4.56 Uhr:
[Am Terrarium.]
Will heute früh h i e r arbeiten, bis der Junge erwacht ist; er soll beim Aufstehen seinen Papa sehn. Meine Morgenzigarette(n) rauch ich draußen und seh mir dabei, auf- und abgehend, die anderen Morgenarbeiter an. (Es waren so gut wie keine da; Nachtrag: 8 Uhr.)
Vierte Elegie, strenge Metrisierung (‚Metrisierung“… das Wort hab ich nun einer Mail >>>> Christian Filips‘ entnommen). Einstellen werde ich das hier nachher erst, wenn ich wieder am Küchentisch sitze.
7.50 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Leis vor mich hingetippt und Verse ausgezählt… langsam kommt‘s wieder in Gang. Dann hier herübergeradelt, Eierwasser aufgesetzt; der Tag wird sich wieder mit Erledigungen erledigen; es hat sich über die Wochen und Monate solch Müll angesammelt, da muß irgendwie Ordnung hinein – wie in das Zahlungszeugs auch. Daran setz ich mich nachher in der Arbeitswohnung. Zugleich d r ä n g e n die Elegien, wenn ich sie denn im Herbst als Buch veröffentlich haben möchte. Es ist ein zäher Kampf – nicht erfolglos, nein, aber s e h r langsam. Manchmal muß ich einfach etwas umhergehen, um eine Lösung zu finden. Heute morgen half die Zigarette auf der Straße. Da sah ich >>>> das. – Es klingt zynisch danach, aber so ist es: Frühstück. Werden andere satt, wenn wir hungern?
12.39 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mahler, Fünfte.]Post von Wochen öffnen; Mahnungen durchsehen; ruhig bleiben.
14.26 Uhr:
Hab versucht zu schlafen. Keine Chance. Die ökonomische Situation ist schlimmer, als ich hoffte – also genau so, wie zu erwarten war. Nun muß ich dringend Emails schreiben, also an den Küchentisch radeln, weil hier ja kein Netzanschluß ist. Da mein Konto gepfändet ist, unter anderem auch über die Künstlersozialkasse – was wiederum bedeutet, daß ich nicht mehr krankenversichert bin; schlimmer ist aber: mein Junge ist es nun auch nicht mehr – muß absolut dringend gehandelt werden. Ich bin ja normalerweise ruhig, aber kein Mensch kann bei so etwas schlafen. Der Privatkonkurs muß jetzt u m g e h e n d eingeleitet werden. Wer immer gegenwärtig aufs Konto überweist, um Die Dschungel zu unterstützen, stelle bitte sofort diese Zahlungen ein; es wäre alles verloren. Besser wäre: die Leser übernähmen die Internetkosten direkt oder sendeten Beträge per Brief. Überhaupt wird sich jetzt zeigen, ob es überhaupt machbar ist, daß zur direkten Unterstützung übergangen wird. Ich überlege, ob ich in Der Dschungel einen weiteren deutlichen Notruf starte, will das heute abend aber erst einmal mit dem Profi durchsprechen.
Momentlang spielte ich mit dem Gedanken, auf jegliches Konto fortan zu verzichten. Ob so etwas sich durchhalten, ja überhaupt einleiten läßt? die private Rückkehr zur Tauschgesellschaft… Immerhin, ich dokumentiere und tu es nicht mal erbittert, sondern wirklich ruhig – bei allem Bewußtsein der Lage. Da mir kaum nachgesagt werden kann, daß ich nicht arbeitete, hab ich kein schlechtes Gewissen, nur ein schlechtes, s e h r schlechtes Gefühl. Aber auch das – und was immer kommen wird – wird mich nicht dazu bringen, das Leben zu beklagen. Ich lebe g e r n e. Punkt.
So, ich radle hinüber.
14.56 Uhr:
[Küchentisch.]
Bin da. Und: – a c t i o n. (Es hat etwas pervers Befriedigendes, dies alles zu dokumentieren. Dachte ich gerade. Denn alles geschieht unter Zeugen.)
16.50 Uhr:
Kann man sich für mich einen besseren Waschsalon vorstellen als diesen?(Auch das war/ist noch zu erledigen.)
18.10 Uhr:
[Arbeitswohnung. Britten, Michelangelo-Sonette.]
Weiteres Ordnen und Öffnen der Katastrophen-Postberge. Während der Junge in der Musikschule ist. Gegen 19 Uhr schau ich nochmal kurz ins Netz, danach bin ich für heute off.
Guten Abend, allerseitsinnen & allerseitse.
