6.05 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung.]
Den Wecker um fünf nicht geschafft. Aber vor zehn Minuten von selbst aufgewacht, fange ich jetzt sofort mit der Sechsten Bamberger Elegie an (mein Junge schläft gewiß noch zwei Stunden; es ist seine letzte Ferienwoche). Die ersten Zeilen stehen schon seit gestern – wie ohnedies schon für die nächsten drei Elegien die Anfangszeilen und insgesamt einiges an Versen mehr, die ich für spätere Elegien immer wieder zwischendurch notiert hab, ohne schon zu wissen, in welche sie aufgenommen werden.
(Was ich – weil ich’s wohl nicht an mich heranlassen will – zu erzählen ganz vergaß, das ist, daß mich das Finanzamt, nachdem ich letzte Woche diesen Steuermüll für 2004 fertigbekommen habe, nun auch noch verdonnert hat, bis zum 31. 8. die Steuer für 2005 vorzulegen. Was nicht zu schaffen ist, und ich versuch es auch gar nicht erst. Man hat mich offenbar auf dem Kieker, wahrscheinlich gelte ich als Großverdiener mit signifikant steuerbetrügerischen Absichten oder Praktiken. Was derart absurd ist, daß ich nicht einmal Angst habe oder auch nur nervös bin. Und lasse mich schon gar nicht in diesem Arbeitsfluß unterbrechen. Auf sowas können nur Leute kommen, die ein festes Einkommen haben und ohne jede Vorstellung eines Arbeitswillens sind, der sich um Existenz nicht schert, wenn es der Dichtung drauf ankommt. Man will mich domestizieren, spür ich. Auf daß der Herbst Domestik wird.)
Ach ja, >>>> das ist eine mir wichtige Diskussion, und zwar viel weniger für die Dichtung als solche, geschweige für meine spezielle, sondern für unser politisches Allgemeinbewußtsein, gerade in Zeiten der Globalisierung. Wo gehören wir hin? Das Bewußtsein und Gefühl eines heimatlichen Kulturraums, der verschiedene Nationen aneinanderschmiegt, macht w e i t für Kulturräume, die sich n i c h t an unsere schmiegen, aber ebenfalls von Intensität sind. Man bekommt Achtung. Keine Nationalidee, weil sie nämlich immer auf die eine oder andere Art Völkisches mitschleppt, und sei es ein profaniertes, nämlich pragmatisch-Völkisches (eingetragene Staatsbürgerschaft), kann das ähnlich vermitteln. Im Gegenteil. Kultur ist alles, was wir gemeinsam h a b e n, was uns miteinander sprechend uns verstehen läßt. Haben wir diese Kultur n i c h t, g i b t es kein Verständnis, schon gar kein gemeinsames Fühlen: deshalb sind zum Beispiel Sportler verschiedener Nationen einander näher, als manch ein, sagen wir, deutscher Sportler einem deutschen Finanzbeamten; diese sind einander f r e m d. Das gilt für Dichter wie für Ärzte. ( Wäre wohl auch eine Elegie wert, aber sicher keine der Bamberger).
22.19 Uhr:
Hänge noch immer, so quer diagonal durch den Tag, an der sechsten Elegie, bin aber irgendwie verknotet drin eingewurschtelt und mag deshalb noch nichts davon in Die Dschungel stellen. Noch ist mir der Text zu abstrakt, eiert zu sehr durch seine Aussagen, findet keinen sinnlichen Boden. Morgen mittag werd ich in Bamberg zurücksein, dann findet’s sich (ich weiß, daß >>>> St. Michael eine Rolle zu spielen hat – ebenso wie >>>> Bombays Jama Masjid). Frühes Aufstehen ist angesagt, 6.42 Uhr wird der ICE abfahren. Besser deshalb, ich geh früh zu Bett.