Nun muß der Verlag Tausende Überkleber für Tausende Prospekte drucken, die für die anstehende Buchmesse schon fertig gewesen sind, in Tausende Prospekte müssen diese Überkleber eingeklebt werden, und aus abermals Tausenden Prospekten müssen Seiten herausgenommen und möglicherweise an den shredder verfüttert werden. Da muß Geschichte – wenn auch nur Literargeschichte -umgeschrieben und jeder werbende Hinweise auf ein Buch weggeschnitten werden, das doch längst umläuft. Das Ganze hat etwas Verzweifeltes, Hilfloses, und je hilfloser die Aktionen werden, desto teurer sind sie auch. Mit wird ganz schwindlig davon, wenn ich mir vorstelle, was auf den Gegner dieses Romans zukommt, sollte er den anstehenden Prozeß verlieren. So etwas halten Firmen aus, Privatpersonen sicher nicht. Die zerbrechen möglicherweise, ganze Zukünfte knicken plötzlich zusammen. Allein das Prozeßkostenrisiko bei einem Waffengang über zwei Instanzen liegt hier bei 25000 Euro, von den Schadensersatzforderungen aus den Folgekosten ganz abgesehen. Und MEERE wird all dem zum Trotz wie ein immerpräsentes Vakuum sein, eine ständig leere Stelle, von der alle Welt spricht, und alle Welt zerreißt sich das Maul und spekuliert wild herum. Was hat dieser Gegner meines Buches davon? Und, Leute, laßt diese Fragen, wer denn der Gegner s e i, endlich ruhen! Die Wähnungen sind doch viel schlimmer als alles, was etwaig in dem Buch
Und dann die Nachfragen nach Interviews, Portraits… dieser ganze miese Rummel. Es ist ein Le/e/hstück der public relations: Die furchtbar hohle Schale des Betriebs, zu dem MEERE doch vollständig quersteht – schon ANDERSWELT, schon der WOLPERTINGER – hat quergestanden dazu, wirft sich auf den vermeintlichen Skandal. Als ginge es nicht um den T e x t, um die Dichtung, als ginge es nicht um leitmotivische Verknüpfung in Sprache, um semantische Höfe, Schönheiten eines Satzklangs, Kartharsis, Erkenntnis. All das spielt nun überhaupt keine Rolle, nur hier und da in einem der Zeitungsartikel leuchtet mal etwas in diesem Sinn Hoffnungsvolles auf. Und die Frage von Wahrheit & Dichtung… ja, wenn es denn d arum gehen soll, gerne, bitte, ich streite da mit… aber personalisiert das nicht, behaltet im Auge, daß es immer auch um etwas anderes – Menschliches – geht. Es gibt Reaktionen, die aus dem Affekt geschehen… man darf Affekte nicht prolongieren, sondern sieht mit Stil darüber hinweg, betreibt Schadensbegrenzung und – vergißt sie.
Wahrheit & Dichtung indes? Ja. Das ja. Die juristische und die poetische Sprache verstehen sich nicht, sie brauchen Übersetzer. D e shalb ja. Ansonsten wäre das ganze Problem eines des 19. Jahrhunderts, ästhetisch gesehen. In Auseinandersetzungen wie diesen stellt sich die Illusion des autonomen, privaten Ichs gegen die Realität der kybernetischen, in seine funktionalen Einzelteile immer weiter zerlegten Subjekts. Ich meine, die Leute pinkeln doch längst öffentlich bei Big Brother… Privatheit muß gänzlich anders definiert werden, als es die normative, dem 19. Jahrhundert verpflichtete Vorstellung des gegenwärtigen Rechtsdenkens bislang tut. D arüber wäre zu diskutieren, ein Blick in die (privaten) Videosysteme des Internets zeigt sofort, wie brennend gefordert Klarheit darüber ist. Literatur hat hieran spätestens seit der Moderne laboriert. Jetzt kommt sie zu sich und zur Welt; sie wird – mit ein paar anderen Künsten – virulent.