Verschlüsselung im Roman. Notwendigkeit und Absicht.

Eigner vorhin: „Vielleicht wieder so schreiben, wie D u es immer gemacht hast: Verschlüsseln, bis kein Mensch auch nur a h n e n kann, daß solche Leben wirklich gelebt werden.“

Dahinter verbirgt sich ein Irrtum. Ich mußte verschlüsseln, weil mein Name im Literaturbetrieb tabuisiert war; ich d u r f t e nicht unter ihm veröffentlichen, mußte ihn also verstecken und damit mich selbst. Das hatte Folgen für die Poetologie. Die deshalb nicht falsch ist; vielmehr behauptet sie Reales: man m ü s s e sich tarnen. Das wird als soziale Aufgabe an einen herangetragen. (Deshalb meine theoretischen Arbeiten zur Desinformation.)
Mit der Geburt meines Sohnes, der wieder meinen alten Namen trägt, war diese Bewegung hinfällig. Sie wäre nun keine Selbsterfindung mehr geblieben, sondern wäre zur Spaltung geworden. Das beschreibt unter anderem das verbotene Buch. Ich gehe immer auf den K e r n, stelle immer den realen Prozeß dar. Genau das aber ist nun gerade nicht erwünscht, und schnell erweist es sich, siehe den Prozeß um diesen Roman, daß die „ursprüngliche“ Poetologie vollkommen berechigt war, und zwar g e r a d e, weil man ihr immer ihre Verschlüsselung vorwarf. Man wollte weiterhin strafen, abstrafen, wollte Schuldloses strafen, aber so, daß niemand begreift, d a ß man das tut. Wollte Schaden zufügen, ohne verantwortlich zu sein. (Ich meine nicht den prozessualen Gegner des Romanes, sondern die Mitläufer, die das Verbot so begrüßten; sie nämlich sind von ihm eigentlich getroffen. Und s i e hat er ja auch wirklich gemeint. Und wird er weiter meinen.)

[Letztlich ist die Diskussion jedoch müßig: Jedem einigermaßen mit Intellekt Begabten ist es höchst einfach, den Schlüssel ins Loch der Romane – irgend eines Romanes! – zu stecken und darin herumzudrehen; wie bei einer lockeren mathematischen Aufgabe ergibt sich die außerpoetische Lösung immer von selbst. Die poetische Strahlkraft hingegen bleibt, so oder so, Geheimnis.]

11 thoughts on “Verschlüsselung im Roman. Notwendigkeit und Absicht.

  1. damit bleibt die Aufgabe etwas zu beschreiben ohne es zu sagen-jemanden anzuklagen ohne ihn zu nennen und etwas mitzuteilen ohne es zu sagen, in der Hoffnung es würde vom richtigen bemerkt und erkannt

    1. Dichtung klagt nicht an. Sie klagt. Das ist ein Unterschied. Und etwas zu beschreiben, ohne es zu nennen, halte ich für feige. Aber ich habe den männlichen Blick, der ist i m m e r gerichtet. (Frauen haben die andere Form, die etwas Diplomatisches hat, über die Jahrhunderte ihrer Unterdrückung gelernt, und zwar nicht freiwillig. Die andere Form ist stets Notwehr, in mehr oder minder sublimierter Form. Sie sagt immer: Das Andere ist stärker, ich muß mich schützen. Ich hingegen – und meine Dichtung – w i l l sich nicht schützen. Weil, sich zu schützen, stets uneigentlich ist.)

    2. vielleicht ist es feige aber es ist eine Form der Entäuschung Herr/Frau zu werden ohne völlig das Gesicht zu verlieren und dennoch nicht am Schmerz zu vergehen.

      <edit> somit ist ihre Aussage in allen Punkten bestätigt, wenngleich ich über das immer gerichtete Männliche durchaus streiten würde

    3. Man verliert das Gesicht nicht. Man verliert es nie. Die Angst davor, es zu verlieren, macht einen klein. Das ist alles. Aber es gibt keinen Grund, es sei denn, man hätte etwas getan, für das sich zu schämen wäre. Außer Kinds- und Völkermord unähnliche Gewalttaten fällt mir da auf Anhieb nichts ein. Und selbst die sind kein Grun für Scham, sondern für Schuld. Was etwas anderes ist.

