Das Abenteuer Psychoanalyse. (1).

Dienstag, den 14. Juni 2005. 16.15 Uhr:
[K e i n DTs, sondern beiseite-, nämlich res in media gesprochen.]

“Das Abenteuer beginnt”, sagte ich, als ich mich vor zweieinhalb Jahren vom einwöchentlich besetzten Gesprächssessel erstmals auf die Analysecouch legte, bauchoben wie kein lebendiges Tier. Als ich vom Trennungsschmerz sprach, von den vielen Frauen in meinem Leben, der Kunstleidenschaft, den mit der Trennung eingesetzten, so schweren Depressionen, daß ich es bisweilen nicht einmal schaffte, aufzustehen und einkaufen zu gehen. Und nun, nach diesen zweieinhalb Jahren, beginnt etwas von mir abzufallen, bzw. in mir aufzusteigen, etwas ganz Sinnliches, das sich in dem Fünfjahres-Block verborgen hatte, der immer unzugänglich gewesen war. Zum ersten Mal spürte ich heute mittag – ich sehe ihn allerdings immer noch nicht – die Anwesenheit (m)eines Vaters, der mit sehr sanfter, sehr zärtlicher Simme zu seinem kleinen Sohn spricht und den noch völlig ungefähren Raum dieser frühen Erinnerung mit einer Wärme erfüllt, die von der harten Mutter nicht kam. Ich hatte sogar kurz den Eindruck eines Lächelns, eines Blicks.

Und dann fällt mir ein, fällt mir a u f, daß ich diese Innigkeit, dieses Einverständnis, dieses Nahesein einem Schmerz fast immer nur gegenüber Kunstfiguren erleben konnte, in der Oper, in Romanen (weshalb mir vielleicht auch nur s o ein Satz in den Sinn kommt: “Denn wer die Figuren nicht achtet, achtet auch die Darsteller nicht.”) Daß ich den Schmerz keines Mitmenschen, auch nicht eines geliebten, habe je so intensiv und vorbehaltlos nach- und mitempfinden können wie bei der Kabanowa, der Manon, bei Brittens Gouvernante, bei Isolde und all den anderen, die bis zu meiner Trennung nahezu ausschließlich die m e l a n c h o l i s c h e Seite meines Lebens begleitet haben. Weshalb ich mich bislang so einfach trennen konnte und kann, einfach vergessen und ein anderes Leben beginnen, dessen Zentrum freilich identisch bleibt, weil nicht Menschen darin stehen, sondern die mich immer begleitende, mich durchziehende Kunst. Wieviel Schmerz und Unrecht ich damit wahrscheinlich meinen Frauen zugefügt habe, läßt sich derzeit nur ahnen. Es ist, als wären sie nie gemeint gewesen. Und sie waren es auch nicht, nicht in dieser tiefsten Schicht, in der ein vierjährig gebliebener Mann von unterdessen fünfzig all die Zeit das vollständige Verschwinden seines Vaters hat vergessen müssen, da die Mutter nach der Trennung der Eltern keinen weiteren Kontakt zuließ: “Wer keine Alimente zahlt, darf auch keine Päckchen schicken”. Dieses ‘gemußte’ Vergessen realisiert so einer immer und immer wieder neu. Tut alles, um sich n i c h t zu trennen, verheimlicht Liebschaften, andere Lieben, hält, bis es gar nicht mehr geht, an der Beziehung und zugleich den Affären fest – m u ß sich plötzlich, vor die Wahl gestellt, entscheiden und dreht sich einfach um und geht weg und ist dabei nicht einmal traurig.
Keine Frau hat er jemals richtig vermißt, nur diese eine, und zwar, weil sie ihm den Sohn gebar, der eine solche Abwesenheit von Trauer nicht zuläßt und weil der neue Vater dem Jungen diese Innenspaltung nicht zufügen, weil er an dem Kind nicht wiedervollstrecken will, was an ihm vollstreckt worden ist. So daß der neue Vater zu dem wird, als was er mit seinen im Inneren immer noch vier Jahren den alten unbewußt sich in der Erinnerung behalten hat: als etwas, das zutraulich, traulich, innig, körpervoll, warm und wohl auch schützend ist, wenngleich die objektive Realität des alten Vaters so gewesen sein mag, wie die Mutter ihn empfunden haben wird: schwach und lebensuntauglich, ja lebensuntüchtig. Er diente, ihr den Namen zu geben, mit dem es sich gesellschaftlich vorankommen ließ. Zu mehr aber nicht. (Und sollte etwa mein Traum von vorgestern nacht genau dieses Szenario bebildern? Der Vater, der in die frigide Mutter eindringen will, aber versagt? Woraufhin sie ihm verübelt, daß er es nicht schaffte, sie naß zu machen? Versager war das Wort, das in der Stimme meiner Mutter immer durchklang, wenn sie, selten genug und nur auf direkte Fragen, etwas über ihn sagte. Wobei sie immer freundlich blieb, ihn nicht schlechtmachte; aber diese Verachtung war so zu spüren.)

