Sonnabend, der 1. April 2006.

7.16 Uhr:
[Kinderwohnung. Der Kühlschrank rauscht. Irgend ein elektronisches Flimmern zudem in dem Geräusch, das vom Boiler der Gastetagenheizung stammt: wie ein sehr schnelles Weckerticken in hohem Frequenzbereich. Wenn ich lausche, hör ich noch einen etwas tieferen Gegentakt d a z u, als fielen unnatürlich eilige Tropfen auf ein dünnes Rohr.]
Um 6.16 ein erstes Mal wach gewesen, herumgedreht, der Junge schlief an mich herangekuschelt wie i n mir. Ich fragte nicht lange, drehte mich, schlief weiter. Und wurde um kurz nach sieben von einem Satz wach, den jemand zu mir sprach – oder zu einer Szene sprach, die er aus dem OFF kommentierte und in der ich eine Rolle hatte:

“In einer verwehenden Orgel.“
Nichts sonst, nur dieser Satz, von einem Mann gesagt. Das hängt jetzt wie ein Ohrwurm in mir drin, mein Inneres wiederholt und wiederholt den Satz. Ich hab mich, obwohl ich nicht arbeiten w i l l, in den wirklich irre häßlichen Trainingsanzug geworfen. Der Gummizug der Hose ist dermaßen ausgeleiert, daß sie sofort hinabrutscht, wenn ich aufsteh und mich bewege. Die Realität, fällt mir ein, weht in Fetzen an einem vorüber, sich verfasernden Fetzen, vielleicht meint d a s dieser Satz und ist von >>>> ferromontes Diskussionsbeitrag gestern bewirkt. Realität als Realitätsmöglichkeiten, die sich dann doch nicht verwirklichen, obwohl es für ein paar Momente, manchmal vielleicht auch für Tage so aussieht, mitunter monatelang: die Wienerin, O., Gardenia:: das streift einen, rührt einen an, dann kommt ein anderer Wirklichkeitenwind und pustet hinein, und alles fliegt ganz leicht, ganz wehend, auseinander, ist fort. Manchmal ist das mit ein wenig Schmerz verbunden, manchmal mit Melancholie, manchmal ist’s wie eine Wasserblase, die platzt, was nichts als ein wenig spitzer Feuchtigkeit auf der Haut hinterläßt (denn auch der Geist, wie jedes andere Organ, ist in eine Haut gedeckt, sehr durchscheinend in seinem Fall, sehr milchig: eine Schleimhaut, selbstverständlich: wie alles, das Leben birgt). – Da kommt eben eine SMS Lakshmis, die mich dazu bringt, aus dem Fenster zu gucken, nicht zu verstehen, worum es geht, sie anzurufen und sie sagt, leise lachend: „April, April.“ Dabei hatte ich kurz vorher noch, in einer parallelen Schicht meines Bewußtseins, darüber nachgesonnen, wie ich heute meinen Jungen in den April schicken könne. Nu’ weiß ich’s.

Allen einen guten Morgen.
Das hier wartet: Nur mittags muß ich kurz weg, um Verbeens Farsi-Gedicht aufzunehmen, das mir Aziz, ein arabischer Freund U.’s, aufsprechen wird. Ich werde die Aufnahme danach gleich in den Laptop einspielen und sowohl als wave- wie mp3-Datei bei all den anderen Tönen und Musiken dieser Funkarbeit für die nächste Woche speichern. Ansonsten ist heute Kindertag.

