7.58 Uhr:
[Jena Irgendwo. Gartenterrasse.]Das wäre Liebe geworden – w a r, i s t Liebe. Aber wollte es nicht sein, entzog sich durch Flucht. Meine Zunge schmerzt, nicht an der Spitze, sondern um das gesamte hintere Drittel. Ich hab keine Ahnung, ob ich sprechen kann. So heftig hat sie hineingebissen.
Keinen Computer hier, nur, wie in alten Zeiten, das Notizbuch. Ein hohes Glas Mineralwasser steht vor mir, kein Kaffee, weil ich die Küche nicht gefunden habe und Carthaga noch schläft. Alles ist bei ihr daheimgeblieben, meine Zahnbürste auch. Es ist bis auf die Vogelstimmen still, nur eben fuhr mal ein Laster der Stadtreinigung die helle Gasse entlang.
Wissen Sie, Leser, man sieht, man begreift, b e i d e begreifen – dann spiel ich doch nicht mehr. Dann sage ich und bin. Das wäre Liebe geworden.
Eben ist Carthagas Geliebter erwacht, kommt auf die Terrasse, jetzt g i b t es Kaffee. Nicht daß Sie einem Irrtum aufsitzen: Die ich meine, floh ja. Es ist nicht Carthaga gemeint, die wäre unterdessen nie und nimmer geflohen.
Die Lesung.
Das >>>> Schillerhaus wunderschön; ich trug – ohne die Pause einzurechnen – 2 ½ Stunden lang vor. Zwei Leute gingen hinaus: „Ich kann damit nichts anfangen“, womit „ich w i l l damit nichts anfangen“ gemeint ist. Auch Reaktionsbildung: Lachen, wenn etwas unaushaltbar wird. Alle anderen hingen an dem, i n dem Text wie ich selbst. Selten habe ich so sehr in der Erzählung gelebt wie gestern abend. „I am so brainfucked“, sagte die, die floh.
Maria Isabella Vergana.
Sizilische Reise (Prestigiacomo, Catania/Cyane1).
Das Programm gestaltete ich, abgesehen von der Vergana, völlig spontan – okay, mitgenommen h a t t e ich Nullgrund ja; aber eigentlich wollte ich das gar nicht lesen. Wie auch immer. Habe auf Schillers Gartenbank gesessen und ein Gespräch mit Goethe geführt. Ach, wer heilet die Schmerzen des’. Dabei immer wieder Schillers Marmorbüste angesehen und gedacht gefühlt: Was war das für ein schöner Mann! Ich konnte mich gar nicht daran sattsehen an diesem Gesicht, den sinnlichen vollen Lippen, der mutigen Stirn, dieser Nase. Es ist gut, Goethe zu sein, besser, als Schiller zu sein, weil man sich selbst ja nicht so ansieht. Egal, ob Goethe verschwiemelt aussieht also. Und wie er dann später Schillers Tod (re)präsentiert hat, dieser eitle, unfaßbar gescheite, ungerechte Mann!
(Es g e h t übrigens, ich k a n n sprechen. Aber es klingt seltsam schaumig. Daß mir dieses geschah – gesc hieht – mag bereits ein Preis sein, den ich für >>>> d a s zahle. Wenn einer mit so was beginnt. Eben k e i n e n ONS im Sinn hat plötzlich, während er doch zugleich des One Night’s Stands Apotheose erdichtet.)
Um zwölf geht’s nach Weimar, Carthaga fährt mit, wir treffen auf ein Gespräch noch einmal Jan Röhnert. 15.10 Uhr dann zurück nach Bamberg; abends jour fixe mit Marion Poschmann.
Ich fürchte, ich bin tief verliebt. Stelle es mir immer wieder h e r : Unmöglichkeit. Als brauchte ich das Vakuum, um es dann zu füllen mit dem fließenden Ozean der Erzählungen. Einerseits ist das Hybris, ja. Andererseits, ganz einfach: so schade. (Gerade las ich, was s i e darüber schrieb. So bleibt zu allem eine Verletzung. Ich lege hier jetzt bewußt keinen Link. Diskretionshalber und nicht, weil ich mich nicht stellte.)
13.10 Uhr
[Weimar. Gaststätte ACC, draußen. Aus dem Notizbuch.]
