Donnerstag, der 27. Okober 2005.

4.43 Uhr:
[Bei Filterkaffee und meditierend musiklos, zwerghaft die Kapuze des potthäßlichen Trainingsanzugs überm Schädel.]
>>>> Kerstin Tomiak war gestern mit dem Abendbrot noch hier; nachdem der Kleine ins Bett gebracht und vorgelesen und gekuschelt war, haben wir lange lange gesprochen: über die Liebe, über Dynamiken zwischen Männern und Frauen, über Frauen. An konkreten ‚Fällen’, selbstverständlich, den unseren also. Katanga kam dazu, hörte zu, diskret, fragte bisweilen eines, das andre. Es wurde elf, bis T. fort mußte, ich ging dann gleich ins Bett. Vor dem Besuch noch ein langes Telefonat nach Italien mit >>>> Eigner, der bereits im November für eine Gedächtnisveranstaltung zu >>>> Karl-Günther Hufnagel nach Berlin kommen will; er wird in der Literaturwerkstatt zusammen mit >>>> Paulus Böhmer lesen. „Hufnagel, auch einer, den man rausgedrängt hat“, sagt er, „und sein letztes Buch… es ist wirklich ein großer Text.“ Sowie die Literaturwerkstatt Berlin ihr Programm für das Netz aktualisiert hat, werd ich drauf verlinken.

Die Idee, wie seinerzeit, als der >>>> WOLPERTINGER entstand, einmal wöchentlich aus ARGO vorzutragen, sei’s in privatem, sei’s in halböffentlichem Raum. Das muß ich noch mal mit den Freunden durchsprechen. Man brauchte einen Ort, der sich eignet. (Damals nahm ich mein/unser – Dos und mein – Wohnzimmer; für so etwas sind heute meine Räumlichkeiten zu beengt.) Jedenfalls: Jede Woche eine ein- bis zweistündige Lesung aus dem entstehenden Typoskript, bis der gesamte Roman in der Rohfassung fertig ist. Und die ‚Ergebnisse’ der Diskussionen immer gleich mit einbauen. Das Verfahren hat sich damals als ausgesprochen dienlich erwiesen, mit einem solchen – vom Umfang her – Riesentext konstruierend umzugehen.

21.27 Uhr:
Ein >>>> mieses Posting von einer Person, die sich ‚anonym’ nennt und in einer Tour hämt, vergällt mir gerade den Abend. Ich verstehe nicht, was dieser Mensch eigentlich will. Greift an, nennt mich Herr v. Ribbentrop und tut so, als versteckte ich mich hinter meinem Künstlernamen, was wirklich absurd ist – und scheint mit obsessiver Sexualität Probleme zu haben, die er nun an mir ausläßt. Zeigte die Person wenigstens Gesicht, dann ließe sich fair und offen reagieren, – so aber hat man nur einen Schmierfink an der Backe, dem die Lust am Meuchelmord schon aus den Augen spritzt. Ich mag das aber auch wiederum nicht einfach löschen, weil es dann sofort heißen würde, ich verübte Zensur. So bleibt mir nichts, als meine Hackerfreunde auf die Netz-ID dieses Typen anzusetzen (man weiß nicht mal, ob Männlein oder Weiblein) und/oder ihn einfach für weitere Postings zu sperren. Sofern sich das machen läßt, ohne daß man alle anderen, die nicht bei twoday registriert sind, ebenfalls ausschließt.
Problematisch an dieser Auseinandersetzung ist des weiteren, daß ich aus dem Buch ja nicht zitieren darf, auch nicht werben darf – und als Werbung könnte mir alles Mögliche ausgelegt werden, auch eine Verteidigung und Klarstellung: etwa wo ich für welche Szene wie recherchiert habe, welche Autoren zitiert sind bei den Sexualfantasien, welche Formulierung für prekäre Sachverhalte gewählt wurde und weshalb, wie sich ein an sich ungeheures Geschehen in ein glückhaftes verwandelt allein durch die Form der Hinsicht… und nicht zuletzt: was es bedeutet, in einen tragischen Sog zu geraten. Und was unser aller Liebesbeziehungen anbelangt, auch darüber wird ja gesprochen in dem – wahrscheinlich unter anderem darum – verbotenen Buch. Ich kann, da mir der Mund verboten ist, nur dastehen und mich von miesen Anonymen auf ziemlich widerwärtige Weise mit einem Dreck bewerfen lassen, der eigentlich der Kern von deren eigener Seele ist. Ärgerlich dabei ist zudem, daß einem bei solchen Anwürfen schließlich selbst die Sachlichkeit verloren geht. Denn wie Katanga, der auf mein Bitten nachlas, eben sagt: „Wieso sollst du dich permanent zur Sachlichkeit zwingen, wenn du auf diese niedrige Weise angegriffen wirst?“

Und gleichzeitig ist mir so schwermütig, weil *** hierwar, etwas brachte, das unser Junge bei ihr vergessen hatte und morgen braucht, und sie las ihm dann in seinem und meinem Bett etwas vor, und mir kamen die Tränen, die ich wegdrückte, und ihr kamen, glaube ich, auch Tränen, kurz, ein Zucken, man ist so hilflos. Als der Junge schlief, ging sie dann, da sie verabredet sei. Und ich, abermals, sitz wieder hier. Seltsam. Ich bin seit einem Vierteljahr erotisch völlig abstinent. Denke immer nur an sie. Komische Form von Treue. G: „Du bist einer Projektion treu.“ Dazu Tomiak, der ich den Satz zitierte gestern: „Ja und? Und wenn?“

P.S.: Stellt sich gerade den Literaturbetrieb ohne Ihr WERK vor und findet es nicht bedauerlich schreibt der anonyme Denunziant an der oben verlinkten Stelle. Nun, immerhin, diesen Gefallen wird ihm die Welt nicht mehr tun. Das Buch ist da, wird mehr gelesen als jedes andere, das ich schrieb, und wird sich auch und gerade ästhetisch tief in die deutschsprachige Literaturgeschichte prägen: als eines der großen Liebes- und Leidenschaftsbücher dieses und des letzten Jahrhunderts. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Die Anonymen mögen es verbieten und verfolgen, wie sie nur wollen; am Ende siegen Kunst und Mut.

3 thoughts on “Donnerstag, der 27. Okober 2005.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .