Arbeitsjournal. Sonnabend, der 17. Februar 2007.

9.11Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Ich verließ das Fest bereits nacht um halb eins; es war schön, aber wurde mir irgendwann einfach zu laut; außerdem gab es die ersten Betrunkenen, und ich selbst trinke zwar gerne, aber bin ungern betrunken und halte also auch andere Betrunkene nur schwer aus. Da bin ich ganz romanisch: Man darf über den Durst getrunken haben, wenn das aber zu merken ist, geht die Ehre verloren. Und verlorene Ehre bei Freunden mag ich nicht sehen, schon bei Fremden ist mir das höchst unangenehm. Es hat schon seinen Grund, daß ich nördliche Länder wie Schweden, aber auch östliche wie die slawischen fast prinzipiell gemieden habe und den mediterranen Süden und den arabischen Raum liebe. Man ist dort härter, klarer; das ist eine Unerbittlichkeit, die mir gefällt. Werden die Leute hingegen alkoholisiert-sentimental, hab ich das unmittelbare Gefühl, in Weichkäse zu fallen und nicht mehr draus herauszukommen, so verklebt ist dann alles. (Ich erinnere mich eines russischen Abends während einer Frankfurter Buchmesse vor dreivier Jahren; ich hätte um mich schlagen mögen vor Menschenekel.)
Gut, nach einer halben Stunde Radfahrt durchs nächtliche Berlin kam ich daheim an und sackte auch gleich in Schlaf. Auf die Morgenarbeit verzichtete ich bewußt, damit mein Körper jegliche Erinnerung an den Alkohol bis zum Erwachen vergäße. Das ist gelungen und der Junge bereits zu seinem heutigen Hallen-Fußball-Turnier gebracht, bei dem ich diesmal nicht dabeisein mochte. Ich bin ja kein sonderlicher Freund des Fußballs, und so lange der Bub nicht um meine Anwesenheit bittet, muß ich mir die Mannschafterei wirklich nicht antun. Hätte er hingegen Konzerte zu geben, ich ließe es mir nicht nehmen, bei einem j e d e n zu sein, von der ersten bis zur letzten Sekunde. Das ist nun aber mal nicht der Fall. (Wobei ich selbst sehr g e r n e Sport treibe, und das auch wieder intensiv tun werde, aber Einzelsport, Leistungssport. Der ist für mich etwas wie Sauna: Liebkosung und Pflege des Körpers, der davon schön wird. Und es ist Wettstreit mit den e i g e n e n Möglichkeiten, die der anderen interessieren mich nicht. Es ist vielmehr Verfeinerung, auch Abhärtung und Strukturierung, macht überdies den Geist frisch und sehr schnell. Alles übrige – Sieg einer Mannschaft über eine andere, Gemeinsamkeit und überhaupt der Team- sowie der Spielgedanke – ist mir grundfremd).

Werde jetzt gleich die Überarbeitung der Zweiten in der ZF auf dem Papier korrigieren; zu mehr wird‘s, jedenfalls heute vormittag, nicht reichen. Aber es ist ja auch genug. Jedenfalls spare ich mir insofern für heute ein Dts; nur den Arbeitsfortschritt werde ich irgendwann am Abend noch protokollieren.
Spannend übrigens >>>> die poetologische Diskussion über das „Volkslied“. Und heute früh wieder dieses wundervolle Gefühl, V a t e r zu sein, und jetzt eben n o c h einmal, gleich doppelt, die Entwicklung von Menschen leitend begleiten zu dürfen, öffnend begleiten zu dürfen, n o c h ganz marginal, weil Nonverbales im Fordergrund steht, das eine Mutter viel besser versteht, aber doch schon – das Gefühl liegt geradezu auf der Haut – Männliches zu vermitteln, Männlichkeit, die etwas mit „äußeren Schutz geben“ zu tun hat: etwas ist einem anvertraut. Ein Kind t r a u t dir, und du wirst es nicht enttäuschen. Wie furchtbar die Fälle, in denen dieses Vertrauen mißbraucht wird!

Auf dem Fest, übrigens, kam es zu einer Art Versöhnung mit >>>> Eigner, der gegen halb elf Uhr nachts mit seiner neuen Freundin auftauchte und seltsam-rührend mit ihr fast alle Zeit Händchen hielt. Ich dachte: Wenn ich mit der Geliebten mal wieder öffentlich auftreten sollte (doch will sie sich ja entschieden von Öffentlichkeit fernhalten), dann täte ich das auf keinen Fall so. Vielleicht aber, dachte ich zugleich, bedeutet das: etwas verloren haben, eine Naivetät, ein Inniges, das sich den anderen mitteilen möchte. Mag sein. Jedenfalls hatte das Paar etwas von ganz jungen Menschen; aber man sah ihm halt an, daß es jung nicht mehr i s t. (Trüge ich Schlabberjeans nach der gegenwärtigen Art jugendlicher Mode?)
Und wieder einmal >>>> die Fotografien >>>> Johannes Barthelmes‘ bewundert, der auch da war, schon weil er mit seiner Gefährtin die serene-Bar betreibt. Es könnte sich da eine Künstlerfreundschaft entwickeln, ich dachte, vielleicht, daß wir einmal zusammen ein Projekt angehen. Wobei die Kopplung erotischer Fotografie und erotischer Texte immer etwas redundant Überflüssiges, vielleicht sogar Kitschiges hat; das muß dann also wohl überlegt sein. – Ich werd ihn nach Ablauf der nächsten Woche, die ich fast durchweg in Bamberg verbringen will und muß, einmal anrufen. Gestern erreichte mich ein Anruf aus der Villa Concordia: Ich hatte einen Termin vergessen, der wegen meiner >>>> Dolfinger-Langlesung am 6. März zur Begehung des Veranstaltungsortes anberaumt worden war. Nun muß ich am Montag sehr früh von Berlin weg, um dann diese Begehung (eigenartig eigentlich) um 14 Uhr nachzuholen.

Eines meiner absoluten Lieblingsbilder Barthelmes’ ist >>>> d a s hier:17.44 Uhr:
Fertiggeworden mit der Überarbeitung der Zweiten Elegie zur ZF; aber noch nicht auf dem Papier korrigiert. Das mach ich gleich drüben und stell Ihnen den Text dann erst morgen ein. Mit dem Volkslied haben Sie wahrscheinlich schon schwer genug zu ringen. Wie ich.

23.15 Uhr:
Jetzt hab ich an einer Stelle die Zweite Elegie w i e d e r umgeschmissen, mit dem „Erfolg“, daß ich abermals rumbastle. Aber jede neue Zeile, die eingefügt ist, führt zu völlig neuen Weiterungen. Dabei muß ich so dringend an die Neunte. Na gut, einen Tag geb ich mir noch. Ob ich allerdings heute noch weiterkann, ist zweifelhaft; ich kaue auf was Privatem herum, von dem ich noch nicht weiß, wie und ob ich mich überhaupt dazu stellen kann. Aber darüber öffentlich zu sprechen, versagt mir ein Gelöbnis. Deshalb kann ich es nicht einmal nach der mir eigenen Weise verarbeiten, und es bleibt mir nichts übrig, als es zu schlucken. Doch diese Kröte ist sehr fett und will den ganzen Hals.

Eine F r a u hat >>>> das Chorische Tagebuch betreten.

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