Das wäre s c h o n schön: Einfach mal wieder glücklich zu sein.
Mit Carthaga, Röhnert, seiner Frau und ihrer beider Baby an einer Überlegung herumgesponnen, in Jena und/oder Weimar Poetik-Vorlesungen zu halten, die von Seminaren flankiert sind. Röhnert entwirft sowas gerade, nimmt ins Auge dabei meine Arbeit, mich: Es wäre ein solches Zeichen, ausgerechnet in die Vorgärten der Dichtergötter meine Fahne einzustoßen. Verzeihen Sie das sexuell konnotierte Bild, schieben Sie’s auf meine Zunge, das wäre ganz sicher nicht falsch…
… und die Erinnerung plötzlich, ein flashback geradezu, wie Du, mein Sohn, zum ersten Mal selber Dein Fläschchen halten konntest. Das war in Palolem, am Strand mit Blick auf spider island knapp unterhalb einer kleinen Düne, auf welche Inder sehr provisorisch ein Terrassenrestaurant angelegt hatten: Hütte, paar Stühle und Tische draußen, Zäunchen drumrum, fertig.
15.17 Uhr:
[ICE Jena-Bamberg.]
Mir ist danach, ein Gedicht zu schreiben: „Biß“.
(Tut immer noch weh; ich werd noch lange daran zehren. Und gelte einmal wieder als Unhold: Übergriffig zwingt er die Frau… so sieht es unter bestimmten Perspektiven aus, so wird das meist auch wahrgenommen im Verstand des demokratischen (autonomen) Eros’. Und war doch völlig anders gemeint. Völlig undemokratisch a l l e r d i n g s, das ist richtig. Schon weil der demokratische Eros ein Eisenholz ist, das sich aus der Begegnung mit Meeren eine Haus- und Gruppenordnung zusammenstochert, die dann als Deich eben gegen die Meere in die Geographie der Seelen aufgezäunt wird. Hätten die Leute nur eine Ahnung, wie t i e f ich mich einlassen will! aber dann wären sie, fällt mir auf, wahrscheinlich erst recht erschreckt. Und ich wär ganz besonders der Unhold.
…“sich einlassen“: ich sollte arbeiten, ARGO drängt; ich kann es aber nicht. Sondern denk und denk an die Frau. Und S i e fragen mich: Wieso liebst du nicht endlich z i v i l i s i e r t?)
17.49 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Zurück. Zschorsch kommt, bringt mir THETIS wieder, in das er hineinlesen wollte. „Da wird man ja verrückt, wenn man das liest“, sagt er, „das ist, als rauchte man einen Joint. Aber schon richtig: weshalb soll man Lesern n i c h t die Realität entziehen?“ Ein unangenehmes Gefühl also, höchst ambivalent jedenfalls. Immerhin, kein Satz, der meine Sprache moniert. Und er erzählt, heute abend sei auch Ulrike Daesners Antrittsvorlesung in der Universität Bamberg. Jetzt werd ich mich entscheiden müssen, Poschmann oder Draesner. Imgrunde ist meine Entscheidung gefallen: Wissenwollen gegen Künstlersolidarität. Dennoch, ich hab ein schlechtes Gewissen.
Und d a s tut weh: „… er ist ein arschloch, ein machtspieler, ein erniedriger“. Außerdem wird selbstverständlich sofort kommentierend herumgegeifert – besser nix verstehen, als begreifen. Egal. Das W e r k ist. Unverrückbar.
2.17 Uhr:
S o ging der Abend zuende: Ich kämpfe nicht um eine Frau, und schon gar nicht mit einer Lesbe (Louise Welsh), wenn alles in mir zu einer ganz anderen Frau will, erfüllt ist von ihr. Nein, mach ich nicht. Ich führe keinen Kampf um etwas Zweites, Ersatzhaftes. Dann zieh ich mich, wie eben getan, lieber unerfüllt zurück. Auch dann, wenn die andere, die Gemeinte, unerreichbar ist. Alles, was ich sonst täte, wäre: jemanden zum Ersatz zu machen, Und das will ich nicht. (Die sind also losgezogen, die Kampflesbe, Zschorsch, die junge Frau – und ich geh in mein Studio. Und t r ä u m e, was ich gern hätte.)