7.21 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Ich hasse sowas. Diese Art Krankheit hat eine Tendenz, einen wehleidig zu machen, das haß ich besonders. Also versuche ich, sowohl klug zu sein, wie diszipliniert an der Arbeit zu bleiben; sprich: ein Kompromiß ist erfordert. Und darin bin ich nicht gut. Immerhin sah er eben s o aus, daß ich zwar um halb fünf erwachte und auch wach war, aber völlig durchgeschwitzt und etwas trancehaft, weshalb ich mir auferlegte, bis sieben Uhr liegenzubleiben, damit der Körper genug Schlafenszeit habe, um sich zu stärken. Es war wirklich ein Entschluß, und wirklich schlief ich wieder ein und erwachte ein zweites Mal fünf Minuten v o r der neu eingestellten Weckerzeit von einer Art innerer Fanfare, die aus genügend Ferne und schön genug hertönte, um mir nicht mein schlechtes Arbeitsgewissen um die Ohren zu hauen. Dennoch, klar…. n e i n, u n k l a r… hatte ich sofort einen Hustenanfall.
Das geht so seit gestern nachmittag. Spontan, ohne jede Vorwarnung, fing diese Grippe diesmal an, trockner Husten, der die Augen tränen läßt, so daß der Bildschirm des Laptops verwischt*, ‚zue’ Nase, fiebriges Kalt an den Schenkeln. Wurde heftiger zur Nacht. Mir h i l f t ja immer Schlaf, ich k a n n auch sofort schlafen, wenn ich will, aber ich will eben nicht, sondern will die zehnte Elegie beginnen. Außerdem hab ich mein ausgesprochen hilfreiches Metavirulent, wenn auch nicht mehr viel Wirkstoff in der Flasche ist.
Ein herrlicher Herbstsonnenaufgang entschädigt; Regen könnte ich jetzt g a r nicht brauchen, Nebel auch nicht, Verhangenheit hab ich grad in mir selber genug. Die Geliebte gestern abend am Telefon, angenehm mitleidlos (ich kann, wenn ich krank bin, Gehätschel nicht leiden, das macht mich immer erst richtig unwirsch): „Vielleicht rauchst du mal ein paar Tage nicht, trinkst keinen Alkohol und schläfst genug.“ Recht hat sie, aber d a s ist schwer, nicht die Arbeit. Schöne, ich hab Deinen Rat heute zweieinhalb Stunden lang befolgt.
Gerade erstrahlt die von der Nachtnässe bis ins Undurchsichtige verwischte Terrassentür in einem ganz hellen Gold.Das ist aber auch sowas von schön! Damit könnte ich eigentlich die Zehnte Bamberger Elegie, die über Musik, beginnen lassen.
12.53 Uhr:
Die zehnte Elegie geht >>>> ganz andere Wege, als ich es vorhatte; kein Wort ist bislang von Musik. Aber ich habe mit dem Gold des Morgens begonnen, habe den Eindruck aufgenommen und wollte ihn festhalten, dann folg ich ihm jetzt auch. Benebelt aber, Kopfschmerz, dicke Augen. Eßkastanien rösten in der Pfanne, das halt ich dagegen. Und den Mittagsschlaf gleich
16.37 Uhr:
[>>>> Beethoven, op.111, Pollini.]
Geradezu von Schlafblei hinuntergezogen, schlief ich. Alles verlangsamt heute, zäh. Und dennoch, ich tu was. Leider werde ich selbst >>>> den PETTERSSON heute nicht hören können, was ich gern täte, schon um zu spüren, wie er ins andere eingebettet ist. Aber der hr strahlt nicht online aus, ich hab hier kein Radiogerät, und ausgehn kann ich in meinem Zustand nicht. (Leukert schrieb vorhin, er habe sich als Abschlußstück nach dem PETTERSSON für 10’30 der Harmony IV aus den 44 harmonies from Apartment House 1776 von John Cage John entschieden: „Lift up your heads“.
Das gibt eine schöne, weil nicht platt trallala entlastende Wirkung. Damit bleibt gut in der Schwebe, was Du dorthin gebracht.).
So neugierig wär ich drauf!
Schlürfe, dick eingepackt bei offener Terrassentür und Knie und Schoß im Schlafsack, eine heiße Hühnerbrühe. Pollini spielt mir aber zu weich, jedenfalls den ersten Satz; man hat den Eindruck, er wolle das Maestoso schnell hinter sich bringen. die Arietta-Variationen fangen hingegen soeben ganz wundervoll an. — Aber nu wird’s auch schon wieder zu leidenschaftslos-weich.
21.46 Uhr:
Ich sitze immer noch über der zehnten Elegie, will aber gleich die Arbeit beschließen für heute, eh ich mich unlocker festfreß. Außerdem ist ein mir wichtiger Feiertag, und von überall her läuten Glocken jetzt durch die Nacht. Das schrieb ich eben einer Leserin, die bedauert, den PETTERSSON, der nunmehr läuft, nicht hören zu können, weil sie keinen hr-Empfang hat:
Hier läuten gerade sämtliche Bamberger Kirchen Allerheiligen ein – also eigentlich, vorchristlich, Samhain, die Nacht, in der sich die Pforten der anderen Welt öffnen und sich Tote und Lebende, Menschen und Geister ununterscheidbar mischen – die tiefste Nacht, mit der wirklich die Dunkelheit anhebt, die erst zu Weihnachten, der Wintersonnwende, sich wieder ins Licht rückt.
Das ist nun, fast selbstverständlich, Thema der zehnten Elegie geworden. Schön, daß der PETTERSSON, ein Requiem, genau in dieser Nacht ausgestrahlt wird.