Dienstag, der 14. Februar 2006.

5.01 Uhr:
[Arbeitswohnung, Stille.]
Gestern erst kurz nach halb eins hiergewesen; der Profi war zum Billard hinzugestoßen, so war alles viel länger geworden. Danach noch auf zwei Wein ins Odessa, worin die vierfünf Anwesenen den Blues schoben. Der Profi kam mit N., dem Inhaber ins Gespräch, dem er auch geschäftlich verbunden ist; zu mir setzte sich eine junge Dame, die soeben durch die Nacht die fünf Stufen in die kleine Bar heraufgeschritten gekommen war. Ich saß auf dem Barhocker an der Theke, die anderen gleich rechts von mir auf Bank und Stuhl vor den Tischen. Gesprächsversüch’chen, die ganz müde flirteten. Irgendwann kamen wir auf Kleidung und Kleidungsgepflogenheiten und was lächerlich sei; ich erzählte von den Siebzigern: wäre man da herumgelaufen wie heute Sie, wäre d a s lächerlich gewesen, sagte ich; es sei rein eine Frage der Übereinkunft, also der Masse. Worauf sie: Das sei nicht ganz ihre Generation. Und ich, lächelnd und ein bißchen arrogant: „Aber meine.“ Als der Profi sich zu uns setzte und wir zwei Männer anfingen, über Verbeen zu sprechen, ich mehr als er, klar, denn ich erzählte, er wandte Kleinigkeiten ein, Aufmerksamkeiten, was vielleicht noch zu beachten sei und wo vielleicht noch nachgefragt werden könne; außerdem ging es um ARGO; – da kam die junge Frau in das Gespräch nicht mehr hinein und setzte sich ihrerseits zu N. Um kurz vor halb eins fiel mein Blick auf die Uhr. „Oh je, ich muß los, ich will um 4.30 Uhr an den Schreibtisch!“ Sprach’s, warf sich in die verschiedenen Pullover und Mäntel, schlang sich den Paschmina um den Kopf und stürmte von dannen zum Fahrrad.
So wurde es halt n i c h t 4.30 Uhr, sondern 4.50 Uhr. Na gut. Neben mir dampft der latte macchiato; auf mir turnt Ratzfelix herum. Es ist wieder kalt geworden, ich hatte zum Schlafen die obere Fensterluke sperrangelweit auf, das Fenster selbst gekippt. Das frische Bettzeug läßt mich nicht nur besonders tief schlafen, sondern es macht einen auch besonders frösteln, wenn man es verlassen will. Doch die innere Arbeitsdisziplin treibt mich dann d o c h. Weniger als vier Stunden Schlaf reichen nicht, das hab ich nun heraus; ich muß mit einer halben Stunde Verspätung rechnen, wenn ich eine halbe Stunde nach Mitternacht zu Bett geh. So ist das nun halt.
Eben noch das DTs. Dann ARGO.

8.47 Uhr:
Bis eben musiklos an ARGO gearbeitet. Drei Seiten. Programmwechsel jetzt zu VERBEEN. Vorher aber noch schnell Eier kaufen, die sind ausgegangen; dann etwas frühstücken. In der Zeit kann ich schon mal nachdenken; es ist nicht immer leicht, aus dem einen intensiven Projekt in das nächste zu hüpfen, das damit gar nicht zu tun hat. Wobei das, merk ich gerade, nicht so ganz stimmt. Mich beschäftigt extrem das Religiöse; wahrscheinlich entspringt das Verbeens Einfluß, ich krieche ja geradezu hinein in den Mann! Und das wirft seinen Schatten – oder, je nach Perspektive, sein Licht – auch auf andere Arbeitsprozesse. Nach dem Frühstück feile ich noch das heutige ARGO-Stück für Die Dschungel zurecht.
Von EA Richter kam wieder eine Mail voller biografischer Daten, die nicht ganz ohne psychologische Selbstinterpretation sind. Das ist spannend. Da ich ihn außer auf einem Bild nie sah und auch seine Stimme nicht kenne, hat das wirklich etwas von einer sich sehr allmählich herausschälenden Figur

12.52 Uhr:
Eine Stunde tief geschlafen, nun VERBEEN ff. Werde aber wegen Perle Elisabeth, die hier für Ordnung schafft, in die Kinderwohnung radeln und mich solange dort an den Küchentisch setzen. Sind auch genug Telefonate noch zu führen.

ZWISCHEN-PS.: Das will ich doch noch dazuschreiben, daß ich so tief in ARGO und Verbeen drinstecke, daß ich heute früh zwar dieses Tagebuch weiterführte, aber ganz vergaß, es einzustellen. Eine Leser-Email fragte besorgt an, was los sei. Er, der Verfasser dieser Mail, komme gar nicht in Gang, weil ihm mit dem täglichen Tagebuch seine Routine fehle… Ich wußte erst gar nicht, was er meinte; dann kontrollierte ich eben Die Dschungel… je nun. Pardon, Leser. Ich durchtauche grad die Mittelpunkte anderer Welten.

