Was darf die Literatur?

Mit ziemlichem Ekelgefühl zurück. Mir gehen diese Diskussionen über das verbotene Buch unterdessen gegen allen Geschmack. Die Leute diskutieren ein Etwas, ob non pro oder kontra, das sie nachweislich nicht gelesen haben (und nicht lesen können sollen); ich selbst kann nicht mit Belegen reagieren, kann nichts unterstützen und Gegenbeweise führen, weil mir untersagt ist, aus dem Buch – und sei es erinnernd – zu zitieren. Und mitten zwischen den Zuschauern sitzt ein Korrespondenzanwalt der Gegenseite, fährt die Juristin auf dem Podium an, es sei unerträglich, was sie da sage, wendet sich dann direkt an mich. Er spricht von meinem hölzernen Sprechen (er meint, daß ich mich argumentierend wände; was stimmt, aber deshalb, weil ich bei jedem Satz aufpassen muß, daß er weder Werbung noch Zitat ist). Dann spricht der Mann von der Atmosphäre eines Gerichtssaals, die sich im Raum hergestellt habe. Er möchte mich in die Enge treiben und fragt, als wäre er Richter, völlig direkt: „Haben Sie die betreffende Person darstellen wollen? Seien Sie ehrlich!“ Die Juristin auf dem Podium zischt mir zu: „Antworten Sie nicht darauf!“ Doch nicht zu antworten, wäre psychologisch vollkommen falsch, wäre geschwiegenes Eingeständnis, wo es doch einzugestehen nichts gibt. Als müßte der Künstler für ein sehr gutes Buch auch noch auf die Knie. Der Anwalt im Publikum weiß das genau, spürt meinen Konflikt, er ist sehr gut, will mir an die Ehre. Vielleicht läuft in seinem Jackett ein Bandgerät mit.
Schon deshalb erwidere ich der Juristin flüsternd: „Selbstverständlich antworte ich.“ Und unterbreche den Moderator, der uns alle von diesem brüchigen Eis weglocken möchte, unterbreche ihn heftig und erwidere entschieden dem Anwalt im Publikum: „Nein.“ Denn ich hab ja tatsächlich nicht, was e r meint, darstellen, schon gar nicht jemanden denunzieren, sondern einen guten Roman schreiben wollen. Das schließt, will ein Buch K u n s t sein, jeglichen Naturalismus aus. Schon aufgrund einer Eigenbewegung in der Textur verwandelt Kunst ihre Gegenstände in Kunstraum. Und der läßt allenfalls bedingt Analogien, nämlich Ähnlichkeiten zu, die auf ihre Ursprünge zurückzuführen der Anstrengung poetischer Interpretation bedarf.

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