Volkslied.

Ich habe kein Zuhause.
Da klopf ich niemals an.
Die Sonne scheint so herrlich
auf meine Schritte nieder.

Ich gehe eine Straße.
Sie kennt nicht Ort noch Dach.
Du hast mich nicht verloren.
Kein Ringlein blieb von Dir.

Die Laster fahrn vorüber.
Die U-Bahn kreischt und lacht.
Ein Krüppel spielt Gitarre.
Ich trete auf den Platz.

Ein Wölklein zieht und breitet
sich dunkel drüber aus.
Ein Junge weint am Wagen.
Die Mutter steht und tröstet.

Kein Donnern folgt den Blitzen.
Mein Herz ist nicht zerbrochen.
Ich fasse meinen Schläger.
Mir ist so klamm und wohl.

14 thoughts on “Volkslied.

    1. Ich fürchte, walhalladada, daß man es dort ansiedeln m u ß. Es steht ja nicht grundlos “V o l k s lied” darüber, und das in der ganzen furchtbaren deutschen Ambivalenz von Schubert über Brentano zu Horst Wessel. Übrigens hat mich dieses Gedicht geradezu schockiert, und ich bin bis jetzt noch nicht damit fertig. Etwas Entsetzlicheres habe ich, glaub ich, noch niemals geschrieben. Es ist irgendwie mit dem >>>> Engelgedicht verwandt, aber kennt überhaupt keine Versöhnung mehr, gerade w e i l der Grundrhythmus so innig ist, aber der sich immer anbietende Reim, der schließen und wirklich Heimat finden lassen würde, auf das böseste versagt bleibt. Ich denke seit über sechs Stunden unentwegt über dieses Gedicht nach. Welch Ungeheuer mir das eingab, weiß ich nicht.

    2. Reimverzicht im Volkslied Wenn man den Reim als eine Form betrachtet, in der ‘Erinnerung’ – und sei es nur als Klangfigur – gelingt, dann bedeutet das Fehlen des Reimes zunächst doch, dass Erinnerung so einfach nicht mehr zu haben ist – folgerichtig ist das Gedicht ganz außen…selbst die tröstende Mutter ist ein Automat.
      Die Erinnerung will sich nicht einstellen und was viel schwerer wiegt:
      ihr Fehlen macht die Erfahrungslosigkeit mit Händen greifbar!
      Das ist der ‘Schock’, unter dem ich ‘stehe’…

    3. Dann ist vielleicht “Ich fasse meinen Schläger”. Bereits zu dick aufgetragen. Möglicherweise muß dahin eine ebenso ins Irr-Normale verschobene Zeile gesetzt werden, wie die anderen alle sind. Das ginge zwar gegens direkt-Politische, wäre dann aber näher am Eigentlichen. Weil noch die letzte Intention fehlte.
      Darüber werde ich nachdenken.
      Danke.

    4. Verkehrte Welt… Das Vorrecht zu danken, besteht allein auf meiner Seite!

      Es dürfte aber in der Tat schwierig sein KEIN Reimwort zu finden, das heißt eines, welches dem Gedanken Èrinnerung’ nicht Vorschub leistet…
      Auch das eine s.o. !

    5. Des Knaben Wunderhorn ist ein Baseballschläger. Ich finde den Vers “Ich fasse meinen Schläger” nicht zu dick aufgetragen.
      Nachtrag: Das romantische wollüstige Erstaunen über die Verse wird zum Schrecken zum Erschrecken vor dem Bösen in dieser Zeile, zumal sie für mich, abgesehen von der Ort-und Heimatlosigkeit dieses Rumpen, mit dem Gitarre spielenden Krüppel korrespondiert.

    6. Ich konnte mich dem Vergleich “Wunderhorn” und Baseballschläger nicht entziehen. Stellen sie sich ein Drama vor. Und nehmen wir mal an, die einzelnen Bilder im “Volkslied” seien Rollen, die ihre Dialogpartner suchen. Sie sind , Intention hin oder her, zur Korrespondenz verdammt. Zum Dialog gehört auch das Schweigen, die Pausen, nicht nur das Sprechen. Der gesamte Text, das Gesamtbild ist, wie ich es lese, ein Monolog. Die Mitte zwischen Reden und Schweigen. Er wendet sich an das Publikum, an die Leser. Monologe sind Fluchtversuche, die den “Helden” des Stückes noch mehr verstricken. Der Vorsatz der Tat, der ihn am Schluss des Textes gefangen nimmt, lässt den monologisierenden “Helden” seine Freiheit zum Denken verlieren. Und das ist das Erschreckende, ob bei Tell oder bei diesem Rumpen hier.

