Montag, der 5. September 2005.

5.15 Uhr:
Eine unruhige, dennoch tiefe Nacht gehabt. Schwer, dennoch gut von Liebesdingen geträumt: In Episoden, plastisch, mehrere Situationen fast filmisch-klar durchspielt und, ja, diskutiert; so etwas ist selten, daß das – bei den nicht in jedem Fall angenehmen Konsequenzen – nicht ins Albtraumhafte wegrutscht oder aber eben als verdrängender Erfüllungstraum dahingleitet. Ich will aber hier nicht mehr sagen, weil die Szenen so privat sind, zugleich derart offenbar und unablösbar an verschiedene andere Personen geknüpft, daß jede Umerzählung am eigentlichen Kern (an den Kernen, im Plural) vorbeizielte und diese Inhalte für Sie gar nicht mehr nachvollziehbar und auf Ihr Eigenes transponierbar wären.
Seltsam überdies, daß diese Nacht zugleich unruhig war, nicht nur für mich, sondern auch für den kleinen Jungen, der permanent die Schlafstellung wechselte und seine Lage im Bett insgesamt, schräg, diagonal, sogar einmal den Kopf zu meinen Füßen, dann schließlich stuppste er mich, halb erwachend, an, „Papa, kuscheln“, da war es halb vier; er rollte sich geradezu an meinem Bauch zusammen und schlief da sofort wieder ein – seltsam also seine und eben auch meine Unruhe in dieser Nacht und daß sie dennoch erholsam war. Ich sitze völlig erholt am Küchentisch der Kinderwohnung, die Kapuze meines absurden Trainingsanzugs überm Kopf und noch ohne Musik, aber einen Pott Kaffees vor mir. Während ich nun das DTs für heute notiere, kommt mir zum ersten Mal, seit ich an ARGO schreibe, der Gedanke, es werde Zeit für einen Strukturplan, und des weiteren: Ich müsse daran denken, daß in etwa einem Monat „Bergfest“ sei. Ich habe unvermittelt das drängende Gefühl, die metastasenartig wachsenden Ideen nunmehr zusammennehmen, zusammenkneten zu müssen und sie zu bündeln, um das erzählerische Ziel dieses mäandernden Romans zu formulieren und den Text allmählich in ein Flußbett zu leiten, das von nun an ganz bewußt darauf zuführt. Als ich seinerzeit am WOLPERTINGER saß, nach ungefähr sechs oder sieben Jahren, war das schon einmal so: Der ‚Rest’, immerhin mehr als zwei Drittel des Kolosses, ergab sich danach beinahe selbsttätig – auch hier möchte ich mit Friedrich Cramer lieber von ‚selbstorganisiert’ sprechen. Es brauchte nur, sozusagen, den Heger, damit aus der Mündung kein sich verflachendes Delta wurde.

8.10 Uhr, Arbeitwohnung:
[Allan Pettersson, Zweites Violinkonzert.]
Wie froh ich in den letzten drei Jahren darüber bin, wenn ich keine Post im Briefkasten finde… – Dennoch, der Arbeitsplan gerät leicht durcheinander. Als der Junge und ich zur Schule aufbrechen, hat mein Rad einen Platten. Um nicht zu spät zu kommen, bin ich den etwa 1,5 km langen Weg auf der hinteren Felge gefahren. Zu Arbeitswohnung, um ‚Kollateraschäden’ zu verhindern, hab ich das Rad dann geschoben. Nun muß ich vor der Analyse noch in die Werkstatt; es war allerdings abzusehen, daß der neue Mantel fällig würde. Ich wollte aber sparen und hab den Zustand des Reifens ganz bewußt ausgereizt; so muß ich nicht klagen.
Beim Gehen weiter über ARGO nachgesonnen: Wieso halte ich derart strikt an der Vorstellung einer Trilogie fest? Sicher, es hat innere auch konstruktive Gründe, über die ich nachher für die Hauptseite Der Dschungel noch schreiben will, – aber wenn sich denn etwas anderes, wenn sich ein Z y k l u s ergibt? Wäre das wirklich so schlimm? Nur weil es mit meiner puristischen Vorstellung einer zu erlangenden F o r m kollidierte? Wenn – etwa für spätere Bücher – mehr erzählt werden w i l l, warum sich wehren?

8.55 Uhr:
[Nach der unterdessen formulierten kleinen Reflektion über die ANDERSWELT-Romanstruktur, die ich allerdings erst später einstellen werde, um sie mit Distanz vorher noch einmal zu betrachten und zu überdenken.]
Bin gespannt, ob heute eine Nachricht von EvL kommt. Sie wird ja nun nach New Orleans weiterreisen. Ist sie erst einmal dort in dem Chaos, wird ihr alles andere – und mit vollem Recht – sehr nachrangig werden. Ich kann das bedauern, aber mein Verständnis hätte es. Gut, abwarten, ARGO.

12.29 Uhr:
Zur Fahrradwerkstatt – und das erst einmal zeitliche Chaos geht los; nicht wegen des neuen Mantels, i bewahre!, sondern weil sich der Bowdenzug in der Mechanik des Gangschaltungshebels zerplisst hat und zwar dringend ausgewechselt werden muß, aber nicht herauszubekommen ist. Der junge Mann prokelt und prokelt, schließlich muß ich wegen des Analysetermins zu Fuß los, haste und komme, so unwahrscheinlich das ist, tatsächlich pünktlich an. Gespräche über die Liebe, die Projektionen und vor allem die Grundschule. Auf dem Rückweg hab ich beschlossen, in Der Dschungel eine neue Rubrik zu eröffnen, die tatsächlich GRUNDSCHULE h e i ß e n wird. Dazu aber später.
Knapp 50 Euro kostet schließlich der Fahrradspaß, jetzt hab ich noch 50 für den Rest des Monats, werd mir also was pumpen müssen. Die eine Miete ist eh schon geplatzt, die andere hab ich zur Verrechnung gegen den Schaden durch die Zwangsräumung der Kellerräume sowieso erst einmal einbehalten. Aber nun die >>>> MDTFEB, danach ne Butterstulle, dann Mittagsschlaf. Und wieder an ARGO zurück.

17.24 Uhr:
Gerade Pettersson, Sinfonie Nr. 8, zuende. Noch nicht an den ARGO-Strukturplan gekommen, aber geschrieben, geschrieben, geschrieben. Da finde ich eine Nachricht EvL’s. Sie ist, auch wenn sie nichts drüber anmerkt, offenbar in New Oleans angekommen. Und wie ich es dachte:
Ist er noch da, Ihr furor?
Meiner ist weg.
Das ist traurig. Aber ich üb mich in Geduld. Denn da ist Sicherheit in mir. Und die Arbeit, wieder. Deren Intensität hab ich EvL zu danken. Das verpflichtet, ich will es nicht verschenken. Und sie hat wirklich nun anderes zu tun, als sich um Briefwechsel zu kümmern.

Nachtrag:
Berlin. Pratergarten.
Er, nach dem dritten Bier: „Ich muß unbedingt aufhören zu trinken.“
Der Freund: „Du drehst zu schnell.“
Er: „Das habe ich i m m e r getan. Seit ich Kind bin. Ich habe immer zu schnell gedreht. Aber davon bin ich nicht alt geworden.“
Der Freund, skeptischen Blicks: „Das wird man davon eben auch nicht: alt.“

3 thoughts on “Montag, der 5. September 2005.

  1. zu schnell drehen ich nenne es “beschleunit sein” –
    davon wird man nicht alt, davon wird man tot.
    irgendwann, zu frueh.
    aber egal.

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