Mittwoch, der 21. Juni 2006.

8.01 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg und das schunkelnde Blut.]
Ich habe noch so viel Alkohol im Blut! Zschorsch, Eva (meine deutschgriechische Stipendiatskollegen nebenan) und ich saßen noch endlos draußen gestern nacht, vor der Studiotür auf der Kiesterrasse, ich kippte mich voller und voller. Nun wachte ich erst um kurz vor acht auf, schreckhaft, weil mir zweierlei einfiel: Zum einen ist heute Putzfrauen-Tag, und ich hab überhaupt nichts gerichtet, geschweige Ratzfelix’ Spuren beseitigt. Zum anderen hatte ich der Frau, weil sie heute auf eine Beerdigung muß und mit Beerdigungen Probleme hat, gestern gemailt: wenn sie möge, sagte ich meinen Termin nachher ab, ich führe dann nach Jena und stünde einfach bei ihr. Sie hatte bisher nichts dazu gesagt, ich würde, hätte ich jetzt eine Antwort gefunden, sofort zum Bahnhof losmüssen. Aber sie schweigt. Auch auf meine SMS gestern hat sie geschwiegen. Sie mauert. Nun ja. Sie ist Jüdin, nachher wird sie in ihrem Briefkasten >>>> mein Jerusalem-Hörstück finden, nicht dieses Typoskript, sondern eine CD. Als ich gestern >>>> ihren Eintrag zu EREZ ISRAEL las, kam mir die Idee, ihr das Ding zu schicken. Ich w e r b e, Leser, ich w e r b e, werbe wie ein Minnesänger, zu dem ich nun offenbar, siehe Gedichte, geworden bin. Ich bin so gewiß. Ich bräucht nur noch ein Tücherl von ihr, um es mir um den Bizeps zu winden. Zugleich denk ich mir: ‚Was bist du für ein Idiot! Sie blockt doch, blockt weg, was war, und w i l l es nicht wissen. Was kümmerst du dich noch darum? Begreif mal, wer du b i s t! Du bist schon viel zu weit gegangen, hast schon viel zu viele Angebote gemacht, Angebote und Parfum geschickt, und bist so sehr auf sie eingegangen! Du bist doch kein Sonderangebot bei Aldi, das man mit giveaways bewerben muß!“ Und geh mit einem „schönen Mann“ in hilflose Konkurrenz, dessen Stärke in einer völligen und ganz bewußt inszenierten Unverbindlichkeit besteht, die ich meinerseits gerade nicht will. Die ich satt habe. Aber es g e h t der Frau offenbar darum, gerade k e i n e Partnerschaft zuzulassen, die auch inhaltlich fundiert ist. Sie will Kontrolle, nicht Liebe. Und das stimmt schon, Liebeskontrolle gibt es mit mir nicht. Für Leute, die auf Selbstkontrolle fixiert sind, bin ich Gift. Ich bin ja ohnehin Gift für gemütliche Sozialität. – Hilft nix, sich das immer und immer vorzusprechen, hilft einfach nix. Auch nicht, daß ich weiß, der ’schöne Mann‘ liest mit. Deshalb dürfen Sie, liebe Leser, zeitnah mitbekommen, wie ich mich zum Idioten m a c h e – und bin doch auch darin ein allegorisches Beispiel. Der Putzfrau, übrigens, habe ich eben abgesagt, als sie bei Nachbars ihre Eimer hörbar vor die Tür stellte.
Nun kann ich gucken, ob ich mir den Alkohol noch eine Stunde lang aus den Aterien schlafe. Danach muß ich mich fertigmachen. Sowas um zehn geht’s mit der Direktion nach Coburg zu einem Gymnasium, dessen Schüler ein Leseheft zu meinem Werk zusammenstellen sollen. Mir ist nach Schlaf und Gedichten (die ich eben zugleich mit dem Wort „Vergessen“ dachte).

(Bin aufgeblieben, der Goldi-Direx will bereits um 9.45 Uhr zum Bahnhof gehen, von wo der Zug um 10.35 oder so was abfährt. Keine Ahnung, was er auf dem Fußweg dahin noch alles vorhat; gingen wir direkt, stünden wir da eine halbe Stunde leer herum. Ein Zeitbewußtsein haben die Leute!)