Wenn das alles so stimmt, wie es mir heute erscheint, dann lassen sich daraus einige Grundfesten meiner heutigen Ästhetik ableiten (die sich vom biografischen Anlaß, weil die Dichtung über die Jahre viel zu ausgearbeitet ist, längst abgelöst hat): das ständige Verschwinden von Romanpersonen (Robert Großwald, Günter Carstens, Ulf Laupeyßer) oder, in der linderen Form, ihre Neuerfindung (Hans Deters, Arndt, ja ich selbst, der ich seit der SIZILISCHEN REISE längst ebenfalls zu meiner Romanfigur wurde); der Akzent auf die Durchdringung von Realität mit Fantasmen und all die Realisierungen dessen, die unterdessen das Internet bringt; daß holomorfe oder mythische Figuren (Kumani, Niam Goldenhaar, Dr. Lipom) denselben Stellenwert haben wie organische; daß ich in den Erzählungen reale Personen mit erfundenen völlig gleichberechtigt auftreten lasse; die Neigung zu den Zitaten, die mit eigenem Text verschliffen werden; insgesamt die Collage und neuerdings sogar – wie verräterisch! – der Palimpsest; die Auflösung von festen Identitäten zugunsten einer Flüssigkeit, die das (Weg)Schweifenlassen von Melancholie erlaubt und symbolisch immer wieder den Vater herstellt. Insofern ist es wahrscheinlich falsch, wenn ich früher einmal in Den Dschungeln schrieb, ich hätte im Literaturbetrieb die nicht dagewesene Mutter gesucht. Sehr wahrscheinlich ist es – und ist es n o c h – der wiederherzustellende Vater gewesen. Nur ging die Verleugnung so weit in mir, daß mein Unbewußtes den Vater hinter einem Mutterideal verbarg, das in der späteren Realität die wirkliche Mutter meines Jungen repräsentierte und weiterhin repräsentiert. Und wieder ist da offenbar nicht eine konkrete Person gemeint, sondern ein Ideal, das zu allem ein weiblicher Archetypos ist, den ich seit ganz jungen Jahren in mir getragen habe, von dem ich in meiner Pubertät sogar gezielt träumen konnte, der fast alle meine Erzählungen durchzieht und sich schließlich in K.’s Erscheinung (ihrem Aussehen) bis aufs Haar inkarniert hat. Und von dem ich bis heute nicht weiß, woher er eigentlich rührt. Denn meine ganze – bewußte – Familie ist blond. Der Archetypos aber olivbraunhäutig und mit einem sehr dunklen, sehr tiefen Haar. Er i s t die Mutter meines Jungen, so daß der paradoxe, für mich schmerzhafte Fall eintrat, daß eine reale Person ein Innenbild realisiert. Eine furchtbare Bewegung imgrunde: Nicht das Symbol steht für einen Menschen, sondern der Mensch für das Symbol. Eine Wirklichkeit gewordene Allegorie.

16 thoughts on “Das Abenteuer Psychoanalyse. (1).

  1. Mütter, Väter und PA Nun, durch einen Freund aufmerksam geworden, lese ich Dein Tagebuch.
    Für mich stellen sich nun viele Fragen. Woher weisst Du, dass Dein Vater Deine Mutter nicht „feucht“ machen konnte….und, und, und?????? Ist das Dein Problem? – doch sicher nicht! Das ist doch ein Problem zw. den Personen, die es betroffen hat. Mit diesem Wissen hat Dich deine Mutter ja in übler Form missbraucht!

    Etwas Trauriges und Tragisches an Deinem Tagebuch empfinde ich, dass ich für jeden Menschen wissen möchte, eine innere Nähe – oder, die wichtigste Frage für jedes Individuum, was nutzt diese Handlung mir!?

