7.29 Uhr:
Eben erst, mit dickem Kopf, hochgekommen. Jetzt warte ich aufs Zischen der Pavoni… ah… jetzt…
…wieder übers Öffentliche Tagebuch gesprochen gestern nacht, lange, mit dem Profi – und über die Schulden und ihre Unausweichlichkeit, über meine Projekte schließlich. >>>> Moosbach hat recht, wenn er zum Hauptstrang der von ihm so genannten „Deters-Romane“ (von mir seinerzeit DIE KONSTRUKTION DES WIDERSINNS benamst) eine Reihe von „Reiseromanen“ sieht, in die und aus denen immer wieder Türen leiten, durch welche Deters schreiten kann. Was er noch nicht recht zu orten weiß, ist das verbotene Buch; doch während ich die „Hauptreihe“ mit ARGO fortsetze und die „Reisereihe“ mit einem Bombay-Buch fortsetzen m ö c h t e, so ist eben auch eine Reihe erotischer Romane in meinem Kopf, an deren erster Stelle das verbotene Buch steht, dann (das s a h Moosbach allerdings) DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DES INTERNETS (DLZI), dann MELUSINE WALSER und schließlich ZUNAMI. Wobei ich das letztere sehr gerne vorziehen würde, aber ja noch nicht einmal dazu komme, JOACHM ZILTS’ VERIRRUNGEN zu überarbeiten. Wenn ich mir öfter so einen dicken Kopf leiste wie heute und deshalb nicht früh genug von derf Couch komme, krieg ich schon mit ARGO Probleme.
Noch einmal zum Öffentlichen Tagebuch, dem hier, was Sie gerade lesen. Wo es „explizit“ wird, ist auch d a s nötig, ja sehr sinnvoll, weil es immer das Explizite ist, worein sich Türen (Schnittstellen) in die Realität schneiden lassen; das Abtrakte, Allgemeine, Enntkörperte entzieht sich dem. Nur das Explizite schafft uns Bilder, die auf die Sehnsüchte – oder Ängste – wirken. Etwa kommt eben eines solchen Bildes wegen, das mir viel Protest einbrachte – gemeint ist die an sich doch harmlose Fellatioszene, die ich am Montag aus meiner Erinnerung schilderte -, morgen vormittag eine Frau hierher, die dieses Bild wiederholen, die sich also in die Erzählung mit einschreiben will. Denn eine Erzählung i s t doch alles, was hier steht. Ob sie ‚wahr‘ ist, ist einerlei. Beziehungsweise wird sie für genau diejenigen wahr (oder falsch), d i e sich mit einschreiben, ob mit ihrem Körper oder mit ihrem Geist oder ob mit beidem.
Dennoch bleibt ein Vorwurf bestehen, den gestern abend der Profi formulierte: „Ich weiß, was die Leute – auch mich – oft so ärgert: Es ist dieses ‚guckt mal, wie toll ich bin, jetzt hab ich s c h o n wieder eine Frau, die sich vögeln läßt.’“ „Aber darum geht es doch gar nicht“, halte ich dagegen, „sondern um den Aufzeig, wie Menschen – auch ich – funktionieren, was uns treibt, antreibt, uns Lust und Schrecken macht. Und wie enorm schnell Fantasien real werden können, wenn nur einer von beiden es darauf anlegt.“ „Jaja, wenn du das in einem Roman schriebest, wenn du wenigtens nicht immer ich sagtest, dann wäre auch diese Fellatioszene an sich sher schön, vielleicht auch nur normal… aber du sagst: Seht her, das bin i c h, der sowas erlebt.“ „Aber ich bin doch im Weblog tatsächlich selber F i g u r.“ „Aber legst nahe,daß du real bist.“ „Das exakt ist das Verfahren in vielen meiner Bücher.“ „Deshalb hast du diesen Prozeß am Hals. Unter anderem deshalb. Du vermischst die Ebenen.“ „Genau das ist die Zielrichtung meines poetischen Denkens.“ „Aber daß du mit > Kondomen < immer schlaffmachst, schreibst du n i c h t.“
10.56 Uhr:
Unruhig zwischen ARGO, Groscurth, wo die Idee des versteckten Links perfektioniert ist, und dem I Ging hin und her. Keine Musik. Die Ahnung eines vom Alkohol rührenden Kopfschmerzes, fast halluzinativ; die ungeheizte Arbeitswohnung kommt mir überwärmt vor. Ich muß mir dauernd klarmachen, welch ein Tag heute ist. Daß ich heute nachmittag die Wohnung wieder wechsel. Daß ich meinen Jungen hole.
Lilith hat sich wieder gemeldet. Alle – fast alle – sehen, wenn sie m i c h fühlen, immer * * * * * *. Und weichen.
