5.25 Uhr:
[Arbeitswohnung, latte macchiato.]Nach der wieder etwas zäh-zögerlich gewordenen Arbeit an der Achten Elegie traf ich gestern nachmittag noch C. und Leukert, meinen Freund und ehemaligen, muß man jetzt sagen, Redakteur für Neue Musik beim hr – wir haben zusammen das >>>> Pettersson-Requiem für den Funk realisiert -, die beide für eine Woche in Berlin sind; wir trafen uns im Pratergarten, auch die Geliebte kam mit einem Freund hinzu. Gespräche über den Funk im allgemeinen, die Situation jetzt an Öffentlich Rechtlichen Sendeanstalten, ihre kapitalistische Wende, die Folgen, die das und das Urheberrecht für die Künstler hat – etwa, wenn ein Komponist sein eigenes Werk, das ein Sender produziert hat, als CD herausbringen will, muß er an den Sender oft extrem hohe Lizenzgebühren zahlen – aber bisweilen ist das der einzige Weg, sein aufgeführtes Stück als Produktion am Leben zu halten, das sonst in den Archiven des Senders für immer verschwände. Ich erzählte, daß ich gerne eine CD-Ausgabe, oder meinethalben auch mp3-Ausgabe, meiner sämtlichen Hörstücke am Markt hätte; „da wirst du Schwierigkeiten bekommen, hoher finanzieller Natur, einmal abgesehen davon, daß sich so etwas nicht verkauft – es verkaufen sich nur Zweitverwertungen, die allerdings großartig… – wie das Hörbuch, das als Buch bereits Bestseller war.“ Tatsächlich finden in dem ganzen riesigen Hörbuchmarkt dezidierte Hörspiele und Hörstücke, die eigens für das Medium geschrieben wurden und mit dem Medium künstlerisch umgehen, bei größeren Käuferschichten nicht entfernt die Akzeptanz , die solch eine Edition ökonomisch rechtfertigen würde. Sondern nahezu ausschließlich das vorgelesene Buch, und auch das eben nur, wenn es bereits anderswie eingeführt war. Die Sender versuchen, dieser Entwicklung hinterherzulaufen, indem sie etwa in den Hörspielabteilungen nicht tatsächlich neue Höspiele in Auftrag geben, sondern vor allem Hörspiel-Dramatisierungen ebenfalls der eingeführten Bestseller. Wodurch der frühere Hörspielplatz zugefüllt ist und neue Hörspiele signifikant weniger produziert werden, als das noch vor fünfzehn/zwanzig Jahren der Fall gewesen ist: ein ganzes Medium, und ästhetisch sowieso, stirbt.
Nun muß mich das ja nicht scheren, da mich die Hörspielredakteure ohnedies nie mochten und hineinließen – bis auf ein einziges Stück, >>>> „Das Leda-Projekt“ von 1996 bei dem mir heute wie verschollenen Freund Manfred Mixner am damaligen SFB, hab ich deshalb nie eines geschrieben -, aber die Kunstform des poetischen Features oder Hörstücks ist davon genau so betroffen. „Hast du“, erklärte C., „für den Sender etwas unter Einmaliges Senderecht geschrieben, kommst du nicht mal an eine CD; das Stück ist dann rigoros weg, und zwar für immer. Das liegt nicht an den Redakteuren und auch nicht den Mitwirkenden, sondern an den Juristen der Verwertungsabteilungen, die sich nach Markt organisiert und oft überhaupt keine Vorstellung von der künstlerischen Realität haben.“ „Imgrunde müßte man“, sagte ich, „seine sämtlichen Stücke als mp3’s formatieren, g u t e mp3’s, die klanglich einiges wiegen, und dann übers Netz öffentlich verfügbar machen.“ „Da wirst du sofort juristischen Ärger bekommen, möglicherweise Einstweilige Verfügungen, die die das untersagen.“ Sie müssen sich, Leser, vorstellen, daß es dabei um das eigene Werk eines Künstlers geht; er müßte es sich sozusagen stehlen. „Aber was soll mir das denn, wenn ich ohnedies bis auf die Knochen verschuldet bin – die können doch Geldforderungen stellen, so viel sie immer wollen, ich kann ja eh nicht zahlen. Oder“, sagte ich, „es müßte eine Möglichkeit geben, den Sender darauf zu verpflichten, die Sendung mindestens von Zeit zu Zeit zu wiederholen oder eben anderweitig zugänglich zu machen, so daß ein Kunstwerk n i c h t einfach so in den Archiven verschwindet.“ „Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage.“ „Dann muß man sie schaffen, und wenn es durch Rechtsbruch ist. Bei Verlagen ist das Verfahren juristisch abgeklopft: Ist eine Auflage eines sagen wir Romanes ausverkauft und der Verlag legt nicht neu auf, kann der Autor eine Frist setzen, bis zu deren Ablauf das Buch wieder verfügbar gemacht worden ist; wenn es das nicht ist, kann er dem Verlag die Rechte an dem Buch kündigen, die Rechte fallen an ihn zurück, und er kann über das Buch mit anderen Verlagen neu verhandeln – oder es eben anderweitig publizieren, etwa in Der Dschungel.“ „Das gibt es beim Funk nicht“, Leukert. Ich: „Das müßte man herbeizwingen. Oder sich eben gar nicht drum scheren, sondern tun, was man selbst für opportun hält – gegen die rechtliche Lage, die ja eine des Eigentums ist, und zwar hier des Eigentums an meiner geistigen Arbeit. Man will dem Funk die Verfügung nicht wegnehmen, nur m u ß er halt verfügen, sonst macht er sich einer Vernachlässigung seiner Publikationspflichten schuldig.“ „Das geht völlig an der Realität der Sendeanstalten vorbei.“ „Ich weiß. Deshalb muß man es in die Realität der Sendeanstalten hineinzwingen. Und sei es, wie ich schon sagte, durch einen – auch fortgesetzten – Rechtsbruch. Im Interesse des eigenen Werkes.“ Undsoweiter.