    Ich würde Dir wünschen, Du könntest die von Dir empfundenen Traumata in Dir behalten, dann hättest Du eine Chance diese auch mit einem eigenen Gefühl zu besetzen. So agierst Du offensichtlich wie der von Daniil Charms beschriebene rothaarige Mann.

    Psychoanalyse funktioniert nur, in dem nicht nach „aussen Tragen“ der Neurosen. Aber muss sie für Dich funktionieren??

    Rilke wollte die PA nicht mehr, weil er mit PA nicht mehr schreiben konnte.

    So wie ich es lese, ist es eine Gratwanderung zw. einer getriebenen Kreativität und Selbstreflektion. Die von Dir als tragisch erlebten Gefühle gehören offensichtlich zu Deinem Stil der Kunst – ohne Tragik keine Kunst? Hast Du das bedacht? – Nun, Du hast ja den Fluchtweg des „Ausagieren“. Nur diese Diskrepanz erlebe ich als schwerer Auszuhalten als die eigentlich künstlerisch umgesetzte Tragik!

    1. @ Troll-Y. 1. Weshalb duzen Sie mich?
      2. „Psychoanalyse funktioniert nur, in dem nicht nach „aussen Tragen“ der Neurosen.“ Wer sagt Ihnen das?
      3. „Mit diesem Wissen hat Dich deine Mutter ja in übler Form missbraucht! “ Woher nehmen Sie die Ansicht, daß sie es tat? (Sie tat es nicht.)
      4. „Rilke wollte die PA nicht mehr, weil er mit PA nicht mehr schreiben konnte. “ Auch hier sind Sie unpräzise. Er wollte sie nicht, weil er f ü r c h t e t e, mit ihr nicht mehr schreiben zu können.
      5. “ ohne Tragik keine Kunst? Hast Du das bedacht?“ Hätten Sie sich etwas weiter in Den Dschungeln umgetan, etwa auf der Hauptseite, die ganz unpersönlich reflektiert, wäre Ihnen bekannt, daß um diesen Gedanken herum sehr viele Einträge und Reflektionen entstanden sind. Das Tagebuch entsteht als ein öffentliches deshalb, weil es Den Dschungeln darum geht, biografischen Gründen für Kunst nachzugehen und ihre Entwicklung, ihre Verwandlung zu betrachten und vielleicht aus ihr eine wiederum verwandelte Form von Kunst zu machen: also d e n W e g dem Kunstwerk, und zwar ebenfalls als Kunst, einzuschreiben. Es geht darum, die Verschleierung zugleich zu verschleiern wie ihr ihr Recht zu lassen, ja sie in ihrem anderen – dem nicht-biografischen – überhaupt erst zu erfassen.
      6. Sie schreiben, es stellten sich Ihnen viele Fragen, aber anstelle sie zu stellen, beantworten Sie sie normativ.

      Also sehr viel Oberfläche, sehr viel Ressentiment und noch mehr Unfug. Einträge wie der Ihre waren unter anderem der Grund dafür, daß ich das Tagebuch (n u r dieses) sehr lange nich kommentierbar hielt.

  2. Antwort: 1. Entschuldigung – von nun an Sie!
    2. Freud und Nachfolger!
    3. Sie beschreiben es So!
    4. Nein! Er erlebte, dass er mit der PA (von Anrdrea Lou Salome) nicht mehr schreiben konnte – genau wie Sie!
    5.Und weiter?
    6. Die Fragen, wollte ich als Weiterführung des von Ihnen Normativen gedacht wissen! Damit es nicht auf eine einfache Ebene entgleitet, habe ich die einfachen Fragen mal normativ beantwortet! Das haben Sie nun richtig bemerkt – nur wo bleibt die Weiterführung – ohne Verteidigung?

    1. Das von mir Normative. Ist als M o d e l l, wie alles in Den Dschungeln, gedacht. Es sind Wägungen. Was wirklich geschah, entzieht sich jedem Einblick. Nicht aber der Plausibilität. Und Ihre Antworten sind keine. ad 6)

      N o c h weiter? Nun wohl: L e s e n Sie ‚einfach‘, d e n k e n Sie. Vielleicht kommen S i e dann voran. M e i n Teil ist nun wahrlich präsent. ad 5)

      Pardon, ich erlebe, daß ich mit meiner e i g e n e n Psychoanalyse weiterschreiben kann. Rilke hingegen nahm’s von der – mir im übrigen höchst unangenehmen – Lou Salome. Seine Furcht war eine Furcht vor der Wahrheit. Das spiegelt sich im Problem des Kitsches in seinem Werk (das ich liebe, wiewohl ich darin jenen oft fürchterlich finde). ad 4)

      Nein. Sie interpretieren das. Ich schreibe: „Was, w e n n…?“ ad 3)

      A l l e Nachfolger? Bei Freud ist das klar; er entstammt einem großbürgerlich-privaten Umfeld, das in seiner Zeit das Privatim fetischisierte. Und selbst wäre es so, dann würde es nun -durch Die Dschungel – halt anders. Wir ä n d e r n, indem wir uns verhalten. (Oder ändern eben nicht.) ad 2)

      Und 1) bedarf keiner Replik, es sei denn dieser: Danke.