    7. Zur Korrespondenz verdammt… Genau das ist es, wie denn gelänge es, sich ihr zu entziehen? Da sehe ich keine dauerhafte Strategie. Sie wäre ja auch gar nicht wünschenswert, aber trotzdem ist es Intention, die wohlfeilen wie die exklusiven Korrespondenzen eben nicht zu evozieren…
      Die Versuchung ist groß, sich dieses autistische Nebeneinander nicht gleich in einer Zusammenschau ertragbarer zu machen…
      Das ist weniger die ‘Schwäche ‘ des Interpreten, vielmehr aber die Stärke des ‘Volkslieds’…
      Eine monologische Struktur im Sinne eines registrierenden ‘Bewusstseinsstromes’ glaube ich auch zu erkennen, diese bleibt aber ganz bei sich und ist – wie ich es sehe – ohne jegliche Hinwendung…
      und ohne Tat …
      (Mir ist der Begriff ‘Rumpen’ völlig fremd:)

  1. Tolles Lied. Und was man da alles hineininterpretieren kann. Schön auch der Weg über Schubert, Brentano, Wessel hin zu lachenden U-Bahnen. Trotzdem: Wer ist eigentlich Ich in dieser Stimmungsaneinanderreihung.

    1. “Wer ist das Ich hier?” Spontan: Das – aber völlig anders (tatsächlich?) – verlorene Ich der >>>> “Winterreise”.

      Tatsächlich hatte ich erst schreiben wollen: “Ein Alter dreht die Leier” statt “Ein Krüppel spielt Gitarre”; für Berlin wäre das auch passend gewesen, möglicherweise auch für Wien, aber d i e Stadt ist eh was anderes. Dann aber merkte ich, daß ich damit an einer Stelle semantisch historisiert hätte, und darum ging es gerade nicht, ja das ist absolut verboten hier. Die Romantisierung darf sich nur über den Rhythmus und über die Bedeutungshöfe der Zeilen herstellen und dann eben als etwas, das ganz und gar verloren ist. Also wählte ich bewußt um und nahm den “Krüppel”. Der fast automatisch, wäre man auf den Reim aus gewesen, den “Knüppel” nach sich gezogen hätte, den ich sofort in “Schläger” (nämlich Baseball-Schläger) umnannte, und zwar nicht nur wegen des Reims, sondern um – aus der Autoren-Intention – jegliche Häme hinauszunehmen.

      [Poetologie/Poetik.]
  2. Das Bild mit der Leier finde ich stark, und es romanitisiert nicht, auch nicht semantisch. Villeicht in der Verfremdung: Lyra. Das impliziert Hydra, ohne dass man es ausprechen muss schwingt das nonverbal mit.

    1. Die Leier b l i e b e aber zu sehr Zitat. Vor allem auch, weil ja keine Zeile sonst tatsächlich Zitat i s t, sondern jede klingt nur so, als wäre sie’s. Das war zu erreichen. Weiterhin wäre das Wilhelm-Müller-Bild d a n n gerechtfertigt, wenn nicht nur mehr die Hunde “knurren um den alten Mann”, sondern wenn das Gedicht die Auslegung anspielte, daß das lyrische Ich gleich mit seinem Baseball-Schläger auf ihn losgeht; Desinteresse am Elend anderer schlüge dann nämlich in Aggression gegen das Elend anderer um – im Sinn Adornos (die einander gehässig gegenüberstehenden “Arbeiter”/Ausgebeuteten): Man schlägt als Elender auf andere Elende ein, weil man unbewußt in ihnen das e i g e n e Elend sieht. – Dies wäre mir nun aber wieder z u direkt, z u wenig verschobene Aggression. Deshalb das automatenhafte Mutter/Kind-Bild: Hier scheint g a r nichts mehr herleitbar zu sein. Und genau das macht es so furchtbar.

      (“Lyra” wäre viel zu übergehochmetzt.)

    2. Sorry, dass habe ich leider nicht bedacht. Der MutterAutomat zerschlägt freilich den Fluss und passt sich so in den Grundtenor des Volksliedhaften ein, ohne es zu zerstören. Im Gegenteil es verhilft der Veranschaulichung der negativen Dialektik, die Adorno meinte. Das lyrische Ich ist zwar gesund, aber was nutzt Gesundheit in einem Idioten. Wenn ich die Bilder weiter assoziiere dann kann Kunst gemeint sein im Gitarrenspiel des Krüppels, die immer wieder zerschlagen, anstatt beachtet wird. Die Idee mit dem verfremdeten Zitaten ist voll aufgegangen. Gerade deshalb glaube ich nicht, dass dort eine doppelte Verfremdung plakativ erschiene.

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