Von Konrad Böhmer, den ich >>>> neulich in Augsburg kennenlernte, kam eine CD an, die ich vielleicht nachmittags hören werde; wenn die Zeit ist. Leukert kennt natürlich auch ihn, auch seine Stockhausen-Prägung; und wieder ging ein Gespräch über Neue Musik, die Kölner Schule und ihre rigorose Ideologie, um meinen geliebten Dallapiccola usw. Und mit C. über Indien gesprochen, über das sie einiges gearbeitet hat, auch und vor allem für den Funk, und über den Islam, die schönste Architektur, die ich kenne, die seine, über Toleranz und Hinduismus, den Katholizismus und Herkunft, also Wurzeln, die einer hat und die offenbar mit zunehmendem Alter immer wichtiger werden: „woher ich stamme“. Wie es bei Kindern, die einen leiblichen Vater, aber einen ganz anderen Papa haben, spätestens in der Pubertät zu starken, oft lebenslang anhaltenden inneren Konflikten kommt – und die Rolle der Väter dabei und der „Papas“, und wieviele Väter sich davonstehlen und sich zu ihren Kindern erst dann bekennen, wenn sie etwas „geworden“ sind, mit dem es sich posieren läßt… usw., welch schwierige Rolle aber auch der „Papa“ dabei hat…
So ging es in den Abend und zurück zur Familie, die das Gespräch schon lange verlassen hatte, weil sie zum einen nicht richtig hineinfand und zum anderen spazierengehen wollte. Die beiden Nachmittagsbiere, die ich im Prater trank, waren wieder einmal kontraproduktiv und lösten, rumorend wie die Gesprächsinhalte, eine leichte Depression aus, die sich erst im Verlauf des Abends langsam wieder zerblies.
Anderthalb Elegien-Seiten schaffte ich gestern; der Gedichtentwurf übers alte Brot liegt. In der Achten muß ich ziemlich radikal streichen und umstellen, das ist mir, so wie’s jetzt dasteht, viel zu kommod im Ton, viel zu kompromißlerisch, viel zu gütig-sentimental und daher zu zopfig. Ich werde heute morgen bis etwa elf Uhr arbeiten, dann zur Liebsten hinüber, dort auch erst dieses einstellen, weil ich einmal die Einwahlgebühren sparen will, die mich der Netzzugang übers Mobilchen kostet; ich hab ja nicht mal die letzte T-mobile-Rechnung bezahlt, weil ich’s nicht kann… Und arbeiten wie früher, mit Büchern, dem Kluge, dem Dornseiff, den mythologischen Lexika, Symbollexika, mit Walker und Frankenberg – und auf die viel handlicheren, schneller zugänglichen Netz-Lexika verzichten. Mal sehen, wie weit ich so komme. Nachmittags dann, sollte das Wetter es zulassen, ins Freibad mit meinem Jungen – oder, sollte das Wetter nicht gut sein, ins Museum. Da kann dann auch die ganze Familie mit.
In der alten Väter-WG liegen zwei Sendungen vom Finanzamt, Katanga rief gestern an, die nichts Gutes verheißen; mein Mietkautions-Konto hat das Finanzamt ja bereits gepfändet, ich schrieb davon schon. Und Telekom-Mahnungen liegen dort, um die ich mich auch irgendwie werde kümmern müssen. Jedenfalls werd ich nachher da vorbeiradeln und das Zeug rausholen.
Guten Morgen, Leser. Ich fange jetzt mal zu arbeiten an und n ehme eine erste Zigarre hinzu.
11.17 Uhr:
[Am Terrarium.]
Um elf die Arbeit, die gut lief, für heute oder doch auf einige Tageszeit beendet, aufs Rad geschwunden, Brötchen besorgt und zu Familie -. Das Wetter ist völlig umgeschlagen, es regnet, ist kühl, mit dem Freibad wird es nun sicher nichts werden.
Jetzt führ ich Die Dschungel, auch ein Auszug aus der Achten, wieder mit rhythmischer Auszeichnung, ist vorbereitet.
23.01 Uhr:
Im Naturhistorischen Museum gewesen mit meinem Jungen; die Saurierskelette sind neu aufgebaut worden, insgesamt hat die technische Didaktik einigen Pfiff bekommen; es macht viel Spaß und ist enorm informativ.
Ich hätte stundenlang vor den Anzeigen, Beschreibungen usw. stehenbleiben und lesen können. Mit der Arbeit dann war nicht mehr viel; und jetzt bin ich müde. Morgen früh geht’s weiter. Gute Nacht.
(Und ein weiteres Gedicht, ganz unabhängig von den Elegien kam mir in den Sinn. Ich skizzierte es… und denke, daß ich an die ganzen – es s i n d unterdessen schon einige – Gedichtentwürfe wohl wirklich erst dann gehen werde und gehen kann, wenn ich mit den Elegien fertig sein werde.)