    2. Nun nun, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Sie beschrieben Rilkes-Phänomen! Ein paar Zeilen vorher! Sie waren derjenige, der die PA in Frage stellte und in Ihrem Tagebuch die Hemmung beschrieben! Das schilderten Sie genau am 25.05.2005!
      Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter tauchen immer wieder auf! Nicht nur in dem heutigen (gestrigen) Text u.a. am 03.Juni.2005 als Sie schrieben: “ in dem die Mutter als Mutter versagte“!
      Nun, Ihre eigene PA dokumentieren Sie ja in gewissen Ausschnitten. Diese greife ich auf! Ich empfinde es schade, dass Sie sich, wenn ich genau darauf eingehe – hinter Ihren Texten verstecken und bin der Meinung, dass ich dieses getrennt (differenziert) wissen möchte!
      Diskutieren wir über Text – da kann ich Ihnen leider nichtviel bieten – oder diskutieren wir über die von Ihnen dargestellte Psyche Ihrer eigenen Person? Wohl würde ich jedem Einwand seitens Ihrer Person hier zustimmen – ?!

      Nachfolger: Kohut, Kerberg, Dachser u.a.

    3. Ich diskutiere hier nicht meine Psychoanalyse. Sie haben etwas grundsätzlich mißverstanden. Indem ich ‚meine‘ Psycholoanalyse in Auszügen dokumentiere – und auch, indem das Tagebuch Allerpersönlichstes veröffentlicht – ist das die Gestaltung einer Figur. Sie lesen hier nicht irgend ein Weblog, sondern Literatur gewordene oder doch werdende Privatheit. Wenn Sie sich die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens ansehen, werden Sie immer wieder Verweise darauf finden. Insofern verstecke ich mich nicht hinter meinem Text, sondern Die Dschungel s i n d Text, sowieso. Dahinter steht meine Erfahrung, allein durch meine künstlerische Arbeit ein Ich geworden zu sein, und zwar ein begründbares. Wenn mir andere (viele) von ihrem Ich sprechen und auf Nachfragen nicht anders können als einzugestehen, daß sie es – als identisches – fühlen, so sind mir Gefühle zu sehr hirnphysiologische, also chemische Prozesse, um daraus die Gewißheit eines zudem noch autonomen Ichs ableiten zu können. Für ein emphatisches Ich sollte nach meinem Geschmack schon noch etwas mehr hinzukommen – unter der Voraussetzung, daß wir von etwas sprechen, das nicht sofort und je nach sozialer/familiärer Prägung jeder, aber auch jeder Massenbewegung auf die Schippe springt. Ohne diese Voraussetzung ist ein Ich für mich hohl.

      Sicher taucht die Beziehung zu meiner Mutter immer wieder auf. Sie ist traumatischen Charakters. Das war mir aber vor der Analyse längst klar und ist immer wieder Movens meiner Erzählungen gewesen. Nicht klar war das Vater-Motiv. Aber das tut im Zusammenhang Der Dschungel wenig zur Sache, denn hier habe ich die Absicht, den Beziehungen und Geflechten nahezukommen, die schließlich zu einem Kunstwerk führen (ja, weshalb t u t man überhaupt sowas Irres, zumal bei so viel Widerstand und öffentlicher Ablehnung, die unterdessen bis zur Brandmarkung reicht?), und diese Beziehungen und Geflechte ihrerseits zu einem Teil des Kunstwerks zu machen. Ich arbeite seit langem ganz wesentlich mit Schichtungen, wobei ich nicht etwa auf einer unteren (sagen wir: der story) aufbaue, sondern u n t e r die oberste Schicht immer weitere hebe. Das führt zu einer Poly-Determination einzelner Motive; der Text bewegt sich also nicht mehr nur noch auf dem Zeitstrahl, sondern versucht, eine Gleichzeitigkeit herzustellen, die an sich nur der Musik vorbehalten ist (ein Akkord klingt zwar zeitlich, baut sich aber sozusagen räumlich auf, sein Wesen ist vertikal). Es sieht so aus, als wäre mein Verfahren unterdessen beim Persönlichen angekommen und hebt jetzt auch noch meine Masken und Scharaden unter den Text. Wobei mir bewußt ist, daß auch schon dieser letzte Satz eine Scharade ist, die in künstlerischer Konsequenz dazu führt, auch noch etwas unter s i e zu heben. Das aber immer erst ausgegraben werden muß. Insofern ist, daß ich eine Psychoanalyse mache, ein Teil des künstlerischen Prozesses. Damit stehe ich auf der Rilke genau gegenüberliegenden Seite.

