Argo. Anderswelt. (71).

„Da hab ich dich ja wieder“, murmelte Zeuner in ihrem neuen Arbeitsraum, in den sich wie in alle anderen Räume, und zwar trotz der strikten hygienischen Maßnahmen, die CYBERGEN hatte ergreifen lassen, der Hundegeruch wie eine untergründige Warnung ingrimmig mit dem Duft von Räucherstäbchen mischte. Zeuner brachte jeden vierten, fünften Tag ein neues Päckchen mit: Damaszener Rose, Königliches Jasmin, Nag Champa, Sandal, Benzoe Supreme, seltener Patchouli. Lerche wußte nicht, wovon ihm eigentlich mehr schlecht werden sollte; wann immer Zeuner einen solchen Duftstab loskokeln ließ, eigentlich ständig, stöhnte er bloß noch leise auf. Er bekam Kopfschmerzen von dem Zeug. Der Geruch nach verbranntem Amber haftete mittlerweile in jedem seiner Anzüge. „Können wir nicht mal Raumspray nehmen?“ „Damit’s hier stinkt wie auf Klo?“ Beide hätten Sie einiges dafür gegeben, in getrennten Zimmern zu arbeiten; daran war seitens der Firmenleitung aber nicht zu denken. „Daß wissen Sie doch selbst, Frau Zeuner, daß die wertvollste Naturalie, über die wir heutzutage verfügen, der Raum ist“ – eine lässige, wenn nicht zynische Replik, sicher; tatsächlich kann sie aber als einer unter viele Wirkfaktoren angesehen werden, aufgrund derer die Beelitzer Firma und mit ihr zahllose andere Unternehmen die Kolonialisierung des Cyberraums eingeleitet hatten. Auch Ungefuggers Traum einer datischen Realwelt ist insofern nichts als ein absichtsvoll inszeniertes simulatives Experiment. Man mußte wissen, wohin so etwas führt. Und war über die Widerstände erstaunt, die sogar einen wie Goltz dazu brachten, sich mit, kann man ja sagen, dem Erbfeind zu koalieren. Während der Goltz von vor drei Jahren, die Goltzin also, zusammen mit Amazonen und Dörflern dem erwachten Achäer zuhörte, hatte der heutige Goltz das SILBERSTEIN wieder verlassen, ich hatte ihm nachgeblickt, als wäre sichtbar gewesen, wie er in die Lappenschleuse trat und in seinem Koblenzer Arbeitszimmer herauskam, wo er sich an den Schreibtisch setzte und einen Moment lang das Gefühl hatte, es sei vielleicht ein wenn auch unbestimmtes Hoffnungszeichen, daß Odysseus, wenn er denn Nullgrund tatsächlich verantwortete, nur Biomechanoiden in den offenen Kampf hatte eingreifen lassen und nicht etwa ihm verbundene Freischärler. Offenbar war das Mißtrauen nicht nur gegen Schwarze groß, sondern es wirkte auch eines gegen die Simulation, wirkte unterschwellig genauso in den Porteños, so sehr sie auch an den technologischen Segnungen h i n g e n, ja ohne sie imgrunde gar nicht mehr denkbar waren. Trotzdem leitete sie – leitete zumindest ihre Seele, jedenfalls noch, dachte ich – eine verschwiegene Sehnsucht nach dem Osten, der für kybernetische Störungen, für all die Verzweigungen Überschreibungen Metawelten – bislang kaum anfällig war. Vielleicht fand sich auch darin ein unbewußter Grund für die allgemeine Diskriminierung der Schwarzen. Vielleicht ging es imgrunde gar nicht um Arbeitskräfte, sondern um eine ganz anders konturierte, basale Unsicherheit. Die Schwarzen waren noch zu nah an dem, was man selber gerne gelebt hätte und eben nicht mehr zu leben wußte: Unmittelbarkeit. So gesehen war auch Nullgrund unmittelbar, möglicherweise war gerade das der eigentliche Skandal, den die terroristische Katastrophe für Buenos Aires bedeutete. Dafür genau standen symbolisch die Schwarzen. Sie schienen geradezu für das der Ausweis zu sein, was man verloren hatte (was sie allerdings, so gesehen, selber gern verloren hätten und über kurz oder lang auch verlieren würden). Selbst Deidameia hatte noch dieses – Cordes zögerte einen Moment an seinem Küchentisch, dann schrieb er ‚bäuerische Element’.

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