Ein Neujahrswort zum Mord am Tyrannen.

Schon morgens in jedem Boulevard-Blatt die letzten Bilder des Diktators: „gebrochen, aber uneinsichtig“, wie es heißt. Ein Henker legt dem Mann die Schlinge um, ein zweiter zieht sie zu. Privatsender brachten, ist zu hören, eine Aufzeichnung der Exekution im Netz. Man muß über Demokratie und Moral eigentlich nicht m e h r schreiben, um zu wissen, was von beider Verhältnis zu halten ist. Die Hinrichtung hat in Wahrheit einen antik-römischen Character und s o l l ihn auch haben. Aber damals glaubte man nicht an Demokratie, man glaubte auch nicht an die Aufklärung und nicht an die Wissenschaften, schon gar nicht solche der Seele.
Nein, Die Dschungel ist n i c h t der Meinung, daß Saddam Hussein n i c h t den Tod ‚verdient’ hätte; aber unabdingbar bleibt in einer Moderne, die sich dem G e i s t verpflichtet hat, daß die Todesstrafe für einen rein barbarischen Akt steht – und für einen purer Machtdemonstration, die noch den Tod für warenartig praktikabel hält. Dafür stehen herausragend-beschämend bis heute die USA. Man muß sich nur anschauen, wie der eine der beiden Henker aus seiner Kapuze herausschaut – daß man sehen kann, er trägt einen Schnäuzer, das reicht schon völlig hin, eben dieses ‚Menschliche’, Individuelle an ihm, um zu begreifen: Länder, die Verurteilte hinrichten lassen, stellen M ö r d e r von Berufs wegen ein und unterhalten sie, Mörder zudem, die aus nichts als aus Feigheit bestehen, da sie ja keinerlei Risiko tragen, wenn sie staatshalber umbringen dürfen. Ehrenloseres läßt sich nicht vorstellen, jeder Berufskiller ringt einem dagegen Achtung ab.
Hätte freilich einer der Soldaten, die Saddam Hussein fanden, hätte gar ein Nachkomme und/oder sonstiger Verwandter all jener Tausenden, die von diesem Diktator so furchtbar geschädigt wurden, die Waffe gezogen, als man den Mann ‚aus seinem Erdloch’ zog, und auf ihn abgedrückt – es wäre dagegen nichts einzuwenden gewesen, nicht einmal etwas gegen eine Z e r s t ü c k e l u n g vor Ort. Wohl aber ist etwas – ist a l l e s – gegen die Todesstrafe aus Rechtsstaatlichkeit einzuwenden: sie nämlich muß fragen: „Weshalb wurde jemand so, wie er wurde?“ – dann muß man sich dem Wissen über das menschliche Gehirn aussetzen als eines Organs, das chemischen/physikalischen Gesetzen folgt und rein nach Ursache/Wirkung reagiert… – dann ist der ganze Begriff der Schuldhaftigkeit ohnedies nicht mehr haltbar. Und man muß erkennen, wie wenig – nämlich gar keine – Freiheit bei den Entscheidungen und den angeordneten Massakern in diesem Mann gewirkt hat. Eine Rechtsstaatlichkeit, die an die Wissenschaften glaubt, kommt mit ihrer Straffähigkeit notwendigerweise in Konflikt. Wobei der Konflikt im Fall Saddam Husseins gut zu lösen gewesen wäre, ehrenhaft heißt das, und zwar auch n a c h dem Richtspruch der Ankläger noch… aber vielleicht schon, haltungshalber, bereits vorher… Jemand betritt die Zelle, sagt keinen Ton, beugt aber auch nicht den Blick, tritt auf den Diktator zu, legt eine Pistole vor ihn auf den Tisch, verbeugt sich knapp, dreht sich um und schreitet wieder hinaus…

4 thoughts on “Ein Neujahrswort zum Mord am Tyrannen.

  1. Dass Sie diesen Beitrag in der Rubrik LOYOLA publizieren, hat mich nachdenklich gemacht. Und es IST – merke ich jetzt – eine berechtigte Zuordnung, da im Katholizismus (unter anderen Vorzeichen freilich) dieselbe – in einem Punkt zumindest – Haltung zu Schuld vertreten wird: Dass der Mensch für seine Schuld nichts kann insofern, als er im Schatten der Erbsünde geboren wurde, schuldig geboren wird. Oder auch so: Der Mensch kann nicht anders, als schuldig zu werden, sich schuldig zu machen. (Konsequent durchgedacht dürfte der Katholizismus – wie Sie – gar nicht von Schuld sprechen, da Schuld eine moralische Kategorie ist und Moral ein Wollen (hierfür oder dazu) voraussetzt. Wo kein freies willentliches Mittun ist, kann von Moral oder Schuld keine Rede sein. Ein ent-schuldigtes Konzept der Erbsünde käme Ihren Vorstellungen sehr nah.

    1. Das ent-Schuld-igte Konzept der Erbsünde. Sie haben recht. Da aber der Begriff Erbsünde derart belastet ist, faßte ich ihn lieber profan: Wir m ü s s e n, um leben zu können, töten. Das gilt nach wie vor – und darauf auszuweichen, ‘nur’ Pflanzen umzubringen, wie es der Vegetarismus versucht, i s t eben nur ein Ausweichen und bedeutet, sich in sämtliche Körperöffnungen hineinzulügen. Am deutlichsten wird das bei Veganern, die, wenn sie ihre Eßhaltung selbst in der Schwangerschaft durchhalten, behinderte Kinder zu Welt bringen. Auch das ist ein Verbrechen. Wir kommen nicht heraus. Und wenn wir dieses Leben und diese Welt wollen, müssen wir bereit sein zu töten. Deshalb spräche ich statt von Erbschuld lieber von Verstrickung in Notwendigkeiten, also von biologischen Gegebenheiten, in denen wir leben – und n u r in denen. Wi machen uns schuldig, denn was wir essen, hat uns ja nichts getan. Das gleiche gilt bei der Arbeitsplatzsuche, wie nehmen i m m e r jemandem anderen den Arbeitsplatz w e g. Usw. Wir leben in einem System des Konkurrierens: so durch die gesamte Evolution. Nur w a s sich als stärker erweist, ob etwa geistige oder körperliche Kraft das Entscheidende ist oder ob finanzielle Macht usw., das ist von vornherein kaum kenntlich. D e s h a l b – ich habe das immer mit leicht neidischer Bewunderung angesehen – kennt der Katholizismus das Abtestat: eine der menschlichsten Errungenschaften, die mir vorstellbar sind, eine der mildesten und der weisesten. Die nämlich auch nicht vergißt, daß ein Saulus (als solchen ließe sich Saddam Hussein christlicherseits ansehen) ein Paulus werden kann, daß es diese P o t e n z in Menschen gibt. “Selbst der schlechteste Mensch hat den zehnten Teil”, heißt es bei Stevenson.
      Gäbe es einen Katholizismus ohne Gott, ja, ich konvertierte. Von da – aus dieser Erfahrung – entstand die ganze Loyola-Rubrik.

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