Arbeitsjournal. Montag, der 11. Juni 2007.

6.41 Uhr:
[Arbeitswohnung. Vergeßlichkeiten. Monteverdi, Eco di dolci raggi.]
Der Tag begann mit einem >>>> Gedicht, dessen Idee ich >>>> gestern allein über den möglichen schönen Titel hatte. Der heutige frühe Morgen füllte ihn. Dann begann ich mit der AEOLIA-Fortsetzung. Es ist eine heikle Kippstelle, diese Modulation ins Finale, die zusammennehmen soll, zumal zwei verschiedene Zeiten der Handlung zu einer einzigen Zeit verschmelzen – und die zwischen den beiden Zeiten liegende Zeit. Gleichzeitigkeit also, Simultanität – Topos vieler meiner Prosa-Arbeiten. Was nun auch hier bedeutsam wird. Ich möchte ein Crescendo als Finale, kein „morendo“ soll drüberstehen, auch wenn einiges in eine solche Richtung weist. Das krieg ich deshalb nur über die Form hin. Las vorhin in einem kleinen Vorwort T.S. Elliots zu einer Pound-Ausgabe:Eine Kritik wie die Ezra Pounds ist ein Sicheinsetzen für eine bestimmte Art Dichtung; es ist die Feststellung, daß die Dichtung der unmittelbaren Zukunft, wenn sie gute Dichtung sein soll, gewisse Verfahren beachten und gewisse Anleitungen befolgen muß. (…) Den Lesern der Zukunft, die sich nicht die Mühe nehmen, Pounds Kritik im rechten Rahmen zu sehen, wie auch manchem zeitgenössischen Leser, dem „literarische Kritik“ etwas anderes ist als die Aufzeichnungen eines Dichters über sein Handwerk, wird Pound aufreizend voreingenommen erscheinen. Solche Leser werden sich, wie so schon manche, ärgern, daß er respektlos über die Namhaften ist, die, wie man ihnen beibrachte, über jeden Disput erhaben sind (…).Besonders schön, was Elliot von Pound eigens zitiert:Der Anfänger tränke seinen Sinn mit den trefflichsten Kadenzen, die er finden kann, am besten in einer fremden Sprache, damit der Sinn der Worte seine Aufmerksamkeit nicht so leicht von der rhythmischen Gangart ablenkt.
A Stray Document.
Das entspricht völlig meinem Empfinden, jedenfalls derzeit; und in der Lyrik b i n ich zweifellos Anfänger.

Zu >>>> Barbara Bongartz‘ „Der Tote von Passy“ hat >>>> Dorothea Dieckmann >>>> eine sehr schöne, von der ihr eigenen sensiblen Klugheit getragene Kritik geschrieben, die nur von dem, von einer wahrscheinlich voreingenommenen Redaktion formulierten Titel ein bißchen beschmutzt wird. Ich hatte ja selbst etwas über das Buch schreiben wollen, wollte es wohl immer noch, aber weiß nicht, wie ich das zeittechnisch hinbekommen soll. Möge Ihnen also dieser Hinweis genügen. Außerdem, schriebe i c h, nähme man das gewiß als ein pro domo auf, da ich >>>> mit Bongartz zusammen ein Buch geschrieben habe, das obendrein mehr als nur zwiespältig aufgenommen worden ist. Man würde mit Genuß nachtreten wollen.

>>>> Dielmann scheint sich nun völlig auf meine Arbeit einlassen zu wollen; er publizierte gerne, schrieb er, >>>> MEERE als Softcover, sofern sich tatsächlich kein Taschenbuchverlag fände, der von >>>> marebuch die Lizenz nimmt. Mit >>>> WOLPERTINGER und, für Herbst 2009 geplant, allen drei ANDERSWELT-Büchern hat er ja ohnedies mein Hauptwerk unter Vertrag; wenn da nun noch zum Winter 2007/08 die BAMBERGER ELEGIEN hinzukommen… Freilich ist über einen Kleinverlag kein Geld in Aussicht, andererseits ist mit Dielmann jemand da, der unvoreingenommen und begeistert hinter meinen ästhetischen Vorstellungen und vor allem den Werken steht, aus denen sie sich gewonnen haben. Das ist mehr, als ich von irgend einem Großverlag erwarten könnte, der „natur“gemäß – der Fülle verschiedener Autoren wegen – solche Leidenschaft n i c h t aufbringen kann. Überdies teilen wir die Einschätzung und Geringschätzung des Betriebs und sehen beide eine größere Durchsetzungschance jenseits seiner Wege als auf ihnen. Jedenfalls kriegt man keine Rückenschmerzen, weil man dauernd katzbuckeln muß.