..strenge Metrisierung… Lieber ANH,
ich bin ein zäher Hund, und lass nicht locker was Angelegenheiten metrischer Dichtkunst betrifft. Sehr wohl verstehe ich den Reiz der Disziplin, den ein strenger Hexameter auf den Poeten ausübt. Eine Art Unterwerfung unter die Form ist durchaus lustvoll. Die Grenzen strenger Versmaße zu durchbrechen, formale Erwartungen zu enttäuschen, üben aber auch eigenständige ästhetische Reize aus. Die gebundene Sprache, so denke ich, gewinnt erst dann ihre Schönheit ganz, wenn souveräne Formverletzungen die metrische Strenge durchbrechen. Nach Hacks, und ich bin mit ihm einer Meinung, sind sie das einzige Mittel, inhaltliche Akzente in formale Akzente umzusetzen. Jede Regelverletzung, geschieht sie nicht aus zufälliger Schlamperei, könnte so zu einer besonderen ästhetischen Hervorhebung inhaltlicher Fragen werden, die ansonsten Gefahr laufen im Singsang des strengen Metrums unterzugehen. „Als Regel für den möglichen Grad rhythmischer Freiheit kann gelten: Jede Abweichung vom Schema ist erlaubt, solange das Schema im Ohr des Hörers nicht verloren geht.“ schreibt Hacks in dem kleinen Aufsatz „Über den Vers in Müllers Umsiedlerfragment“ .
Herzliche Grüße vom Main
Ihr montgelas
@montgelas. Einverstanden. Aber d i e s e Kunstgriffe sind erst erlaubt, wenn s i c h e r ist, daß die Metrik beherrscht wird – also allenfalls dann, wenn ein Dichter den Text in der Strenge schon vorliegen hat und es geschafft hat – und ihn d a n n modifiziert. Alles andere riecht mir nach handwerklicher Schwäche, die sich ein Feigenblatt vorhalten will… – unter der Voraussetzung freilich, daß man die Strenge als Ziel vorgab.
>>>>
„Wie fang ich nach der Regel an?“
„Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.“
Wagner, Meistersinger. <<<<
Wenn ich Ihren Kommentar recht verstehe, werden Sie, nach der strengen Metrisierung der Bamberger Elegien, noch einmal die „Schlichtfeile“ ansetzen?
Ich bin sicher, dass die viele Arbeit an den bereits jetzt schönen Elegien ihren positiven Niederschlag finden wird.
Gedichte machen ist schwer, aber schön.
„Schlichtfeile“. Das ist noch nicht heraus. Der Plan sieht vor, sich erst einmal kaum noch einen Trochäus zu erlauben – nicht immer ist er, der deutschen Wortbildungsgesetze wegen, zu vermeiden… Sie wissen, daß etwa Voß im Zweifel dazu neigte, neue Wörter zu erfinden – wenn es halt gar nicht anders ging. Ich bin da heikler – heikel aber auch gegen Füllwörter und Partizipien, die mir von der Prosa her unangenehm sind, von der mein fast ganzes bisheriges Dichterleben bestimmt war. Das streift man nicht mal so ab.
Dennoch, meine Idee ist weiterhin: daß die Elegien irgendwann auch Inseln ausbilden, kleine lyrische Partikel, die mit dem Hexameter-Strom selbst eigentlich nichts mehr zu tun haben, auf denen man momentlang verweilt, und dann erst steigt man wieder ins Wasser. Der Hexameter eignet sich aber geracde vorzüglich für das regnitzsche Fließen, weshalb ich selbst, was Pentameter anbelangt, sehr zurückhaltend bin – anders also, als in der klassischen Elegiendichtung üblich, bzw. lasse ich höchst ungern den Sechsfuß mit einer Betonung (= Senkung) enden – sondern dies immer nur vor manchen Absätzen. Vor allem ist mir noch nicht klar, wie es sich fließend von solch einer Insel wieder ins Strömen, den Hexameter, hineinsteigen läßt.
Wie auch immer. Bei den beiden bisherigen Lesungen aus den Elegien wurde nahezu unmittelbar spürbar, welch eine Gewalt die strenge Form gegenüber der lockeren hat — so sehr, daß in Ranis eine Hörerin, als ich mit der nun im >>>> Schreibheft erschienenen nicht-streng-metrisierten Neunten an die streng-metrisierte Erste anschloß, von „geschwätzig“ sprach – das wäre o h n e die strenge Form der zuvor vorgetragenen Ersten so nicht empfunden worden. In Heidelberg wiederholte sich das dann; freilich wurde nicht gleich so hart (und angemessen) geurteilt. Interessanterweise habe ich Reaktionen auf die Neunte im Schreibheft, die allesamt von einem „wunderschönen“ Text sprechen, aber eben die durchmetrisierte Erste (und jetzt bereits Zweite und Dritte) nicht kennen.