Morrigain (6). „Ich werde Sie oft betrügen. Unterschreiben Sie, daß Sie damit einverstanden sind.“

Sie hatte einen Vertrag aufgesetzt, offenbar am Morgen, nachdem sie mich kennengelernt hatte; oder sie hatte ihn als Formular bereits vorrätig. Jedenfalls, ich kann das nicht anders nennen, legte ihn mir vor am Abend darauf. Da hatten wir uns geküßt, also, um das genau zu sagen: sie mich. Ich stand im Wortsinn in eine Ecke gedrängt. Im Frankfurtmainer Laumer, es ist nicht zu fassen. Suhrkamp-Leute, mit denen sie umging, die sie anhimmelten, saßen herum und bemerkten’s. Sahen her, sahen schnell weg, sahen her. Für Melissa waren sie in dem Moment Luft, Melissa Thalerhaus, so hieß sie damals noch (bevor sie den Nichtstuer *** heiratete, „aus finanziellen Erwägungen“, wie sie mir sagte – was keine Erklärung war, schon gar nicht Verständnis wollte, sondern bloß als Eröffnung einer unumstößlichen Sachlage gemeint war; übrigens hat sie nie mit ihm zusammengelebt; sie nahm seine Monatsschecks entgegen und begleitete ihn auf das eine und andere gesellschaftliche Ereignis; „ich repräsentiere die strahlende Gattin“, sagte sie mir, „das ist mein Vertrag, dafür werd ich bezahlt“). Jetzt küßte sie mich. Dann ließ sie mich stehen.
Am nächsten Morgen rief sie an. Sie war auch nach dem Kuß streng beim Sie geblieben. „Ich will Sie heute abend sehen“, sagte sie, „machen Sie sich frei.“ Das klang, als wäre man beim Arzt und, vor allem, nicht etwa Mann, sondern Frau. Und das am Telefon.
Ich folgte. Wir trafen uns in Harry’s Bar. Sie legte das Papier – es steckte in einer Klarsichthülle – vor mich auf den Tisch. „Wenn Sie mit mir schlafen wollen“, sagte sie, „dann müssen Sie das da unterschreiben. Ich akzeptiere keine Ansprüche.“
Ich zögerte nicht, aber war selbstverständlich beklommen. Der Vertrag hatte drei Paragraphen und sah sogar eine etwaige Hochzeit vor (der Nichtstuer *** war noch nicht in unser Leben getreten; es gab ihn noch nicht, kann man sagen) und einen ggbf. später beizufügenden Ehevertrag. Melissa trug ein giftgrünes Kleid, tief ausgeschnitten, das die Blässe ihrer Haut betonte; einmal, als sie sich vorbeugte, war der Anflug einer Bustwarze zu sehen. Sie hatte so dunkle Brustwarzen, daß ich später oft meinte, sie für schwarz halten zu müssen. Was mich immer um so mehr irritierte, als dieser keltische Menschentypus doch sonst zu Blaßrosa neigt. Bei Katzen, fällt mir jetzt ein, spricht man von ‚Abzeichen’. Melissa Thalerhaus’ Abzeichen waren tiefdunkel, alle. – Weshalb ich in der Vergangenheitsform schreibe? Das erzähl ich Ihnen noch. Aber die Wahrheit will vorbereitet sein.
„Eigentlich“, sagte Melissa, und in ihrer Stimme schwang ein ganz leichtfüßiger Spott, ja Humor, „muß man sowas mit Blut unterzeichnen.“ Sie lachte auf. „So ein Unsinn!“ rief sie. „Oh, mein Manhattan! Schauen Sie, das Glas ist schon leer! Hab ich wirklich so schnell getrunken?“ Dabei ließ sie den Vertrag wieder in die Sichthülle gleiten. Sah mich spitz an und setzte hintennach: „Das ist der fünfte.“ Dann winkte sie dem Kellner und zahlte. „Nein nein“, dies zu mir, „es ist m e i n e Einladung. Das gilt auch fürs Hotel.“

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