      Daß Sie Person und Werk getrennt sehen möchten, halte ich insofern für einen methodischen Fehler. Überhaupt mißtraue ich Trennungen. Und sehen Sie einmal, wie sich nun wieder d i e s e r Satz sowohl auf die psychoanalytischen Motive als auch das Werk zurückbindet! Ich bin grad selbst etwas baff.

      Meine Schreibhemmung, übrigens, da haben Sie vermutlich recht, könnte tatsächlich ein Ergebnis der Regression sein. Gleichzeitig hat diese Schreibhemmung aber, wenn Sie sich die niedergeschriebenen Ergebnisse ansehen, etwas Komisches, da die Motivarbeit doch immer voranschreitet, die theoretische sowieso – und es gibt viele Autoren, die bei einem Ausstoß von wenigstens fünf Buchseiten täglich n i c ht von einer Schreibhemmung sprächen (einmal abgesehen davon, daß z u Den Dschungeln in dieser Phase meiner Blockade immerhin doch zwei große Hörstücke, mehrere Gedichte, zwei poetologische Vorträge entstanden sind und außerdem drei Erzählungen begonnen, aber eben – und d a s wurmt mich – nicht abgeschlossen worden sind. Es ist, als fehlte noch etwas: etwas, das gerade erst entsteht, das ich noch nicht weiß, aber wissen m u ß, wenn ich den Texten die nächste Tiefenschicht verleihen will. Ich habe den Impuls zu sagen: Die Texte warten. Der Konflikt entsteht dadurch, daß sie – daß nicht alle – nicht warten k ön n e n, und zwar aus rein faktischen Gründen wie Abgabeterminen und aufgrund der finanziellen Misere.)

    4. Eine ganz andere vielleicht banale Frage: auf der Fiktionäre-Webseite springt mich jedesmal, wenn ich darin lese, der Link zum Spendenkonto an. Oft schon lag mein Auge auf Ihrer Bankverbindung. Aber dass ich sie nicht nutzte, lag an einer Frage, auf die ich bislang keine wirklich klare Antwort fand. Muss ich auch Ihre „finanzielle Misere“, wie Sie schreiben, als Teil Ihrer literaturgewordenen Privatheit (also als Literatur!) begreifen? Wie überweist sich Geld an eine Fiktion?

    5. Laaaaaaaacht. Das ist nun mal eine R e p l i k!

      Aber ich führe auch sie in das, was meine Bücher meinen: Wer an die angegebene Adresse überweist, überweist ja an Herbst und D e t e r s. Deters ist,wie Sie wissen, Broker in Frankfurt und hat das Geld durchaus nicht nötig; ich zweifle nicht daran, daß er mir einen Anteil abtreten wird. Zumal er, als bei einer Bank genannter Empfänger, sich dadurch für mein Gefühl noch w e i t e r realisiert. (Für nicht wenige Menschen besaß Sherlock Holmes einmal Wirklichkeitscharacter; es gab sogar einen Prozeß, weil sich jemand fälschlich als er ausgegeben hatte.) Das Geflecht aus Fiktion und Wirklichkeit, um das es mir geht, konkretisiert sich dann auch anderorten als vor allem im Internet, das d a s hybride Medium überhaupt ist. Denken Sie bitte an Aragons von mir immer wieder beschworenes „le mentir vraie“.
      Selbstverständlich i s t – als veröffentlichte – die finanzielle Misere Teil der Fiktion. Sie ist es aber auch nicht. Hier liegt das Grundmotiv. Nicht „Die Welt ist ein Text“, sondern „Die Welt ist a u c h Text“. Nichts schlimmer als das (unsoziale, unmenschliche) Auflösen von Wirklichkeit in Zeichen, nichts schlimmer aber a u c h die Verleugnung der fiktiven Wahrheitsfunktionalität und Beharren auf dem „Einfachen“ (also dem, was man sieht). Es ist beides – wiewohl das ein Widerspruch ist – zusammenzudenken, zusammenzufühlen. Die finanzielle Misere besteht de facto, katastrophal. Sie führt aber auch, produktiv, in neue Wirklichkeiten. Einige davon – wie etwa in die Dritte Welt zu gehen, wohin es mich zieht – sind mir wegen meines Sohnes genommen, andere w e r d e n.

