Arbeitsjournal. Mittwoch, der 11. Oktober 2006. Bamberg. Berlin.

5.45 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Jetzt nehme ich die Arbeit and den Elegien wieder auf. Allerdings dadurch eingeschränkt, daß ich ab Montag in Frankfurtmain den >>>> PETTERSSON produzieren werde, dessen Typoskript gestern mittag nach letzter Durchsichtan den Hessischen Rundfunk ging. Mein Redakteur rief nachmittags an, ich war sehr unruhig, wie das Stück ankäme. Selten habe ich etwas so unfertig abgegeben, so unabgeklopft. Ich hätte noch zwei weitere Wochen zur Überarbeitung gut gebrauchen können. Aber er stellte zu meiner Beruhigung (und auf mein nervöses Nachfragen) gestern durchs Mobilchen fest: „Klar ist’s gut, erwartungsgemäß.“ Das verschafft mir ein wenig innerer Ruhe.
Eine Rosenknospe hab ich hier im Garten entdeckt, die wohl nicht mehr aufgehen wird, eine gelbe Knospe, als wäre sie ganz frisch. So stand sie am Ästchen im Nebel; bisweilen ist hier schon Bodenfrost, und sie wird wohl nicht mehr aufleben können. Darüber skizzierte ich eine Gedichtzeile, an der ich auch noch etwas sitzen will. Aber es geht nachher zurück nach Berlin; freilich, mein Junge und ich werden schon morgen wieder hierher zurückfahren und bis zum Sonntag bleiben. Da kann er seine letzte kurze Ferienzeit noch mit den neuen Freunden durch die Gärten und Wäldchen und über die Hügel toben.
Gestern abend das >>>> San-Michele-Stück im Saal der Concordia vor den Künstlerkollegen vorgeführt; mein Eindruck: es kam nicht recht an. (Die Regel lautet: Hören Kollegen zu und sagen hinterher nichts, dann mochten sie nicht, was sie hören. Mochten sie’s, dann sagen sie es auch. Ich selbst halte es damit gar nicht anders.) Auch ist die Akustik in dem Saal furchtbar, vieles ging einfach unter, als hätten die Sprecher damals jeden zweiten Satz verschluckt. Vielleicht lag es also daran. Aber die, auf die es mir ankommt, saß im Auditorium, und sie… s i e sagte: „Das ist schön geworden“. Und das ist mir das Eigentliche gewesen und ist’s n o c h. (Eine gute, wenn auch etwas bittere Erfahrung: wie eine spezielle Raum-Akustik vieles kaputtmachen kann, das in einem ‚trockenen’ Raum und schon gar mit Kopfhörern sehr gut funktioniert. Überdies ist ja gerade SAN MICHELE ein höchst intimes und kontemplatives Stück, das sich ganz offenbar in jedem Wohnzimmer duftender entfaltet als in der repräsentativen Gegenwart eines halbgroßen Saales. Man muß so etwas bedenken.)
Es ist kalt geworden morgens, sehr kalt, ich bin wieder ganz mit Tüchern bedeckt, wenn ich tippe.
Bin voller Liebe.

22.31 Uhr:
[Berlin Schönhauser, Küchentisch.]
Ein später Abend für mich allein; aber obwohl ich heute früh mit der achten Elegie begann und auch den Ton traf, bin ich abends wie gewöhnlich gelähmt, was Arbeit anbelangt. Und die Freunde waren/sind nicht disponibel. Also schaue ich Filme. (Zu lesen ist für mich schon seit Jahren kein Akt der Freizeit mehr; ich brauche dazu bei j e d e m Buch einen Schreibtisch, einen Tisch zumindest, und einen Stuhl davor. Oder ich gehe, bewaffnet mit Bleistift und Notizbuch, hinaus und lese auf einer Bank. Schon, mich zu legen, etwa auf eine Wiese, ist unmöglich, wenn ich lesende Konzentration halten will.)
Immerhin läuft es mit den Elegien, wie ich es mir aber auch gedacht hatte. Ebenso wird es mit ARGO sein, wenn ich an den Rest gehen werde: ich finde immer sofort den Ton. Dafür läßt mich das Gedicht mit der Rose noch im Stich; aber bei den >>>> Engeln hat es ja a u c h fast vier Wochen gebraucht, bis ich über die ersten drei Zeilen hinauskam. Manches denkt sich, es hat wenig Sinn, etwas zu zwingen. Das Unbewußte arbeitet, wenn das Vorhaben denn etwas i s t, ganz im Untergrund für sich selber weiter und überrascht einen dann.
Einiges wurde mir über Bamberg klar; ich sprach heute früh mit der Geliebten darüber. Wie dieser Ort ein Plateau für mich ist, eines der Besinnung, das einen für einige Zeit aus dem Vorwärtsrennen hinausnimmt: „Stell dir vor“, sagte ich, „ich und Kontemplation!“ Mir kommt alles wie Lebensmitte vor; man schaut aus den Scheiben auf Kiesterrasse, Brüstung, darunter den kleinen Garten, dahinter die Regnitz; man schaut und rechnet zusammen, zwischenbilanziert. Es ist geborgte Aus-Zeit (auch wenn es persönlich alles andere als das, vielmehr auf seine Weise überaus dramatisch ist).
Zum Persönlichen, Leser, noch ein Wort, das einiges auch über Weblogs, sogar Literarische, verrät: Daß ich in den letzten Tagen hier sehr zurückhaltend mit Äußerungen war, eben aus persönlichen Gründen, hat mich ungefähr 150 Zugriffe täglich gekostet; im Mittel liege ich jetzt wieder bei (IP-bereinigt) 350 pro Tag; dabei waren die Zugriffe davor so enorm in die Höhe geschnellt. Gelesen wird offenbar tatsächlich nur das Aktuelle, was hinten auf dem Zeitstrahl verborgen liegt, besitzt so wenig Valenz wie ein vor einem Jahr erschienenes Buch in der Wahrnehmung des Feuilletons, und es ist ganz egal, welchen Wert Beiträge tatsächlich hatten. Niemand – oder nur selten jemand – klickt sich in den Rubriken nach früher durch. Insofern denke ich jetzt, es wäre s c h o n ganz gut, etwa aus den Paralipomena ein Buch zu machen.
Mehr mag ich heute nicht mehr schreiben. Sehen Sie es mir nach. Aber das d o c h noch: Der Zuspruch für SAN MICHELE tut gut. Schlafen Sie alle wohl.

