Rutsch mir den Buckel runter, dachte ich gestern als ich aus der Neurologie kommend, nicht meine Frau ist gemeint, sie liegt wieder einmal darinnen, ein Schub, der linke Arm fiel aus, muss aufgehalten werden, heute wird sie, frisch mit Cortison eingestellt (5 x 1000 mg/pro Tag) wieder nach Haus kommen, hoffe ich jedenfalls. Also rutsch mir den Buckel runter, dachte ich gestern und war damit sicher ungerecht, als ich aus der Klinik kam und vor der Haustür ein kleines Briefpäckchen an mich adressiert fand. Der Absender, eine Lektorin eines Verlages, die schon seit Wochen per Mail und Five o‘ Clock Tea mich zu einer Art autobiographischen Roman verführen will. Ich weiß nicht, wer ihr meine Identität gesteckt hat, Fakt aber ist, dass sie meine TB-Notizen, die ja weiß Gott keine Literatur sein wollen, aufmerksam die letzten Monate verfolgt hat und der Ansicht ist, da wäre mehr drin. Was immer auch das m e h r sein soll, ich habe jedenfalls die nächsten 3 Jahre dafür keine Zeit. Mein Ehrgeiz hält sich in Grenzen. Nicht jeder Esel, nur weil er ein graues Fell hat, muss sich auf die Gass‘ stellen und I A [ich auch] rufen. Und ich halte mich für einen Esel, der noch für eine lange Zeit außerliterarische Lasten tragen muss. Der Welt geht nichts verloren, wenn mein Beitrag in ihr fehlt. Das dazu. In dem Päckchen und das war wirklich eine Überraschung, die zweite übrigens am Montag, die erste war >>>„Volltext“, wenn ich nur schon wüsste, auf welche Weise ich das Abo zahlen muss, die IBAN wird von meinem Online-Konto nicht akzeptiert, sandte „Meere“
– erstaunlich, dass der ganze Roman in der Zeitschrift Platz fand ! -; zurück zum Päckchen, darin ein lieber Brief und ein kleines Buch:
„…? wie überall hin die Leute verstreut sind…?“
Das Adressbuch des Exils 1933 ?1940
von Benjamin, Walter
Herausgegeben und kommentiert von Christine Fischer-Defoy
Buch: 240 Seiten. Gebunden Leipzig 2006 Verlag: Koehler & Amelang
Um es gleich vorweg zu sagen, ich war, noch ohne überhaupt eine Zeile gelesen zu haben, vom Outfit des kleinen Büchleins fasziniert. Ca. 80 Adressen hatte Benjamin notiert und ein wundervoller alphabetisch geordneter Apparat gewährt Einblick in das Lebensumfeld Benjamins, während seiner Exilzeit. Bloch, Adorno, Helli Weigel, Lisa Tetzner und viele andere. Manche, mir bis dato noch unbekannte, Liebesbeziehung Benjamins, so z.B. zu der holländischen Malerin Anna Maria Blaupot Ten Cate, bestätigt mich in meinem Urteil, dass öffentliche Haltungen und Meinungen zur Kunst und Literatur, gleich wer sie zeigt oder äußert, immer auch Ausdruck privater Begeisterungsfähigkeit sind, ja von ihr mehr abhängen, als alle Kenntnis von Kunstwissenschaft und Philologie zusammen.
Im Sommer 1933 schreibt er an sie: „Du bist, was ich in einer Frau je habe lieben können: Du hast es nicht, Du bist es vielmehr. Aus Deinen Zügen steigt alles, was die Frau zur Hüterin, zur Mutter, zur Hure macht. Eines verwandelst Du ins andere und jedem gibst Du tausend Gestalten. In Deinem Arm würde das Schicksal für immer aufhören, mir zu begegnen. Mit keinem Schrecken und mit keinem Glück könnte es mich mehr überraschen…“ (Seite 96)
Benjamins Schwärmerei, deswegen zitiere ich sie, ist meiner Utopie verwandt. Ich weiß nicht, was geschehen ist, seit Wochen kommt keine Mail von IHR. Von der, deren Namen niemals geschrieben und gesprochen werden wird.
Ich hoffe, es geht I H R gut.
Mit Verlaub… ‚Schwärmerei‘, das passt nicht zu Benjamin, vielleicht ist es aber auch nur der Geruch von Backfisch, der mir nicht eben angenehm ist…
Die zitierten Zeilen haben ja durchaus etwas ‚minnigliches‘ an sich…
„In Deinem Arm würde das Schicksal für immer aufhören, mir zu begegnen.“
Der andere Arm soll wohl für den Pinsel freibleiben…
Umso angenehmer Ihr Buchhinweis…der große ‚Liebende‘ liegt bereits im Warenkorb:)
Sie werden es nicht bereuen, nicht nur die Adressen, sondern auch viele Fotos
– Ernst Bloch an der Côte d’Azur mit Teddybär im Arm – , ich habe schallend gelacht, machen das Buch zu einer Fundgrube für Benjaminfreunde.