19.02 Uhr:
Feines Treffen mit Aziz, der Verbeens Gedicht aufsprach. Noch einen Kaffee hinterher, wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Sprachen ein wenig über den Koran und seine Geschichte, seine Auslegungen, auch über Hintergründe, von denen er erzählte. Wir werden uns treffen nach Baden-Baden auf einen Abend; er will arabische Gedichte bereithalten, sie vortragen in ihrer Sprache, sie übersetzen; er will etwas kochen. Er sprach über die Schönheit orientalischer Frauen bei mir in tausend offene Türen, über ihren Stolz, ihre Haltung – und daß es eben durchaus nicht so sei, daß der Islam sie erniedrige – dies sei von Kultur zu Kultur in dem riesigen arabischen Raum ausgesprochen verschieden. Er selbst kommt aus der Sahara, wuchs in Marokko auf, studierte, spricht fließend Deutsch, muß aber jobben, da er – weil er Araber ist – hier keine Anstellung findet, „nicht mehr seit 9/11“, erzählt er.
Was mich die ganze Heimfahrt über beschäftigte, war dieses ganz hinten, auf dem Zungenhals, gerollte arabische ‚r’: man intoniert es fast in der Kehle. Ich hab, bis ich Zuhause war, das auszusprechen versucht – so, wie ich mir damals das italienische ‚r’ beigebracht habe auf einer langen Wanderung von Pantalicà zurück nach Siracusa; da habe ich, glaube ich, an die zehntausend Mal vor mich hingesprochen: „Vorrei andare a Roma, vorrei andare a Roma.“ Dann hatte ich’s.

Den Nachmittag wundervoll mit dem Jungen verbracht, Carom gespielt, draußen herumgetollt; ich erfand ein Spiel: Man stellt sich gegenseitig Rechenaufgaben. Wer eine nicht zu lösen vermag, bekommt eine Ersatzaufgabe: muß fremde Leute ansprechen und um ein Papiertaschentuch bitten, muß jedem Menschen im Park Guten Tag sagen, muß Leute im Gespräch unterbrechen und jeden nach der Uhrzeit fragen, und zwar, obwohl die andern schon Zeuge waren, daß er sie längst genannt bekam. Usw. Mich hat der Junge, als ich einmal verlor, fünfmal um den Park rennen lassen.

Jetzt geht’s ans Putzen des Rattenkäfigs, ans Aufräumen, Auspacken der Wäsche, Bettzeug beziehen, danach spielen wir wieder Carom. Meine Arbeit ist heute weit weit weg.

20.59:
[Klavierduo im DänenNetzRadio; weiß nicht, welches. Trag ich nach. Spätromantik jedenfalls.]
Hab mich nach etwas Ringen >>>> h i e r z u entschlossen: Die Anwürfe kamen >>>> von d o r t (ich hab da aber nicht nachgelesen und werd das auch nicht tun, sondern diese Site meiden; freilich sollen Sie sich Ihr Urteil bilden können; deshalb verlinke ich). Das Ärgerliche ist, daß hämische oder abfällige Kommentare meist dann auftreten, wenn ich den weiteren Kontakt mit einer mich interessierenden Frau abbreche, weil sie sagt: „Es wird auf keinen Fall einen körperlichen Kontakt geben.“ Das ist ihr völliges Recht. Aber auch meines, dann weitere Korresponenz zu verweigern. Ich tu das aus Selbstschutz. Sollte ich mich nämlich verlieben oder auch nur zu begehren beginnen, und zugleich ist gesagt: Ich verweigere mich, – dann muß ich ja nun wirklich nicht ins quälende Vermissen hineinrennen, sondern halte mich wohlweislich fern. Irgendwann ist’s dann vergessen und gut. Diese meine Haltung scheint aber vielen Frauen nicht zu gefallen. Und sie reagieren sauer. Gut, sollen sie. Aber bei sich daheim oder sonstwo, meinethalben auch öffentlich; in Den Dschungeln hat sowas nichts mehr zu suchen. Ich habe mich zu lange darauf eingelassen und zu oft auf mißgünstige Provokationen meinerseits in einer Weise reagiert, die erst recht dazu führte, daß sich die emotionalen Enthymeme noch und noch hochgeschaukelt haben.
Das eben Ihnen zur Erklärung.

Jetzt aber zu meinem Kind. Zu Katanga. Und unserem C a r o m :