8 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 11. Oktober 2006. Bamberg. Berlin.

  1. unwichtig für Sie literarisch deplatziert, trotzdem, berührt mich die beschriebene rosenknospe. ihr nicht aufgehen können. lässt träume heran fliegen, fantasien und vorstellungen über die schönheit des wie es wäre, wenn es wäre. – ein berauschender, seeliger, realitätsferner zustand auch eine vase in einem warmen zimmer zwischen menschen mit gefüllten teetassen würde sie vermutlich nicht dazu bewegen können. oder doch. hoffnungsvoller zwang. die rose ist außerdem gelb.schon das spricht dagegen. ich weiß nicht und mag erfrorene blüten mit eiskristallsternen ebenso gern betrachten.

    einen frohen tag Ihnen ….

  2. Manchmal ist es besser, wenn wir das Unmögliche nicht ermöglichen – dieser berauschende Zustand findet sein Ende, wenn er erfüllt wird… wir zerstören es. Es ist allerdings noch schlimmer, wenn man sich erkennt und weiß, dass es lebbar wäre, aber auf Grund der Umstände – für ein Gefühl von „Richtig“ – nicht möglich ist. Diese Knospen, die vor der kommenden Kälte nicht mehr aufgehen, schaut man so lange an, bis der Augenblick gekommen ist – und selbst dann stockt die Bewegung, die die Schere zur Knospe führt. Rosen müssen ja beschnitten werden, damit sie im nächsten Jahr wieder blühen….

    1. mag sein und nicht nur – rosa rubiginosa – gattung wilde rose – pur und fast zu übersehn – aus blüten werden samen und ein teppich ohne anspruch – ganz wie fast von selbst mit wind und sonne ungezüchtet. voller duft unbeschnitten. die sehnsucht stirbt mit der erfüllung. das genau ist genuss (finde ich).

      unmöglich ist etwas nur aufgrund der e i g e n e n entscheidung – für oder/und gegen etwas.selbst dann nicht -ich kann mich umentscheiden – einen tag später (lacht vor freude am leben.)

  3. Es ist schön, die Stimme Ihres Sohnes zu hören. Sie haben vollkommen recht mit Ihrer Einschätzung des Anhörungsortes. San Michele habe ich über die Computer-Lautsprecher gehört, das war schon viel besser als in einem Saal. Doch noch besser wäre es direkt im Radio zu hören, in der Küche, beim Adventkranzbinden, am besten zwischen 20:00 und 21:00 Uhr. Absichtlich schon vor Weihnachten, um das Zurückholende zu betonen. Vor zwei Wochen konnte man bei uns noch bei geöffneter Küchentür ganz laut die Grillen hören. Das wäre dann Konkurrenz.
    Wenn ich SAN MICHELE höre, wird die Verbindung zwischen Sprache und Musik ganz eng, fast wird eine Differenzierung unmöglich. „….SPIELEN….“

    1. dann hand drauf
      auf die linke flanke
      zurück holen
      wider allem
      doch

      „daß im kalten winkel
      die rose dennoch blüht …

      wünsche!“
      wünsche!

  4. Konzertsaal/Intimität am Beispiel von San Michele. Lieber Alban,

    Ich wollte mich gestern nicht in die Reihe derer drängen, die das Wunder von San Michele mit Recht lobten. Ein großer Raum ist für ein Hörstück, das akustisch für ein Wohnzimmer konzipiert wurde, völlig ungeeignet. Das Stück verlangt konzentriertes Hören, das in Gemeinschaft nur in einem Konzertsaal möglich ist. In einem Kammerkonzert oder einer sinfonischen Aufführung kommt hinzu, dass die Zuhörer ein gemeinsames Interesse eint, das keine Ablenkung von ihm duldet. Das Interieur eines Tagungsraumes etwa, in dem eine andere Form von Gemeinschaft stattfindet, ist bewusst auf Kommunikation ausgerichtet. Wirkliches Einlassen auf einen Hallpunkt oder auf ein Gemälde von Geräuschen, Lauten und Klängen verlangt Einsamkeit und die entsteht in solchen Räumen mehr aus kommunikativem Missverständnis, statt durch Konzentration auf einen Gegenstand. Das „Wunder von San Michele“, eine tiefgehende, wundervoll umgesetzte poetische Klangidee, fordert von den Hörern einen paraten, humanistischen Bildungsvorrat, der heute selten ist, und ein geöffnetes, durch nichts, aber auch gar nichts, abgelenktes Herz.

    In diesem Sinne lass es Dich nicht verdrießen. Alle Deine Arbeiten für den Funk hinterlassen bei mir nach dem Hören nachhaltige Gefühle und Gedanken.
    Ich freu mich schon auf den Petterson, auch weil ich ahne, wie schwer der Stoff zu erarbeiten war.

    Dir und den Deinen eine gute Zeit wünscht
    montgelas

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