Ganz gut, Filme auf DVD am Laptop zu sehen; die Nähe zum Screen ersetzt die Größe der Leinwand durchaus, und was im Kino über Verbundenheit mit anderen funktioniert, massenpsychologisch sozusagen, was aber auch stört, ist durch die Intimität des Zuschauens hergestellt. Man könnte solch eine DVD ja nicht einmal zu zweit betrachten; allein der Kopfhörer vernetzt einen fast dringlicher mit dem Bild, als es die Kinoatmosphäre vermag. Einen Film auf diese Weise zu betrachten, bekommt etwas von einer Versuchsanordnung, einem Experiment. Also habe ich zwischendurch, wenn ich mir etwas notieren wollte, eine der Schreibtischlampen angeknipst, gekritzelt, die Lampe wieder ausgeknipst. Da rechts von mir auch noch der Standcomputer lief, der meine email-Eingänge und die Zugriffe auf die Website protokollierte, kam ich mir wirklich ein wenig wie in einem physikalischen Labor vor. Das paßte trefflich zum Film.
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Der ist ein wenig enttäuschend. Nicht, weil er geradezu nasezeigend auf den Dritten Teil verweist, der erst ab Dezember anlaufen wird, und sich nicht einmal die Mühe macht, die erzählte Sentenz wie jede Folge einer auch nur halbwegs fairen Fernsehserie provisorisch abzurunden; das wußte ich ja vorher. Sondern weil die computersimulierten Tricks den beschworenen „atemberaubenden“ Illusionismus nicht leisten. Ich habe dergleichen schon öfter gesehen, in der Terminator-Serie etwa, bei soviel Rummel erwartet man einfach mehr. Das Schaltpult in der Denkzentrale der (letzten) Menschenstadt – die bezeichnenderweise „Zion“ heißt, sich also auf den Jerusalem-Mythos stützt, wozu „der Erlöser“ Neon gut paßt – ist gar aus Spielbergs Minority Man abgekupfert.
Interessant an dem Streifen ist etwas anderes, nämlich: wie sehr die Angst vor den Maschinen, die Angst also vor etwas, das in seiner permanenten, doch unausweichlichen Präsenz, der zugleich enorm Unbegriffenes wie Unbegreifliches eignet, so daß sie die Form einer Naturbedrohung annimmt, – wie also diese Angst bereits kollektives Symptom geworden ist. In der Videothek standen gleich zwanzig Kopien des Films, und nur noch zwei waren da. Die von den Menschen ganz offenbar gefühlte Drohung hat den Charakter der alten mythischen Angst vor den Göttern und führt in mythische Abwehrmuster zurück. Man darf nicht vergessen, daß das Christentum ursprünglich mythisch war, weshalb es sich so gut mit den Völkermythen verbinden konnte, seien es germanisch-keltische, seien es indianische, seien es schwarzafrikanische. Der ganze Parzival ist märchenhaft-mythisch. Bis zum katholisch überbauten Voodoo ist diese Bewegung nach wie vor virulent und findet nun, in der „aufgeklärten“ Welt der Industrienationen, Eingang in die technischen Fantasien. Das sind völlig andere als in den Fünfziger/Sechzigern, als jemand wie Hermann Kahn (er prägte entscheidend die Atomkriegsfurcht meiner Jugend) die allen Ernstes glückversprechende Utopien niederschreiben konnte.
Die neuen, „unaufgeklärt“ wirkenden Mythen hngegen sind pessimistisch, sie mißtrauen der Technik. Zugleich halten Filme wie dieser dagegen. Denn was Cronenbergs eXistenZ ganz absichtlich zurücknimmt, so daß jeder eine eigene Haltung finden muß, stellt The Matrix wieder her, bzw. affirmiert es: das Erlösungsversprechen wird in seinen alten Rang zurückversetzt und der Mensch auf der mythischen Haltung festzementiert. Hoffnung wird aus der Einzelmacht fortgenommen und auf einen „Führer“ projeziert. Dazu paßt – als psychodynamische Gegenbewegung – die Beschwörung des Körperlichen durchaus, die The Matrix II sehr suggestiv in der großen, einer orgiastischen Technoparty nachempfundenen Massen- und Vereinigungsszene gestaltet, in welcher ein Volk zu einem Einzig-Ganzen verschmilzt. Das hat durchaus etwas Faschistoides, doch da es ungerichtet ist, bleibt es menschlich. Zumal es ja auch um sinnliche Verschmelzung geht, nicht um eine politisch abstrakte, für die Ideologien (etwa der Rassegedanke) implantiert werden müssen. Es ist bezeichnend, daß die Szene antiken Mysterienritualen nachempfunden ist. Ich kenne dergleichen aus dem Kitkat-Club: Es handelt sich nicht um eine Filmfantasie, sondern um Realität. Das Bedürfnis scheint, nach den Umsatzzahlen des Filmes zu schließen, ebenfalls eines Hunderttausender zu sein.
Nach wie vor ist es bezeichnend, daß dieses zunehmend wachsende neue mythische Bewußtsein – letztlich ein Akt der Selbstverteidigung – außer in ANDERSWELT noch nirgendwo einen hochliterarischen Reflex gefunden hat. Jedenfalls nicht in Deutschland. Ja, daß man ihn hierzulande nicht wahrnehmen w i l l.