Ach ja, „Vergeßlichkeiten“: Ich sollte keine Termine voraus mehr machen, sondern immer nur noch ad hoc, da ich sonst dazu tendiere, sie zu vergessen. Und wenn ich intensiv an etwas arbeite, schaue ich nicht in den Terminkalender. So hab ich tatsächlich letzte Woche einen Zahnarztermin verbusselt (und muß mich noch dringend entschuldigen deswegen), und nun heute a u c h schon wieder, das heißt, ich nahm an, heute Termin bei der Fußpflegerin zu haben, aber finde im Portomonnaie einen Zettel, auf dem er am 6. 6. hätte wahrgenommen werden müssen. Von Organisation kann bei mir überhaupt keine Rede mehr sein. Ob ich schon alzheimre?

8.29 Uhr:
Pound hat ganz sicher recht, wenn er es für unsinnig hält, ein vorgegebenes Versmaß dadurch einzuhalten, daß man Füllsel einschiebt – und wenn er überhaupt das „Stanzige“ an der überkommenen Lyrik für etwas Grausliches hält und deshalb den „freien Vers“ favorisiert – darin nicht immer mit sich selbst einig; denn da steht a u c h:Kurz und gut – verhalte dich wie ein Musiker, wie ein guter Musiker, wenn du mit der Phase deiner Kunst zu tun hast, die Parallelen mit der Musik hat. Da herrschen die gleichen Gesetze, denen auch du unterstehst.Allerdings:Der Musiker kann sich auf Ton und Klangfülle des Orchesters verlassen. Du nicht. Der Begriff Harmonie läßt sich auf die Dichtung nicht anwenden; er bezieht sich auf gleichzeitige Klänge verschiedener Tonstufen. In hervorragenden Versen finden wir jedoch eine Art Klangrückstand, der im Ohr des Hörers haftet und mehr oder minder als Orgelpunkt dient.Nur hat der „freie Vers“ den Nachteil, schließlich nur noch nach Gefühl für einen guten oder schlechten genommen zu werden, da die „Gefühle“ bei Menschen, vor allem je nach Bildungs- und Wissenstand, ausgesprochen verschiedene sind, ja, da die meisten Menschen – und die meisten Kritiker – über einen arg begrenzten Wissens- und Bildungshaushalt verfügen. Deshalb überwiegt das „schlechte“ Gefühl, das eines ist, das vor allem aus den semantischen Feldern und nicht denen der rhythmischen Kunst-Spannung genährt wird; es saugt an der Brust der Guten Meinung eine von Ideologie überzuckerte Milch: ob etwas „menschlich“ sei, ob es politisch korrekt sei und in den Zeitkram passe usw. Da, tatsächlich, ist die gesetzartige Vorgabe von Metren geradezu erlösend. Nur muß sie der Dichter wohl erst füllen, aber dann, hat er das getan, wieder alles wegstreichen, was nur ein Füllsel ist – d a n n bekommt der „freie“ Vers, der das Versmaß verläßt, schwingende Dignität, d a n n wird er elegant. Ganz Ähnliches dürfte für den Reim gelten. Wobei heute (2007) die poetisch-historische Situation gegenüber der des fin de siècle eine völlig andere ist: damals mußte entstaubt werden, sehr zu recht – heute hingegen sind Bindungen zu finden, poetische Verbindlichkeiten wiederzufinden und/oder neu aufzustellen, wobei „neue“ Bindungen, fußen sie nicht auf erlebten Traditionen, wurzellos sind. Wenn überdies Elliot in seinem Vorwort zu Pound schreibt:Wie direkt, klar und methodisch finden wir heutzutage doch den Ulysses!, dann entstammt das der Wohltat, den gesamten Regreß der dichterischen Formen im Bewußtsein und nach Wunsch der ‚demokratischen‘ Mehrheit nicht miterlebt haben zu müssen – und schon gar nicht um den Bedeutungsverlust zu wissen, den die Dichtung zugunsten des Drehbuchs erfahren hat.

[Poetologie.
Poetik.]

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