Arbeitsjournal. Montag, der 6. November 2006. Berlin. Bamberg.

4.46 Uhr:
[Berlin Küchentisch.]
Ob ich lange so leben kann, weiß ich nicht. Habe schwer geträumt, wie bewußtlos geträumt, also tat es nicht eigentlich weh. Ich verhalte mich wie bei Zahnweh: schweige auch im Traum in mich hinein, werde wirklich ganz schwer und warte nur ab. Auch diese Reaktionsform ‚wähle’ ich nur dann, wenn eine Situation aus eigener Aktivität nicht zu lösen, sondern Aktivität sogar hinderlich ist oder sogar zerstörerisch wäre. Wo ich einem Geschehen ausgesetzt bin – es sind wenige -, von denen ich spüre, ich kann sie nicht wenden, sondern nur der Zahnarzt kann es oder ein Wunder. Möglicherweise rührt meine Beschäftigung mit dem Tod, die mir seit den >>>> Bamberger Elegien selbstverständlich nicht unbemerkt ist, auch daher. … daß sich das Wunder noch einmal begebe… diesen Satz allerdings hatte ich n i c h t bewußt gschrieben. (Meine Prokelei an dem >>>> ‚Samhainchen’ scheint mir einen ganz ähnlichen Grund zu haben. Interessant dabei ist allerdings, >>>> wie das Dingerl auf einige unter Ihnen, meine Leser, >>>> übergesprungen ist. Denn auch außerhalb Der Dschungel bekomme ich dauernd Emails mit neuen, anderen Versionen).
Das mit dem Rauchen, also aufzuhören, ist auch noch nicht gelungen. Mein Wille ist geschwächt. Die zehnte Elegie stockt. Kann man das von sich sagen, daß man ‚glücklich resigniere’ und eine Depression habe, deren Boden das Glück sei? Erschwerend tritt hinzu, daß ich all dies nicht mehr austragen kann, wie es meine Art ist: publizierend, öffentlich darüber nachdenkend, es diskutierend und dadurch klärend. Da ich doch >>>> das Tagebuch Der Dschungel nicht weiterführen kann. Und ich darf nicht das eine hineinschreiben, das andere aber nicht; so etwas verriete wiederum die F u n k t i o n des Tagebuchs, die eben auch eine literarische, produktivitätsästhetische ist. Wie einer, der die Strafgewalt eines totalitären Staates fürchten muß, bin ich nunmehr auf Verschlüsselungskünste angewiesen; es mag aber auch sein, daß dies meine Arbeit neue, andere Qualitäten entwickeln läßt mit der Zeit. Ich habe keine Ahnung, ob aber dieser Gedanke nun wiederum nichts als eine Volte ist, die ich g e g e n die Arbeit, selbstpfiffig, wende.
In etwas mehr als einer Stunde breche ich von hier nach Bamberg auf. Es ist viel zusammenzupacken; es wird wegen der >>>> Lesung im Kloster Aldersbach am Freitag eine lange Bamberger Woche werden, bevor ich wieder heimkann zu meiner Familie.

Vielleicht komme ich im ICE an der zehnten Elegie weiter; vielleicht beginne ich sie noch einmal ganz von vorn; vielleicht hat mich der am Donnerstag gefallene Schnee, den ich in den Anfang der Elegie hineinnahm, auf eine Fehlspur gesetzt und gleich in der ersten Zeile muß die Musik stehen. Es kann sich nur schwer etwas Lebendes aus dem, das erstarren wird, erheben.

6.39 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg. Kurz vor der Abfahrt. Platz opus 111.]Ich will schon zufrieden sein, wenn ich die elfte Bamberger Elegie in dieser Woche als Rohfassung fertigbekomme; darauf will ich mich nun konzentieren. Außerdem, als mein Junge gestern in der Musikwerkstatt der Staatsoper mit anderen Kindern beschäftigt war, da spazierte ich durch das regendurchnäßte Berlin-Mitte, und mir fiel ein Gedicht auf Berlin ein, eine Wiederentdeckung, ein wieder Vertrautsein. Zugehörigkeit. Daran feile ich vielleicht jetzt während der Fahrt.
(Ich habe, stellte ich eben fest, Ratzfelix in der Kinderwohnung vergessen. So scheine ich überall anders zu sein, nur nicht in der tatsächlichen Realität. Ich lasse sie nicht an mich heran. Auch das gehört zur Selbst-Dämpfung, einer stärkenden, von der ich hierüber schrieb. Wie dicke vollgestopfte Watte zwischen ihr und mir jeder Zwischenraum.)

23.13 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Sehr sehr schöner Abend mit Zschorsch, der erzählte. Ich ging kurz drauf ein, daß er neulich meine Lesung verließ; er lenkte kurz und brüderlich ein; da war es okay für mich. (Und wie gut, daß ich es ansprach – einem dringenden Ratschlag des Profis folgend; kostete Mut, und brachte deshalb, was wichtig ist. Eine wunderschöne, grausame möglicherweise… also: möglicherweise wunderschön grausame Liebesgeschichte beginnt, nein, setzt sich fort, und, wie Z. sagte: „Du hast sie eingeleitet.“ Jetzt mein Gefühl, ich habe auch ihn in die Ausweglosikeit verführt, die uns Höhepunkte erleben läßt, die ganz unvergleichlich sind; die uns aber auch in ein Chaos stürzen können, das ebenso unvergleichlich ist: ins Leben also.)
Nach dem so depressiven Beginn dieses Tages endet ihn ein Hochgefühl. Danke.

Ich habe am Anfang der elften Elegie herumoperiert. Der Satz mit dem sich öffnenden Becken war der Schlüssel. Wahrscheinlich bekommen Sie morgen endlich Text. (Ich hab so viel getrunken, daß das korrekte Tippen nicht ganz leichtfällt – morgen früh werd ich’s kontrollieren. Aber a u c h schön: „Du mischst dich da nicht ein.“ Und ich, ganz gewiß: „Ich liebe ohnedies, ich bin gar kein Gegner.“ Das sagen zu können! Bei einer so schönen Frau…)

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