15.30 Uhr
[Noch Kinderwohnung. Küchentisch. Bei VERBEEN.]
Soeben hat >>>> Otto Mellies für SAN MICHELE zugesagt.

18.18 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung. Stille.]
Dann mußte es schnell gehen, Mellies wollte das Typoskript möglichst schnell sehen. Also ausgedruckt, einen Brief an ihn geschrieben, worin ich ungefähr meine RundfunkPoetik darstelle, sehr knapp, aber sehr freundlich; das Couvert beschriftet und ab zur Post.
Als ich zurückkomme, finde ich, mir von einem der Herausgeber des >>>> Thelen-Archivs zugesandt, neben mal wieder einem ganzen Haufen finanzieller Drohpost eine CD-Rom mit jener Radiosendung, in der Thelen über Verbeen gesprochen hat. Ich werde aber erst später hineinhören können. Außerdem, und da mußte ich sehr lachen, fand ich >>>> das. Ich hab sofort reagiert und Helmut Schulze, also >>>> parallalie, eine Mail geschrieben. Zum einen hätte er mir ja mal was sagen können, zum anderen hätt ich gern, daß er den Text übersetzt. Ich verstehe ihn zwar, aber dreivier Wendungen sind mir etwas dunkel, und eh ich Ihnen nun blamablerweise etwas Falsches in den Übersetzer-Kommentar schreibe, warte ich lieber parallalies Übersetzung ab. Süß ist sowieso, daß Verbeen nun schon Neapolitaner beschäftigt. Immerhin – und leider – stützt di Marzo die pragmatische Skepsis, von der meine Nasrin Verbeen so verstimmende Idee begleitet wird. Die meisten, die ich drauf anspreche, sagen: Nein, die Marienerscheinung in LICHT ist ein Portrait von Verbeens Frau Chagai. Di Marzo sieht das zwar anders – ich guck nachher mal, ob ich das Bild ergoogeln kann -, pragmatisch aber eben d o c h.
Trotzdem hab ich >>>> Hediger gefragt, ob nicht seine brasilianische Frau irgendwie Kontakt zu jemandem bekommen kann, der in den frühen bis mittleren Achtzigern in oder bei Airão gelebt hat. Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, daß meine Spur völlig richtig ist, wenn ich auch keinen Schimmer habe, was mich konkret an ihrem Ende erwartet. Aber Hediger wollte ja ohnedies mal recherchieren.
Insgesamt ist dieser Verbeen zu einem Unternehmen geworden, das sich ohne das Internet und den Messenger in einer so kurzen Zeit gar nicht realisieren ließe. Denn obendrein übersetzt mir Arrian Sayed immer wieder im Yahoo-Messenger Verbeens Farsi. Wobei das ziemlich kompliziert ist: Ich höre das Tonmaterial ab, und wenn ich glaube, etwas sei Farsi, dann versuche ich, den L a u t nachzuschreiben. Ich weiß aber oft nicht, sind es nur zwei oder sind es schon drei Wörter. Oder ist es ein Satz. Also transkribiere ich Laut für Laut in Letternschrift und kopier ihr das Ergebnis in den Messenger… einmal rief sie an vorhin und lachte. „Was soll d a s denn sein? Der hat vielleicht ’n Dialekt!“ Es wird am Schweizerdeutsch liegen. Nasrin Verbeen, englisch sprechend, klang ja auch ziemlich komisch. Das macht das Ganze noch obendrein kompliziert; auch Verbeens Deutsch ist nicht immer als solches zu identifizieren, jedenfalls nicht für mich. Einmal hab ich versucht, Arrian eine solche Stelle am Telefon direkt vorzuspielen, aber da versteht sie, sagt sie, weniger, als wenn ich mit dem Abtippverfahren weitermache. Auf Farsi selbst kam ich eh nur, weil Walter Filz vom SWR den Gedanken hatte, also wegen Verbeens afghanischer Mutter.

Und der Profi rief an, ob ich heute abend mit ins >>>> Odessa zu diesem Chansonabend gehen wolle; er sei sich allerdings noch nicht sicher. Da geht es ihm wie mir. Die Zeit r a s t unter den Tasten. Man glaubt nicht, was man am Telefon alles so verschwätzt.

21.53 Uhr:
Bin doch nicht mehr weggegangen, sondern hab bis eben gearbeitet. Eine seltsame Kompilation scheinen mir Verbeens Orientreisen zu sein – jedenfalls soweit sie in SCHATTEN erzählt werden. Möglicherweise hat >>>> di Marzo da etwas ganz Richtiges erfaßt, also in … egal, eben ruft der Profi an. Er sei schon dort, ich solle mich aufs Rad schwingen. Also gut, liebe Leser, dann schreibe ich, was ich Ihnen schreiben wollte, halt morgen. Und wünsch eine gute Nacht.