Paul Reichenbachs Samstag, der 9. Semptember 2006. Pathos und Spiegelbilder – “LA MISE A MORT”. Statt eines Tagebucheintrages.

Auszug: Louis Aragon . Spiegelbilder. Übersetzung: Eva und Gerhard Schewe.

Das Vergessen. Das Schweigen. Ich träume von dem, was schlimmer ist als das Vergessen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Menschen auszulöschen. Das ist wie mit den Ameisen, die man unter dem Daumen oder dem Absatz zerquetscht, die man in ihren Behausungen verbrennt oder denen man auf ihre vermutlichen Wege weißes Pulver streut, um ihr Leben zu zerstören. Es gibt die offensichtlichen Mittel, ich meine öffentliche, klar einzusehende, eingestandene Mittel, wenn man sie in Nationen zusammenfasst und dann eine oder zwanzig aufeinander hetzt. Es gibt die handwerkliche Art, Frauen , die man zerstückelt , um sie wie junge Hühner auf den Küchenherd zu schmoren, die saubere Indianerkunst, abgeschlagene Köpfe bis auf die Größe einer Kinderfaust zusammenschrumpfen zu lassen, die Haare bis zur Erde haben würde, die chemischen Verfahren, das Erdrosseln… aber das war es nicht, wovon ich im Traum heimgesucht worden bin. Ich träume von einem Tod, der ebenso groß und schrecklich ist , wie der Krieg, aber heimlich, dem alle Mittel zutöten recht sind und der sich darin gefällt, sie abzuwandeln, ein gleichermaßen empfindungsreicher wie hausgemachter Tod, ein Tod ohne Gesetze, der nicht immer ein Schafott, einen elektrischen Stuhl benötigt, dennoch ein Tod, der hier und da erhängt, der erschlägt, prügelt, bis der Durst gelöscht ist, auf immer gelöscht, der aushöhlt, ehe er zustößt, mit dem Geist beginnt, zuerst den Menschen im Menschen vernichtet, die Furcht noch der Peitsche vorzieht, ohne dies indes zu vernachlässigen, frohlockt, wenn er erniedrigen kann, aus dem Verdächtigen einen Verräter an seinesgleichen macht, ihn dazu bringt, dass er die Arme seines gemarterten Bruders festhält, in der grundlosen Hoffnung, der eigenen Marter zu entgehen, ein Tod, der alle vorherigen erlaubt, den Tod durch Qual, durch Hunger, durch Schmach. Ein Tod, der ebenso die plötzliche Kugel sein kann wie die lange Agonie, das so langsam vollstreckte Urteil ….Ich träume von einem Tod, dessen höchste Raffinesse darin besteht das Leben zu sein. Und der schrecklich ist deshalb, weil man nichts erhoffen kann, denn Leben ist ja Sterben. Ein Tod, gegen den sich niemand empören kann – wie sollte man die Menschen gegen ihn zusammenbringen? –, den anzuklagen undenkbar ist, ein Tod dessen Kosten man nie berechnen, dessen Ausmaß man nie absehen kann. Ein Tod im Namen dessen, was ich liebe, ein Tod im Namen dessen, woran ich glaube, ein Tod im Namen dessen, wofür ich bereit bin zu sterben. Und am Ende ist ein Tod dem anderen gleich; wenn man die Überlebenden vor ihn hinstellt…Ich träume von einem Tod, der so grässlich ist, dass er selber lachen würde, da er sich gerechtfertigt findet.

2 thoughts on “Paul Reichenbachs Samstag, der 9. Semptember 2006. Pathos und Spiegelbilder – “LA MISE A MORT”. Statt eines Tagebucheintrages.

  1. Bitte mein Herr, ihr Helles !

    Da streiten sich die Leut’ herum,
    um einen Stab der grade, krumm
    und eine Mütze, die hoch steht.
    Doch seht !
    Ganz hinten winkt ein Kellner uns,
    sein Frack ist ein Skelett.
    Der Knochenmann er lockt und singt,
    bevor die Seele Helles trinkt.

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