4.55 Uhr:
[Berlin. Am Terrarium.]
Um Viertel vor fünf auf; hier dauert es immer etwas länger, bis ich zur Arbeit komme, weil ich vorher den Laptop aufbauen muß auf dem kleinen Plätzchen neben den Skinks, den Laptop mit dem Handy verbinden, um ins Netz zu kommen usw.
Viel ist gestern nicht geschafft worden, an ARGO kam ich nicht, doch es sind Schulferien und ich mag mich da auch besonders um den Jungen kümmern; außerdem kostet der COUP mehr Zuarbeit, als ich gedacht hätte, – vor allem innere, planende, andre in Bewegung setzende. So gehen von hier allerlei „geheime Depeschen“ hinaus und kommen wieder herein, die ihrerseits der Aufmerksamkeit bedürfen. Man weiß ja nicht genau, wen man einweihen darf, wen aber auf gar keinen Fall und wen nur bis zu welchem Umfang. Der Profi ist sowieso schon leicht sauer auf mich, weil ich mich, seinem Bedenken nach, öffentlich zu offensiv gebe und in, wie er meint, vermeidbare Risiken laufe.
Insofern kommt es mir auch nicht sehr seltsam vor, daß meine gegenwärtige, sagen wir, ‚bedingt verschlossene Tendenz‘ mich >>>> ein Gedicht schreiben ließ, von dem ich bei bestem Willen nicht weiß, was es bedeutet, obwohl ich freilich ein genaues Gespür für das Feld habe, in dem es sich befindet und aus dem heraus es strahlt. Ich bin allerdings mit der Lösung, die letzte Zeile in Klammern zu setzen, noch nicht zufrieden; der B r u c h, den das bedeutet, ist nicht gewollt, sondern poetisch bloß eine ‚provisorische Maßnahme‘; ganz im Gegenteil, ich will da keine Brüche.
Dielmann teilt mit, >>>> die Liebesgedichte seien vom Drucker für den 10. Februar avisiert; was >>>> die Vorzugsausgabe anbelangt, so müssen erst noch Exemplare zu Prunier nach Frankreich geschickt, signiert und zurückgeschickt werden. Ich selbst werde fürs Signieren kurz nach Frankfurtmain fahren. So werden die Gedichte in der normalen Ausgabe ab Mitte Februar dasein, und in der bibliophilen Ausgabe ab, schätze ich, der letzten Woche Februar; vielleicht geht‘s aber auch schneller. Dies nur, damit Sie Bescheid wissen; ich habe hier fragende Mails.
So, ich geh jetzt auf die Straße für die Morgenzigarette, dann mach ich endlich mit ARGO weiter.
15.27 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Ich komme seit heute früh einfach nicht mehr >>>> von diesem Gedicht los. Unversehens ist es ein – eigenwilliges – Sonett geworden. Keine Konzentration auf ARGO, sondern immer und immer wieder dieses Textchen. Manchmal verändere ich nur eine Silbe, dann ein Reimwort, dann die Perspektive, umkreise es, versuche, es zu fangen und und und. Ich kann mich überhaupt nicht vom Laptop wegreißen, bin noch nicht mal geduscht. Und >>>> das da habe ich, mich für eine Version entscheidend, nun auch verändert. Da aber stimmt weiterhin die zweite Zeile nicht.
Muß mich losreißen, eine Rasur ist fällig. Katangas Junge und der meine haben das Kinderzimmer in Verdun ‘17/18 verwandelt und verwandeln es in Richtung Deutschland ‘45 weiter. Heute abend bin ich beim Profi, um, gemeinsam essend und trinkend, ein weiteres Jahr abzurunden. Das ereilt uns beide immer zugleich.
16.12 Uhr:
Während des Duschens ging mir – neben einer Gedichtidee, die „sich täglich rasieren“ heißen wird – durch den Kopf, was die Kritik wohl sagen wird, sollte meinen Gedichten ein Leser-Erfolg beschieden sein; nämlich: Rilke-Epigone (>>>> „und hört im Herzen auf zu sein“). Ich fürchte das nicht, sondern weiß, was mich hier, abgesehen von der Sprachbeherrschung, treibt. Es ist die Überzeugung… nein, es ist der Glaube, daß eine Dichtung, wenn ihre F o r m absolut ist, auch den Inhalt erfaßt, auch den nonverbalen Inhalt, die Gerüche, die Eindrücke usw. und daß sie diese in eine Sprache übersetzt, die eigentlich Musik ist, also sich jenseits der Begrifflichkeiten, aber vermittels ihrer Bedeutungshöfe mitteilt. Das gilt auch für die sog. avantgardistischen Romane, da besteht eigentlich überhaupt kein Unterschied. Es wäre herbeigezerrt, wollte man ihn aufmachen: die Bewegung ist hie wie da die gleiche. Daher der sich bisweilen, etwa >>>> in den Erzählungen, vordrängende Klassizismus.