      K e i n e banale Frage also. Sondern eine sowohl caritative w i e poetologische. So lange sich dieser Zusammenhang bewahrt, kann ich – zumal es Die Dschungel und das auf der fiktionären Website bereitgestellte Material als auf den Gebrauchswert bezogenen Tausch rechtfertigen – an Herbst & Deters überwiesenes Geld sehr selbstbewußt annehmen – also ohne daß mein Stolz verletzt wird.

    6. kommt etwas zu spät der kommentar, und sollte auf hediger („Wie überweist sich Geld an eine Fiktion? „) folgen. zur transaktivität: ansätze der beschreibung der (be)zahlungsmodi in den dschungeln stecken im werk selbst. wenn „buenos aires“ soweit richtig verstanden wurde, kann eine umwandlung dieser (ohnehin virtuellen) währung in fiktion stattfinden und akzeptiert werden – es wäre also eine einzahlung auf ein tatsächliches konto und eine verschiebung, umrechnung auf ein anderes konto, einem immer schon vorhandenen parallelkonto, das in der anderswelt leicht zugriffig ist und zahlungen per handschlag (handfläche) ermöglicht. dieser prozess kann damit in jeder sparkasse stattfinden, sind die geldinstitute doch seit jeher verantwortlich für die umsetzung von wünschen in materie und zurück.

    7. Wundervoll! Ihr seid klasse!!

      (Es wäre – poetologisch – dringend nötig, weiter über das Ritual nachzudenken, das ich etwas früher die Form einer realisierten Fiktion genannt habe. Ich muß mich aber jetzt erst einmal auf den Ensemble-Modern-Text konzentrieren. Eben nämlich, in meinem Gefühl ‚plötzlich‘, was natürlich überhaupt nicht stimmt, h a t t e ich die Geschichte. Jetzt sollte ich sie auch ‚realisieren‘. Auf der Musik schwimmend, die mich immer schon mit diesem nicht-ich’igen Ich verbunden hat, das mir die Ideen und meine poetische Sicherheit gibt. Hat lange nicht mehr gesprochen, das Ding.)

    8. Als caritativ verstand ich meine Frage nicht.
      Ich h a b e ja bereits eine Leistung von Herbst & Deters erhalten. Eine Gegenleistung ist nichts als billig („billig“: eine andere meiner Sorgen: jeder Betrag, den ich den beiden fiktionären Herren überweisen könnte, wird den Verdacht erwecken, ihre Leistung sei billig. Doch bitte ich sie, dies nicht im Sinne eines tatsächlichen Gegenwertes zu verstehen, sondern als Ausdruck limitierter Verhältnisse meinerseits).

