4.56 Uhr:
[Berlin.]
Als ich eben an den Arbeitsplatz radelte, kam mir >>>> bezüglich der Hexameter ein Gedanke, der sich >>>> aus LH‘s Einwand und einem eigenen Gefühl zusammensetzt, das ich neulich im Gespräch so formulierte: „Es ist, als zöge ich einen Strich unter mein Leben und addierte seine Summanden.“ Woraufhin die Geliebte ganz ebenso nüchtern fragte: „Aber du stirbst doch jetzt nicht?“
Sicher nicht, soweit sich das sicher sagen läßt. Aber der bilanzierende Gedanke ist mir sehr deutlich. Und seinetwegen sehe ich die permanente Fisselarbeit, die ich mir nun mit der Strenge sämtlicher >>>> BAMBERGER ELEGIEN mache, als etwas an, das nicht „die ‚Gefahr‘ des Normativen“ birgt, wie LH das sieht, sondern es g e h t gerade darum, aus purem Meinen eine Überzeugung zu gestalten, die man auch im Kampf vertreten würde, einem, gewiß, Kulturkampf… man darf mit Verwendung dieses Begriffs nicht übersehen, daß auch Religionskriege Kulturkämpfe sind und nicht nur die – zweifelsfrei ebenfalls wirkende – marxistisch/materialistische Lesart für sie gilt. Sie können auch „objektiv unnötig“ („ideologisch“) geführt werden; das hebelt den Marxismus dann aus. Macht sie aber nicht weniger mächtig, nimmt ihnen auch nicht die objektiven Gründe. Da erst wird‘s dann, übrigens, spannend. Alles übrige ist profan und so grau wie „die Lieblingsfarbe der DDR“ (frei nach >>>> Marion Poschmann weitergetragen) gewesen ist. Der Hexameter hebt mein persönliches Meinen auf eine aus Erfahrung und Erfahrungen geformte Gewißheit, deren Bedeutung z w i s c h e n diesem Meinen und der objektiven Wahrheit steht: in einen >>>> flirrenden, oszillierenden Raum, der das Ich schon aufgehoben hat, aber noch kein ES IST ist. Der oszillierende, nämlich poetische Raum hat mit dem „persönlichen Ich“ so wenig zu tun wie das „lyrische Ich“ mit dem tatsächlichen Autoren-Ich des Alltags, bzw. der „ideale Leser“ mit dem je bestimmten und konkreten Leser, also Ihnen, die Sie meinetwegen gerade Ihre Tage haben oder eine Magenverstimmung wegen zu fetten Essens oder Ärger im Büro. Und mein eigenes „lyrisches Ich“ stört es nicht die Bohne, wenn mich mal wieder schrecklich nervt, daß ich permanent wie ein Aschenbecher rieche und deshalb dreimal am Tag das T-Shirt wechsle. Vielleicht besteht insofern ein Unterschied zwischen Prosaarbeit (Romane und Erzählungen zu formen, Personen zu schaffen – persona heißt Maske!) und der lyrischen Dichtung darin, daß diese nicht personale Projektionen und Geschehen entwirft, sondern definitiv in einem Inneren Raum verbleibt, der zwischen den inneren Repräsentanzen ausgebreitet ist, den inneren verschiedenen Ichs. Anders als ein Roman, dessen identifikatorische Basis – jedenfalls meistens – über narrative Objektivierung zustandekommt, kommt sie bei Gedichten über die verschiedenen Ich-Formen, die wir in uns tragen, zustande, und zwar besonders über unser „ideales Ich“, dessen Zielrichtung sich wahrscheinlich in uns allen gleicht.
Ich verzichte auf ein >>>> Dts für gestern; ich habe nur hexametrisch und immer noch an der Ersten Elegie gefisselt und außerdem viel Zeug gemacht, das direkt wie indirekt mit dem COUP zusammenhängt. Jetzt am Morgen will ich endlich die Erste abschließen und heute abend >>>> auf der Lesung in >>>> Burg Ranis vortragen. Es sind lediglich zwei oder drei Trochäen, für die ich noch immer keine Lösung, sie gegen Daktylen oder Spondeen auszutauschen, gefunden habe. Vielleicht wird sie ein erneuter Abstand von den Texten finden, vielleicht laß ich diese auf die Gedichtausmaße gesehen nur sehr kleinen Verstöße aber auch stehen. Goethe läßt sie dauernd stehen. Mittlerweile hab ich den Eindruck, daß seine >>>> Römischen Elegien völlig zu Unrecht für einen Maßstab deutscher Hexameter-Dichtung gehalten werden. Es w i m m e l t da nämlich von Trochäen. Allerdings kann man daraus wieder einmal ersehen, daß es, in ihr formale Fehler zu begehen, eine Dichtung nicht davon abhält, Dichtung zu s e i n. Was sich manch Beckmesser der deutschen Kritikage hinter die Löffel schreibe sollte.
Guten Morgen. Ich hab den Vormittag und muß um 13.22 Uhr die S-Bahn nehmen, um am Südkreuz de 13.58er ICE zu erwischen. In Jena treff ich dann >>>> Titania Carthaga und fahr mit ihr im Auto nach Burg Ranis weiter.
12.57 Uhr:
So, auch den letzten Fisselkram in der Ersten Elegie erledigt. Dann endlich einmal sämtliche Gedichte ausgedruckt, aber völlig ungeordnet, einfach so, wie die Dateilage war. Ich hatte den Stoß Texte a l s solch einen Stoß noch nie in der Hand. Außerdem Post. Ein angenehmes, kitzliges Gespräch im Messenger parallel. Und der Profi rief an: „Ich mag mitkommen. Sei um 15 Uhr hier, dann nehmen wir den Wagen.“ Das bedeutet zwar, nicht arbeiten zu können, wozu mir doch Zugfahrten dienen, aber mal eine längere Zeit mit dem Freund beisammenzusein. Ich hab Titania informiert, die wir dann vielleicht in Jena abholen, um von dort aus zu dritt weiterzufahren.
Immerhin habe ich so die Zeit für meinen Mittagsschlaf gewonnen, den ich nun nehmen werde.
Kann sein, daß ich mich nachts nach der Lesung noch mal in Der Dschungel melde.