      Schämen tut sich, wer Schuld nicht eingestehen will. Dichtung hingegen, dafür steht besonders Dostojewski, eingesteht sie. Davon lebt sie.

    4. Dichtung lebt von Schicksalen, die auf großherzigen Motiven basieren, die normal nur als besonders empfunden werden und entstanden sind aus Liebe vor anderen unmögliches zu erdulden

    5. Allenfalls auf die christliche Dichtung trifft das zu. Die bekanntlich zur verlogensten gehört.

      Wenn stimmte, was Sie schreiben, wäre Genet kein Dichter gewesen. Mir fallen da noch viele andere ein. Dichtung ist n i c h t gleich Humanismus. Sie kann sogar das Gegenteil sein. Es gibt dummerweise große inhumane Dichter. – Dichtung ist eine Form der Erkenntnisbildung und geht insofern aller Moral voraus; bingt sie die nämlich schon mit, ist immer bereits die Perspektive des “poetischen Versuches” präformier..

    6. nun gut ich gebe zu das ich den Humanisten zugetan bin aber für wen sollten sonst Dichtungen erschaffen werden – geht es nicht darum die Welt ein wenig besser zu machen, ein glückliches Lächeln beim Leser zu erzeugen einen Anstoß zum Nachdenken? einen Stütze in der Not – ich spreche nicht vom Opium ans Volk- es liegt mir fern zu beschönigen und zu vertrösten auf das nächste Leben. Vielleicht geht es nur um ein wenig mehr Mut Lust und Gefühl im Diesseits
      <edit> ich bin heute ein wenig sentimental

    7. Lächelt. Ich habe gar nichts gegen Sentimentalität. Sie gehört nur nicht in die Kunst. Darin ist sie – prinzipiell – falsch, nämlich ein Verrat. Kunst, nach meiner Auffassung, läßt erkennen, darüber hinaus schafft sie realisierbare Träume. Kraft gibt sie aber nur dann, wenn sie nicht lügt… sie darf nicht einmal schwindeln. Aller Kitsch n i m m t Kraft. Kitsch ist ein Vampir, der aussieht wie ein Schokolade-Bonbon.
      Ein gutes Beispiel sind die antiken Tragödien: Ihre Katharsis bewirkte sich über das L e i d und den Schrecken, denen der Zuschauer/Zuhörer sich aussetzte. Ich habe darüber am Beispiel des Horror-Romanes und -Filmes geschrieben; in denen findet sich davon noch einiger Rest. Im selben Sinn der von mir damit häufig zitierte Borges (der seinerseits Homer hinterträgt): “Die Götter wirken Ungemach, damit die Menschen etwas zu singen haben.”

      Kunst ist also, um es auf eine Formel zu bringen, das Gegenteil von Harry Potter.

    8. wischt ein Träne weg Kunst entsteht auch unter Beobachtung und Zensur und zeigt gerade dann die kühnsten Spitzen, wenn sie sich tarnt hinter weissen Elefanten und umschreibt, was nur der Leser erkennt.

    9. Das ist – unter solchen Umständen – wahr. Sie braucht Begrenzungen. Werden die aber nicht von außen – inhaltlich – gesetzt, dann wählt sie dafür die F o r m. Selbst ein “umschriebener” Roman ist in Zensurzeiten gefährlich für den Autor und bleibt es. Aus der Gefährdung entsteht die Kraft. Ist diese Gefährdung – inhaltlich – aber nicht da, muß sie anderswo herkommen. Wie gefährlich es ist, o f f e n zu schreiben (obwohl durchaus nicht rein autobiografisch und schon gar nicht allgemein kenntlich), das erlebe ich zur Zeit selbst. Der Prozeß geht an meine ökonomische Existenz, ja hat sie imgrunde zerschmettert. Deshalb ist dieses Buch so… – nein, das darf ich ja nicht schreiben. Und selbstverständlich meine ich den New-York-Roman.

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