Arbeitsjournal. Sonntag, der 12. November 2006.

4.47 Uhr:
[Berlin, Schönhauser. Küchentisch.]
Will sofort an die >>>> zwölfte Elegie und schreiben, bis ich den Jungen hole; vielleicht auch danach noch etwas. Aber „Bäume“ sind zu lernen mit ihm für die Schule (ich werd mit ihm kurz in die Arbeitswohnung radeln, wo, noch aus >>>> WOLPERTINGERZeiten ein Buch zur Baumbestimmung auf dem Schreibtisch steht), und nachmittags gehen seine Freundin C. und wir in >>>> die Kinderoper („Pinocchio“, eine Produktion der Komischen Oper Berlin) ; ich werde drüber fürs >>>> Opernnetz schreiben; seit langem nun wieder eine Opernbesprechung; ich nehme diese schöne Arbeit nun allmählich wieder auf. Die >>>> Staatsoper Unter den Linden inszeniert eine der mir wichtigsten Opern überhaupt, >>>> Busonis „Doktor Faust“, darüber schreibe ich dann mit Sicherheit auch. Womit ich, sozusagen, „die Normalisierung von Bamberg“ einleiten werde. Dann werden auch bald die Zwillinge dasein, dann werd ich (ach, so gern nähm ich meinen Sohn mit!) die vier Tage auf Stromboli verbringen, >>>> dieses Auftrags wegen. Dann werden schon die Liebesgedichte herausgekommen sein usw.
Die >>>> Vaterelegie beschäftigt mich sehr; es ist ganz viel drin eingebunden und wird nun Laut, das über die Jahrzehnte meine heutige, sagen wir, Geschlechter-Haltung bewirkt hat, auch dieses – gerade für mich! – so Konservative, ja, gemessen am demokratischen Fortschritts-Stand, Reaktionäre. D a s beschäftigt mich, dieses, was wie eine Kehre ausschaut. Obwohl es, seh ich genauer hin, bedenk ich’s genauer, das eigentlich nicht ist, sondern eher eine Konsequenz aus meinen Beschäftigungen mit der kybernetischen Technologie und Ästhetik, an denen beiden ich ihrerseits durchaus festhalte. Mir ist selbst noch unklar, wie sich das eindeutig verbinden läßt; möglicherweise muß auch hier auf A m b i v a l e n z beharrt, muß sie ausgetragen werden, anstatt daß man’s im scheinbaren Interesse einer modern-moralischen Gesellschaftsordnung verschweigt. So ist aber nicht auszumachen, wo und aufgrund wessen sich endlich ein Frieden zwischen den (kunst-)demokratischen Betrieben und mir entwickeln kann. Hinzu tritt eine gewisse Müdigkeit; ich bin fast geneigt, mich gar nicht mehr weiter um große Verlage zu kümmern, die ARGO so herausbringen könnten, daß mir davon auch ein wenig finanzielle Sicherheit würde; daß >>>> Dielmann das Projekt edieren will, dem bin ich fast schon gänzlich geöffnet und muß dann halt sehen, woher das Unterhaltsgeld für Leben kommt.
Und dieser Satz, den mein Junge jetzt trägt (>>>> „Wilde Kerle“ – Fan, der er ist), was mir wohltut – dieser Satz geistert und geistert in mir herum:

Alles ist gut, solange du wild bist.
Ist damit nicht eigentlich genau das gemeint: ein Wahlspruch derer, die Nietzsche „freie Geister“ nannte? Die eigenen Meinungen, Haltungen und Irrtümer offen vertreten (auch offen scheitern, womöglich), so sehr die Gesellschaft drumrum auch pressiert? Und auch auf die Gefahr hin, daß man mißverstanden wird?

9.51 Uhr:
Die >>>> Elegie läuft. Dann, nachdem der Junge hierwar und wir zuvor noch den radelnden Abstecher in die Arbeitswohnung gemacht hatten, hab ich endlich für >>>> tisch7’s Nomaden-Reihe die Essays zusammengestellt, die in den für Herbst 2007 geplanten Poetik-Band „Kybernetischer Realismus“ hineinkönnten; vielleicht sollte ich heute auch endlich gleich noch das Exposé für den >>>> horen-Band über das ANDERSWELT-Projekt schreiben… Aber es wird erstmal Zeit ‚frühzustücken’.

21.04 Uhr:
[Bach, Kunst der Fuge im >>>> DänenNetzradio.]
Etwas chaotischer Nachmittag und Abend, nachdem mein Bub, zehn Minuten vor Pause in der Kinderoper, „Papa, mir wird grad so schlecht“ sagte und ich: „Dann laß uns schnell hinaus!“ – nur daß wir im hinteren Drittel der achten Reihe saßen, beide Kinder – auch C., meines Jungen Freundin – ihre Schuhe erst wieder anziehen, dafür aber erst suchen mußten… und die anderen Hörer reagierten nicht schnell genug, jedenfalls kam der erste Schwall noch in der Reihe, wenn auch an ihrem Ende… ich hielt den Burschen, wie ich konnte, er würgte und würgte… draußen rief ich die Logenschließerinnen, die eher entrüstet reagierten als hilfehell; „es tut mir sehr leid, aber ich muß mich wirklich um mein Kind kümmern“ und zu C.: „bitte warte hier ein paar Momente“, vor der Herrentoilette also, in deren eines Becken sich der Junge dann weitererbrach. Danach war ihm besser, und es schellte zur Pause. „War es so schlecht?“ fragte die Garderobiere, als ich die Mäntel wollte. „Aber nein, nur meinem Jungen ist schlecht geworden.“ „Ach so, ach so“, d a war sofort begriffen. Es tat mir furchtbar leid, um alles, den Jungen, die Veranstaltung, die von mir zu schreibende Kritik. Aber das wichtigste ist, daß es dem Bub jetzt schon etwas besser geht. C. kam noch mit zu uns, die Kinder spielten, nachdem ich Fieber gemessen hatte und wegen 37,7 keinen Alarm geben mußte. Die Geliebte rief dann noch an vom Jobben; mit ihr am Ohr kam der Junge auch zur Ruhe; allerdings las ich ihm noch fast eine dreiviertel Stunde lang vor.
Jetzt schläft er, und ich schau etwas desolat auf meine zwölfte Elegie, möchte gern noch was tun, kann’s aber nicht richtig. Und dem Profi, der mit mir hatte später noch ein Bier trinken wollen, sagte ich ebenfalls ab; momentan ist’s verzwickt mit uns, sich zu treffen. Aber ich fahr hier selbstverständlich nicht weg, auch nicht auf ein Stündchen, wenn’s meinem Kind nicht so gut geht. Dann überläßt man eine ‚Schlafwacht’ auch nicht Freunden.
Vielleicht fallen mir ja noch zweidrei Elegiezeilen ein; ansonsten werd auch ich früh schlafen gehen. Ob man den Jungen früh zur Schule schicken kann, ist ebenfalls sehr ungewiß. Mal sehen, wie die Nacht wird. Damit könnte dann allerdings das morgige Arbeitspensum kippeln.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 12. November 2006.

    1. Sendak kenne ich auch; das Buch war ein Geschenk Christa Bürgers. Die „tragenden Leidenschaften“ sind bei den Wilden Kerlen a u c h da, bereits im ersten (dem besten) Film; man kann schön darin anschauen, wie sie sich entwickeln, ganz noch in eine Kindlichkeit gewickelt, die doch reifer ist, als Erwachsene es gerne wahrhaben möchten, in aller Regel jedenfalls.

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