Daneben ist der Film „natürlich“ widersprüchlich: Gegen das beschworene Fleisch steht doch zugleich die „Waffe“, wenn auch die, die man kontrollieren zu können meint. In einem interessanten Dialog zwischen einem Senator und dem „Erlöser“ wird es denn auch thematisiert. Ich war ganz erstaunt. Die Ambivalenz der „Maschine“ stand schlagend im Raum und im Ohr. Daß das über einen Gottesplan, der hier bezeichnenderweise „Programm“ heißt, geradezu sektisch wieder zugekleistert wird, gehört in die Logik von Hollywood-Produktionen, – ebenso wie der massive, störend zitathaft wirkende Einsatz von asiatischen Kampfszenen, militärische Gloriolen und die unvermeidliche Massenkarambolage von Autos, die bei den US-Amerikanern ganz offensichtlich den seit „Erschließung“ des neuen Kontinents mythisch gewordenen Umgang mit Pferden paraphrasieren.
Spannender Satz übrigens: „Erst wenn du mit jemandem gekämpft hast, kennst du ihn wirklich.“ — Wie wahr!
(komme vom Kommentar hier)
Ich lese hier heraus, daß Du Mythen oder Denken in mythischen zusammenhängen als eine Fluchtreaktion zur Vereinfachung komplizierter und eher zufälliger Zusammenhänge ansiehst. Stimmt das?
Um beim Film zu bleiben: Mir hat gerade das Ende des zweiten Teils besser gefallen als das des ersten. Natürlich ist der Erste der beste der drei Filme, aber das kommen des Erlösers als Auflösung, die beinhaltete, daß nur eine überhöhte Figur, die nicht von dieser (oder der anderen) Welt ist, eine fundamentale Veränderung auszulösen imstande wäre, war mir einfach viel zu doof.
Matrix 2 klärte nun erfreulicherweise auf, daß genau dieser Mythos auch nur eine Form der Kontrolle ist. Das erwartete Paradies, das „Christus“ Neo herbeiführen sollte, kam nicht, Morpheus Religion wurde als Lüge entlarvt. Was für eine Wohltat, die der dritte Teil besiegelte, indem dort das bestmöglichste Ergebnis zustande kam, das die Exposition erlaubte: Ein Waffenstillstand und eine Welt, in der sich ein „Matrixmensch“ eventuell auch dazu enscheiden kann, sich nach Zion abzusetzen. Letztlich also eine Gleichstellung der verschiedensten Lebensentwürfe, ws ich für eine ganz wunderbare und erstrebenswerte Utopie halte.
Dramaturgisch mögen Teil 2 und 3 sicher größere Unsicherheiten zu haben, aber letztlich will ich keine Filmrezension abliefern, sondern über Mythen schreiben.
Ich halte Mythen nämlich für eine sehr gute Einrichtung, denn sie können eine spirituelle Wahrheit, eine virtuelle Realität, also eine eigene Matrix sein, in die wir uns einloggen und innerhalb derer man in den mythischen Planspielen persönliche Erkenntnisse finden können. Wichtig ist – aber das hat nichts mit Mythen zu tun, sondern ist einer Gefahr jedweder Matrix, auch der um unser biologisches Leben herum – daß man den vorprogrammierten Lebenswegen nicht folgen muß (aber kann und darf – ich halte niemanden, der sich dafür entscheidet, Familie gründen, Haus bauen und Lebensversicherungen abzuschließen ist der Sinn des Lebens, für dumm).
In einer mythisch geregelten Umgebung kann man seine persönliche Moralität prüfen und seine Willensfindung erproben und ich bin überzeugt, daß das auch der hauptsächliche Grund für die Existenz von Mythen ist.
Realismusdebatte. Der Mythos ist tragisch.
Ich lese hier heraus, daß Du Mythen oder Denken in mythischen zusammenhängen als eine Fluchtreaktion zur Vereinfachung komplizierter und eher zufälliger Zusammenhänge ansiehst. Stimmt das?
Nein. Ganz im Gegenteil. Ich glaube zum einen nicht an zufällige Zusammenhänge, sondern an einen komplett durchgearbeiteten, jedenfalls prozessualen und eben matrischen Nexus, und zum anderen sind Mythen nur dann eskapistisch, vereinfacht man ihrerseits sie – wie das in vielen Erzeugnissen dessen geschieht, was unter Fantasy läuft. Tatsächlich haben Mythen eine ganz ähnliche Komplexheit wie Realität, das heißt: Sie sind hochgradig ambivalent und – um ein Lieblings-Schimpfwort rezensierender Germanisten zu verwenden – ‚überdeterminiert’. Genau deshalb eignen sie sich zur modellhaften Erkenntnisfindung. Sie sprechen wirkliche (=wirkende) Zusammenhänge in Bildern aus, zumindest an. Zusammenhänge wirken auch dann, werden sie nicht verstanden: Eben deshalb ist der Mythos ins abendländische Denken nach einer langen Phase eines fetischisierten Rationalismus wieder zurückgekehrt, selbstverständlich auch in seinen niederen und banalisierten Formen, etwa als Harry Potter. Da ist er nämlich aushaltbar. Was sich vom eigentlichen, „Umgemach wirkenden“ Mythos eben n i c h t sagen läßt. Genau deshalb halte ich aber gegen die sehr einfach strukturierte Welt von „The Matrix“ entschieden Cronenbergs „eXistenCe“.
(Auch die von Ihnen am Beispiel der zwei weiteren Matrix-Sequels angedeutete Möglichkeit friedlicher Ko-Existenz ist letztlich bereits eine Banalisierung. Es ist durchaus denkbar, daß beide Welten (ich verschränke im ANDERSWELT-Projekt erheblich mehr als zwei; potentiell sind es unendlich viele) einander ausschließen – und dennoch beide das gleiche Existenzrecht haben. Dann wird sich eine von beiden – oder werden sich beide – schuldig machen. Genau das ist Mythos: Er ist unauflösbar mit Tragik verknüpft.)