Opern-Regression. Puccinis „Le Villi“ als konzertante Aufführung an der Deutsche Oper Berlin.

Nun ja, an sich haben konzertante Aufführungen einige Chancen, vor allem dann, wenn das Libretto nicht unbedingt szenisch vom Hocker reißt. Gleichsam kann dann brechtsch gespielt und gesungen werden, Orchster und Podium werden zur aus der Zeit gehobenen Zweiten-Natur-Kulisse, nicht ganz unähnlich den Landschaften, die die offenen griechischen Theater für ihre Szenenbilder verwandten. Häufig ist kompliziertes Musiktheater auf diese Weise wider Erwarten zu einem Erlebnis geworden. Nicht so, leider, die Aufführung gestern abend, die ihr konzertant zu wörtlich nahm. Dabei ist etwas daran, dieses frühe Puccinistück wie ein Oratorium oder ein Kantate aufzuführen, es gibt da seltsame Assoziationen an Mahlers Klagendes Lied, und wenn dieses mit „Ach Leide!” endet, so jenes immerhin mit einem – ziemlich schwarzen – „Hosianna“. Dann aber wäre auf die fragmentarischen Versuche restlos zu verzichten, mimisch der Situation Ausdruck zu verleihen, das wirkte gestern gerade beim Part der Anna furchtbar outriert, und imgrunde wäre auch der Sprecherpart, der für heutige Ohren peinigend peinlich klingt, rundweg zu streichen und das, ja, romantische Melodram rein nach innen zu verlegen. Dann schließt man die Augen und hört einfach zu (Handlung darf in der Oper immer als gewußt vorausgesetzt werden; die Oper ist eine WiederholungsKunstform, die sich beim ersten Hören ohnedies nicht erschließt).
Eine solche Innenmusik muß aber jede Spannung nicht nur halten, sondern auch erzeugen. Und dazu braucht es dann mehr als einen so schönen Gesang, wie er gestern abend zu hören war. Es reicht auch nicht, wenn der Dirigent h ü p f t, um Intensität auszudrücken. Im Gegenteil eher, ich bin für solche Mätzchen unterdessen zu alt und entsinne mich sehr wohl eines Dirigats Otto Klemperers, der im Rollstuhl saß und eine hochgradig feurige Aufführung zuwegebringen ließ, indem der Taktstock fast unmerklich auf- und abging; alles andere steuerten die Augen. Es braucht nämlich die Magie der musikalischen Innen-Projektion, also das, was vielleicht „sinfonische Dichtung“ einmal gemeint hat: eine Filmmusik ohne Film, weil sie zugleich der Film nämlich i s t. Die Oper also als Sinfonie, womit man abermals bei Gustav Mahler wäre. Nur ist Puccinis Partitur nicht darauf hinkomponiert, weshalb es eines musikalisch-einstudierenden Kunstgriffs über die bloße (gute) Einstudierung h i n a u s brauchte, damit tatsächlich etwas ersteht, das nicht nur Gesang an der Rampe ist. S o bereitete der von dem designierten neuen GMD des Hauses, Renato Palumbo, einstudierte Abend leider den Eindruck eines an der italienischen Provinzoper inszenierten Stücks, bei der die Arie, nicht aber die Dramaturgie im Vordergrund steht, von der man a u c h noch nie was gehört hat: Oper als sentimentales Volksvergnügen. Und alles herzhaft unmodern. Nichts dagegen, meinetwegen, aber eigentlich, für ein solches Projekt an einem solchen Haus, ist’s doch ein wenig schade: es sollte aber vielleicht nach zahlungsfähigem Publikum mit nach Speck klingenden Seiten geworfen werden. Das wär dann die Erklärung für einen solchen Zeitbruch: nämlich Kitsch um die Münze.

[Geschrieben für >>>> das Opernnetz.]

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .