszugraben“. Kunst sei Archäologie heißt es in meinem verbotenen Buch. Die ausgebuddelten Scherben werden im Werk neu zusammengefügt mit den am Grund der Psyche gefundenen Knochen Flaschen Zigarettenkippen (weshalb sich übrigens eine gezielt-politische Intention des Romans verbietet; sie würde das Verfahren verfälschen). Etwas ähnliches versuchte die „écriture automatique“ der Surrealisten, nur daß dort die bewußten, funktionalen Wirkanteile der Fantasie gänzlich weggeblendet werden sollten, während sie der postmoderne Schreibansatz mit den anderen vermitteln und sie dabei gleichwertig behandeln will: Selbstorganisierende Dynamiken werden ins künstlerische Kalkül auch auf die Gefahr hin eingebunden, daß sie es sprengen.

Das Weblog nun öffnet die Entstehung eines Kunstwerks auch außerpsychischen, „ander“psychischen, also sogar physiologisch fremden Wirkfaktoren; die Unwägbarkeiten werden größer. Es wird sozusagen auch zur Seite gebaut. Der Vorwurf einer „Beliebigkeit“ trifft das Verfahren deshalb nicht, weil er unterstellt, es antworte alles auf alles. Was nicht der Fall ist und auch nicht sein k a n n, da nur solche eine Frage verstehen, die auch ihre Sprache beherrschen. Man reagiert auf wahrgenommenen Sinn, nicht auf Geräusche; reagiert man auf sie dennoch, dann weil man ihnen, und sei es aus Daffke, einen Sinn g i b t.
Wie die Arbeit an einem Roman vertikal in die Tiefe geht, sich also psychisch „erdet“, so will das literarische Weblog in die Horizontale und überläßt die „ander“Tiefe den Betreibern jener nächsten und fernen Sites, die sich einem andocken (wie man selbst sich ihnen andockt). Das strukturell (nicht prinzipiell) Neue für den Leser ist dabei, daß er, sofern er „mitspielen will“, sowohl seine Fährten auswählen muß als selbst Teil des Textes wird, den ich, netzadäquat, ein „Gewebe“ nenne. Es ist in den Rahmen der Matrix gespannt, für die mir auffällt, daß sie, sofern endlich, das Problem des universalen Dahinters repliziert: Was ist ” h i n t e r” dem All?

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herbst & deters fiktionäre

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