13.54 Uhr.
Er hatte alles verloren.Das ging mir jetzt nach, als ich – vergeblich einmal wieder, zu viel Unruhe war in mir drin – zu schlafen versuchte. Und der Satz besaß und besitzt eine große Strahlkraft, weil er so zuversichtlich ist. Denn zwar fallen von einem die Dinge des eigenen Wohlstandes, in meinem Fall wohl eher Wohlseins ab, also vielleicht meine Musiksammlung, die vielen Bücher, mag sogar sein: der Computer, der Schreibtisch – Kleinigkeiten halt, die mich umgeben wie Liebkosungen -, aber was immer auch wird, wohin ich mich dann immer auch wende: es bleiben die geschriebenen Bücher, es bleiben Die Dschungel, und es bleiben die Hörstücke. Längst sind sie in anderen Händen, sie zu bewahren.
Ja, ich höre den Kitsch in diesem Gedanken, er ist dennoch ein guter. (Und ich sehe Richard Wagner vor Gläubigern und anderen Häschern nach Venedig, schließlich in die Schweiz und nach Bayern fliehen, sehe D’Annunzio vor seinen Gläubigern fliehen, sehe Balzac in der Schuldenhaft, Dostojewski in finanziellen Knebelverträgen, die ihn zwingen, so produktiv zu sein; sehe Heinrich Heine seine Bettelbriefe schreiben… usw. Man hat ja wirklich, ästhetisch gesehen, die allerbeste Begleitung.)
Aber hiervon selbst abgesehen. Er hatte alles verloren, ‚s i e hatten alles verloren’: wie viele Familien traf so etwas nicht im Krieg, wie viele trifft es noch immer, nicht einmal weit entfernt; und auch dort geht es weiter. Und o h n e daß schließlich etwas zurückbleibt. Dieser Satz >>>> Gerd-Peter Eigners, den er mir 1996 sagte, als ich ihn nach so vielen Jahren >>>> in Olevano Romano wiedertraf: „Was wollen wir denn eigentlich wirklich? Doch nichts, als eine Spur zu legen, als uns in die Literaturgeschichte mit hineinzuschreiben… einen k l e i n e n Platz, selbstverständlich, aber ihn darin zu h a b e n.“ Spuren legen, die bleiben und wirken: eine Form des Kampfes gegen den Tod, die tatsächlich eine Chance hat. Eine ungleich größere, als Kinder zu kriegen: in den Kindern nämlich, mit Recht, sind wir eines Tages vergessen. „Es wäre furchtbar“, erwiderte mir evl einmal auf meinen Gedanken, ein Mann werde seine Kinder – solange sie klein sind, jedenfalls, d.h.: selber noch nicht abgenabelt – nur solange lieben, wie er die Mutter dazu liebe, „es wäre furchtbar, wäre ich nur denkbar als Teil meiner Eltern und würde ich nur als solcher geliebt.“
Die tiefe Problematik dieser sowohl Verhältnisse wie Verhältnismäßigkeiten hebt sich ebenfalls in diesem einen Satz auf: „Er hatte alles verloren.“ Jemand kann sogar >>>> v e r s c h w i n d e n, dennoch bleiben da stehen: Doktor Faustus, Harzreise, Das Lied von der Erde, Ulysses, Der blaue Kammerherr, Ada oder Das Verlangen.
20.50 Uhr:
[Dallapiccola, Variazioni per orchestra.]
Gerade ist der Junge eingeschlafen, nach fünfzigminutigem Vorlesen von erst “Der Kleine Dino“, dann den Anfangskapiteln “Der kleine Vampir und der unheimliche Patient”. Irgendwann, nach schon viel Lesezeit, will ich aufhören, da bittet der Kleine hinter den bereits geschlossenen Lidern hervor: „Noch ein Kapitel, Papa!“ Er schlägt die Augen auf, ich schmiege meine rechte Hand an seine linke Wange, muß lächeln, er sagt: „Du l i e s t noch eines, ich weiß das.“ „Was macht dich so sicher?“ „Ich seh es, weil du so grinst.“ „Und woher weißt du das?“ „Weil ich es von dir kenne.“
Vorher haben wir nun endlich den Modell-Vulkan ausprobiert, den der Bub zu Heiligabend bekommen und am ersten Weihnachtstag vorbereitet, nämlich ihn angemalt hat, woraufhin das Modell erst einmal trocknen mußte. Heute also war der große Tag des ersten richtigen Ausbruchs. Es funktioniert prächtig mit Kaisernatron, Zitronensäure und dunkelrot eingefärbtem Wasser, das aus dem Vulkanschlot je, ob Backpulver zugegeben ist oder nicht, entweder wie eine sehr flüssige Lava herausquillt oder detonationsartig –spritzt. Im Vulkan ist unten eine Batterievorrichtung, über die das Donnern und Grollen nachgestellt ist – das Ganze ist eine ziemliche Schweinerei,man tut gut daran, alte Klamotten zu tragen – aber eindrucksvoll, in der Tat, ist es. Ich hab ein Foto gemacht, aber das Überspielkabel in der Arbeitswohnung gelassen. Nun stell ich das Bild m o r g e n ein.
Frau von Mecks Geld ist da, so konnte ich eine Miete und einen Teilbetrag der Krankenversicherung überweisen. Immerhin. Und sie schickt obendrauf 80 Euro für Serge Lutens’ Vétiver Oriental. „Für das Parfum und n u r für das Parfum“, schreibt Nadeschda in der Überweisung. Manche Frauen sind Wundergeschöpfe: grausam, hingegeben und erhaben.