Hausbacken hell: Puccinis „Manon Lescaut“ an der Deutschen Oper Berlin.

Es gibt so etwas wie Schwulenästhetik. Sie hat ihre Berechtigung und in künstlerischen Bereichen, oft, eine große ästhetische Autorität. Nur lasse man sie nicht auf das Geschlechterverhältnis von Mann und Frau los, das selbst in seiner liebenden Form immer auch Kampf ist. Sonst kommt so etwas dabei heraus wie an diesem Sonntagabend die „Manon Lescaut“ an der Deutschen Oper Berlin.

Vorweg: Die Musiker entschädigen sanglich und spielend für beinahe alles. Wie Renato Palumbo, offenbar recht kurzfristig hinzugekommen, das Orchester phrasieren läßt, wie er unvermutet einen nur spürbaren Vorhalt, eine Dehnung ins Melos bringt, wie er die Tristan-Anleihen klingen läßt – und wie ihm die Musiker dabei folgen, das hat mehr als nur Klasse. Mit Adina Nitescu ist eine Manon gegeben, die sich, als sie ihren Applaus entgegennimmt, spürbar erschöpft hat – wie gerade wieder zurückgekommen aus einem Jenseits, in das sie sich sang; und Andrzjej Gobbers Des Grieux’ hat ein halb werthersches, halb troubadöses Feuer, das in den Höhen nur ganz selten einmal scharf wird; meistens gelingt ihm die berührende Rücknahme des Schmettertons ins Innere. Denn das darf man ja nie vergessen, damit trat des Grieux eigentlich an: Sich nicht vergaffen zu wollen. Scherzen, tändeln und, sagen wir’s ruhig: vögeln sehr wohl… aber l i e b e n? Doch ihn erwischt es wie seine Manon, die, weiblich durchweg, diesen heiligen Wahn zugunsten eines Macht-Eros’ flieht – und doch nicht anders kann als zurück in die Arme des Geliebten zu drängen. Gegen alles, was sie eigentlich wollte. Genau dafür steht diese Oper des jungen, so hitzigen wie kalt kalkulierenden Puccinis ein.

Genau das überspielt die ältliche Inszenierung Gilbert Deflos nun aber. In einem aufgechicten Exterieur hüpfelt sie von einer Uneigentlichkeit zur anderen. Das Bühnenbild ist sehr hell, das ist schon mal was, es ist nicht mit Ausstattung zugestopft. Aber die Personen agieren darin wie aufgezogene Puppen, denen man anmerkt, daß ihr Popenspäler sie nicht versteht. Also gelingen ihm die besten Szenen dort, wo es nicht so drauf ankommt, wo traditionelles Ritual ist wie bei Straussens Frühstückszene Rosenkavalier. Da ist Monsieur Deflo ganz bei sich und bei den Sängern: wo gehopst wird und gescharrt mit dem Füßchen. Die Tanzeinlage ist denn auch konsequent homoerotisch samt Küßchen aufs Wärzchen an der Brust. Sowas fällt dem Regisseur auf das entzückendste ein. Sonst aber läßt er seine Sänger sozusagen an der Rampe stehen. Wenn das Stück vorschreibt, daß sie hampeln, hampeln sie g u t, das wird niemand bestreiten. Wenn aber nicht, dann hampeln sie dennoch. Die Chöre stellen sich auf und stellen sich ab. Die handelnden Personen treten herbei wie von einem Gong gerufen, der die Pause endet. Das ist nicht immer schlimm, aber eben bloß deshalb nicht, weil sich zum Beispiel die Deportationsszene Akt III nicht vernichten l ä ß t. Dazu ist die musikalische Faktur nicht nur zu ausgefeilt, sondern auch mit Seele viel zu angefüllt. Egal, ob man die zu deportierenden Damen Faxen machen läßt, die den Regisseur offenbar leiten.

Das Schlimmste aber ist die Gestaltung des – tadellos singenden – Königlichen Steuerpächters (Carlos Krause). Er ist M a c h t m a n n und sollte die auch erotisch geballte Ausstrahlung eines solchen haben. Statt dessen stellt Deflo eine tatterig-gischtige, komplett überschminkte Karikatur auf die Bühne, die überhaupt nicht begreifen läßt, wie denn auch nur ein Zungenkuß zwischen ihm und Manon vonstatten gehen soll. Um vom Bette besser zu schweigen. Überhaupt hat man den Eindruck, der Regisseur habe selbst noch keine Frau geküßt. Die Lescaut ist Mätresse, nicht Prostituierte. Auch das ist Monsieur Deflo nicht klar.

Ach, egal. Reingehen, auf jeden Fall. Um fernzubleiben, wird zu gut gesungen. Deshalb gelingt auch der dramaturgisch höchst prekäre, intensive 4. Akt. Die Augen aber schließen. Dabei ist das Bühnenbild – ohne die Bewegungen drin – schön. „Ah!“ machte unsiono denn auch, eine Woge im Wortsinn hellen Glücks, das Publikum, als der Vorhang den 2. Akt freigab.

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