16.58 Uhr:
Nach einem kurzen Besuch bei A. in der Villa Concordia zurück. Das war eine, glaub ich, g u t e Einführungsveranstaltung in dem Coburger Gymnasium. Gute, intelligente, sehr offene Fragen, auch Skepsis, ja, prima, auch wohl ein wenig Irritation: ‚So sieht ein Schriftsteller aus? So wer ist derart vital?’ Usw. Goldmann danach: „Oh, bei dem nächsten Treffen komm ich mit.“ Schon wurden wir vom Direktor zum Essen eingeladen. Ich hätte freilich lieber noch mit den Schülern was getrunken und wär tiefer in die Materie eingedrungen. Leben Leben Leben!: D a s ist zu vermitteln, wenn man diesen irren Schatz, den wir haben an Literatur, ins Neue mit hinüberretten will.
Und ein schönes Gespräch mit Direktor Goldmann; plötzlich gibt es Nähen, Hans Henny Jahnn etwa, Gespräche über Baustile, über Kunstbetriebe; und der Vorbehalt gegen das Netz ist sowohl bei ihm wie auch dem Direktor des >>>> CASIMIRIANUMs fast abgefallen. Dieser stand sogar plötzlich auf und rief das Projekt dieses Leseheftes zur Facharbeit des Leistungskurses Deutsch aus. Da war selbst ich baff, der ja nun kaum zu baffen i s t.
Bin gespannt, wie viele Schüler – oder wie wenige – sich melden. In zwei Wochen geht’s weiter. Ich vergeß immer, siehe Liebesgeschichte, daß Präsenz zwar begeistern kann, aber eben auch nicht selten in Deckung gehen läßt.

19.21 Uhr:
Hatte gerade den Eindruck, >>>> jemanden angepißt zu haben, was überhaupt nicht meine Absicht war. Dennoch scheint das Gedicht Aggression auszulösen. Und welch ein Aufwand! Um mir zu sagen, ich sei Kunst-Onanist (was meint das im übrigen?), hat sich der arme Kerl (vielleicht auch eine KerlIn, jedenfalls ist’s ein Weichei, ob nun Eierstock oder Hoden) eigens registrieren müssen; über twoday direkt kann er nicht kommen, sonst hätt es einen Link gegeben. Er aber, logischerweise, duckt sich – wie einige andere Heckenschützen vor paar Wochen – hinter die sichre Hecke des Anonymen. Dahinter steckt ein Interesse, bzw. daß jemandem etwas nicht in den Kram paßt, das er (oder sie) nun hier austrägt.

20.59 Uhr:
Ah! ich bin auf i h r e r H a u t! Gedichte! Gedichte!

[Niemand sonst in Deutschland trägt dieses Parfum. Jetzt aber n o c h jemand. Das ist wie ein Kuß. Auch wenn Zschorsch soeben, als ich’s erzählte, polnisch ausrief: „Kurwa!“ Dabei in der Terrassentür stand und schallend lachte.]

1.13 Uhr:
Und dann sitzen wir „Staats“stipendiaten noch Ewigkeiten tafelnd und trinkend draußen auf der Kiesterrasse, und ich renne immer hin und her zwischen Tafel und Laptop, habe >>>> June endlich wieder einmal im Massenger, rede mit ihr, über die Gedichte, über F…. ich bin ja vergleichsweise hilflos in dieser Situation, sie liest mich, liest F., dann sagt sie: JUNE
und eigentlich möchte sie Sie erobern, nicht umgekehrt. sie geben ihr viel. diese frau MUSS gerade auf wolke7 schweben, aber sie will die zeit anhalten. unbedingt!
ANH
Sie antwortet auf keine Mail mehr, auf keine SMS. Schweigt.
JUNE
sie will … ach, alban, ist das so schwer für sie zu spüren? sie will die verehrung, die sie JETZT von ihnen bekommt, und jeder schritt zu ihnen hin könnte bedeuten, dass sie das ebenso verliert wie die liebe des „schönen“.
Und‚ draußen, weil ich immer wieder am Computer sitze, erkläre ich auf Nachfragen: „Leute, ich liebe. Ich habe jemanden im Netz, die eine F r a u ist“ (und was für eine, aber das sage ich nicht) „, die mir begreiflich machen kann…“ Tolle Frau, diese June. Sagte ich schon, daß sie eine d e r europäischen Feministinnen ist? Und spricht so mit m i r, dem so genannten Ober-Macho?der „schöne mann“ ist hollywood. sie sind cinema francaise. vielleicht sogar „der letzte tango“. ich nehme auch „pretty woman“ (…) aber alban … wunderbar. ängstigend, festnagelnd, aufdeckend, indiskret, abstoßend, fluchtwegsuchend, wunderbar… und SIE ganz im rückzug in ihrer antwort. ich bin sosehr bei IHR.

Und jetzt stell ich Ihnen, Leser, noch ein Bild ein, aber vielleicht krieg ich auch dafür wieder eine e.V. (aber das glaub ich eigentlich nicht).Und geh schlafen. Weiteres morgen. (Wundervolles, klares Gespräch noch mit Zschorsch über Jünger und D’Annunzio, da sind die anderen mit Kerzen – Zschorsch: „brennende Dildos“ – noch in den Park gegenüber gezogen, um die Sommersonnenwende zu ehren.) Leute, schlaft gut.