  3. Trennung zunächst bin ich verwundert und doch wiederum nicht. Sie schreiben, dass Sie Trennungen misstrauen. Alles im Leben sind jedoch Trennungen. Wenn Ihr Sohn morgens in die Schule geht, dann trennt er sich von Ihnen und Sie sich von ihm. Wenn sie in eine andere Stadt fahren dann trennen Sie sich von der Stadt aus der Sie kommen usw. Das ganze Leben besteht aus Trennungen.
    Nähe kommt aus der Distanz, genauso wie Musik aus der Stille kommt. Ohne Trennungen kann man oft keine Distanz finden und wenn Sie schreiben, Trennungen misstrauisch gegenüber zu stehen da empfinde ich, dass sie es an diesem Punkt wohl sehr schwer haben (Blockade?).
    Ihr Misstrauen verstehen kann ich in vielerlei Hinsicht. Zunächst ist mir ja aufgefallen, dass es ja in dem Weblog ja auch keine Trennung gibt. Schreibe ich zu einem Buch, zu einem menschlichen Buch, zu einem Menschen, privat, öffentlich – ich kann mir nie ganz sicher sein. Genau das wollte ich auch getrennt bzw. differenziert sehen!
    Genau dazu passt auch die von Ihnen geschilderte Mutter. Von dieser gilt es sich auch im Leben zu trennen. Oft wird eine solche Trennung dadurch verhindert, dass Kinder die reale Beziehung zu ihrer/m Mutter/Vater nicht sehen wollen, weil sie der Meinung sind, dass sie dieses nicht aushalten (Trauer, Schmerz ect.) man bleibt dann – trotz großer kognitiver Distanz – nahe dran . Zum Vergleich, versuchen sie mal eine Zeitung zu lesen wenn Sie sich diese genau vor die Nase halten – es geht nicht. Dann kommen solche Phänomene vor, dass Menschen z.B. ihre Mutterbeziehung beschreiben und wenn dann das Gegenüber diese benennt gibt es Schwierigkeiten.
    Natürlich diskutieren Sie hier nicht ihre Psychoanalyse. Das sehe ich auch so. Und doch diskutieren sie diese! Das Leben ist PA und nur die Betrachtungsweise ihres Weblogs kann psychoanalytisch geschehen und oder auch nicht.
    Der Abschluss Ihrer kreativen Arbeiten bedeutet auch immer Trennung und die Abgabe dieser. Vielleicht stehen Sie in einem seelischen Prozess in dem es um Differenzierung und Trennung geht und folglich gilt es vielleicht zunehmend den vielleicht noch nicht bewusst erleben Schmerz auszuhalten die Stücke fertig zu stellen um sich dann zu Trennen und den neuen Dingen zuzuwenden – wohl wissend, was man da geschaffen hat. Ihr beschriebenes Misstrauen könnte genau das Fertigstellen verhindern.

    1. „– ich kann mir nie ganz sicher sein.“ Eben. Der kleine Dialog wegen einer etwaigen Geldanweisung hierüber verdeutlicht in diesem Zusammenhang sehr genau, was ich meine: konkretisiert es im Alltäglichen. Sie k ö n n e n sich nicht sicher sein, objektiv nicht; das ist eines der Haupt-Kennzeichen der medialen Welt, die zumindest im Westen unterdessen Leit-Wirklichkeit ist, und zwar auch dann, wenn das immer noch abgewehrt wird. Sie beschreiben das ja sehr deutlich: Natürlich diskutieren Sie hier nicht ihre Psychoanalyse. (…) Und doch diskutieren sie diese! Es ist eine der wichtigsten Characterika Der Dschungel, daß sie immer wieder diese Bewegung beschreiben,sie zugleich s i n d und sie dann außerdem noch gestalten. Ich habe damit sehr früh, bereits 1981, begonnen. Im WOLPERTINGER und späteren Büchern finden sich bisweilen Sätze, die in der ersten Person Singular beginnen und in der zweiten Person Singular enden; unterdessen kann der Singular auch schon mal in den Plural wechseln und umgekehrt. Was nun den „Abschluß Ihrer kreativen Arbeiten“ anbelangt, so s i n d die nie abgeschlossen: Hier schreibt ein Buch das andere fort (eine ähnlich signifikante Dynamik gibt es bei Stockhausen, Mahler, Robert HP Platz, Allan Pettersson und sehr vielen anderen Künstlern, die den sich vollziehenden Prozeß sehr genau zumindest gespürt haben und spüren; in der Technologie hat er sich unterdessen global realisiert) oder revidiert es (wie in der Malerei lange Arnulf Rainer tat).

      Ihr letzter Absatz ist psychoanalytisches Dogma, also Ideologie. Auch die Psychoanalyse ist in ihren Methoden verflüssigbar. Vielleicht ist es ganz umgekehrt: damit leben lernen zu müssen, daß eine solche (befreiende) Trennung nicht gelingen k a n n und man aus d i e s e m tragischen, weil die Liebesobjekte ständig neu als verlorene realisierenden Gefühl Leidenschaft für sein und das Leben überhaupt destillieren können muß. Um es paradox zu formulieren: Wenn die Psychonalyse das nicht von mir lernen kann, werde ich mich von ihr trennen. Und analytisch weiterdenken.
      Die politische Dimension dessen – um abermals eine Vermischung zu betreiben und die Trennung von Tagebuch und Hauptseite zu unterlaufen – habe ich eben >>>> h i e r angerissen.

    2. Trennung Die Psychoanalyse als Theorie, ist etwas vollkommen anderes als ein psychoanalytisches Setting einer PA-Behandlung. Auch hier gilt es zu trennen!
      Durch die von Ihnen durchgeführte „Vermischung“ kann es keine klare Sicht geben. Sie machen es sich und hier auch mir immer schwerer.
      Das ist übrigens in Partnerschaften der beste Weg Nähe zu verhindern – Nähe auch in einem ehrlichen Interesse an der anderen Person! Dann wird keiner besser als die vielleicht unemphatische Mutter. Somit kann natürlich nichts befreiendes gelingen bei soviel selbst hergestellter Einsamkeit in der („bösen“) Außenwelt!

    3. Lacht auf. Das ist ja nun fein. Eine Theorie, deren Ergebnisse als etwas ganz anderes gedacht sind als ihre Umsetzung, verliert nun wirklich ihre Glaubwürdigkeit. Ich fürchte, Sie argumentieren sentimental. Daß ich es ‚uns beiden‘ immer schwerer mache, liegt in der Sache. Es ist nicht so ganz leicht, ohne Atemgerät auf den Mount Everest hinaufzukommen – und wird nicht leichter, wann man es beklagt, daß es einem der Berg so sehr schwer macht. Es g i b t keine klare Sicht; die Form der Klarheit, die Ihnen vorzuschweben scheint, ist zutiefst illusionär und langt eben n i ch t an die Wahrheit (wenn wir einmal ‚Wahrheit‘ als Übereinstimmung von Aussage mit dem Gemeinten fassen wollen und sie nicht emphatisch, also religiös, nehmen). Zugleich aber haben Sie selbstverständlich r e c h t, nur daß eben, die e i n e Seite zu sehen, bzw. eine abgeschlossene (definierte) Gruppe von Seiten immer dazu führt, daß die Wirkzusammenhänge gerade v e r k a n n t werden. Selbstverständlich spiegelt Simultanität sich in die Beziehungen. Und selbstverständlich führt das zu furchtbaren Konflikten und zu Unrecht. Das Umgekehrte aber eben auch. Mir geht es deshalb darum: Wie lebe ich d a m i t? Und wie verbinde (vermische) ich beides. Nichts ist so schön und so lebensfähig wie ein Mischling, jede Form von Reinheit führt in die Dekadenz. Wie also k u l t i v i e r e ich ‚das, was die Welt ist‘, ohne auch nur ein Teilchen von ihr zu verleugnen? Klarheit bedeutet für mich a u c h, mich der Unübersichtlichkeit auszusetzen, wenn sie d a ist, ja mich bereit zu machen, in ihr mit meinen geliebten Menschen so lebensfähig zu sein, daß wir einander (und anderen) möglichst wenig Unrecht antun. Die Konstruktion des abgeschlossenen Ichs scheint mir dafür recht außerstande zu sein. Ihr kommt gegenwärtig und in der westlichen Welt überhaupt keine Wahrheit mehr zu. Sie ist historisch auch einigermaßen neu und entwickelte sich, wie Sie wissen werden (verzeihen Sie, wenn ich das dennoch schreibe, aber es lesen dieses hier ja nicht nur wir beide), im Anschluß an die von Gott harmonierte Welt mit der anhebenden Warengesellschaft. Ich, um es als Aperçu zu formulieren, i s t eine Ware.

      1. Die Vergangenheit(Erziehung/Sozialisation) bleibt uns immer erhalten – auch wenn man sie manchmal abstreifen möchte, wie Wassertropfen von der Haut – Geht aber nicht – Brandzeichen auf der inneren Festplatte – ist es möglich sich neu zu programmieren? – ? – niemals würde ich mein Innerstes (Privatheit) so deutlich (als Tagebuch) nach Außen kehren – könnte man mich ja gleich zur „Schlachtbank“ führen (im übertragenen Sinne) – es gibt Dinge, die möchte ich für mich behalten (mein kleines Geheimnis) – warum soll ich mich freiwillig „demaskieren?“ Es teilt sich bestimmten Menschen sowieso mit (Chaostheorie/Resonanzprinzip) – zwischen den Zeilen geschieht so Einiges – reicht zunächst wenn man ANH (tschuldigung) liest , sich die ZEIT nimmt, sich einlässt – wenn man es schafft, zunächst möglichst wertfrei (!) – eine Herausforderung, ich weiß – ja, ABER die Krux ist etwas typisch Deutsches/Menschliches (?) – das URTEIL ist gefällt und bevor der Hammer auf den Richtertisch knallt, saust schon das Fallbeil herab (imaginär) – beurteilt – 6, setzen, verurteilt….peng.. – wie schade —RIvS

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