Arbeitsjournal. Sonntag, der 9. September 2007.

19.35 Uhr:
[Am Terrarium.]
Viel bin ich heute in der Zwölften Elegie n i c h t weitergekommen; aber Briefe schrieb ich und sandte Gedichte hinaus, an >>>> Norbert Wehr, an >>>> Sinn & Form. Mal sehen.

Interessant ist, wie sich die Diskussion über >>>> dieses Gedicht nach den Vorwürfen advocatus d.’s zu einer moralischen wandelte, die abermals um das Tabu des Selbstlobes rotierte. Daimler Benz stellt zweifelsfrei gute Autos her, BMW ebenfalls, und niemand verübelt es diesen Unternehmen, daß sie ihre Produkte so auch – wahrheitsgetreu – bewerben; bei Autoren wird das anders gesehen. Weshalb? Ja, es wird aus dem Umstand, daß ein Dichter sagt „Was ich euch da gebe, ist gut“ geradezu im Umkehrschluß die Meinung gezogen, es müsse schlecht sein. So tief ist die Erbsünde in uns internalisiert worden, daß gar keine weiteren Argumente mehr folgen müssen. Wobei >>>> La Tortuga dann die Drehung vollzog >>>> und etwas fragte, das auch mich, in der Tat, beschäftigt. Die erste Zeile in diesem Gedicht bleibt, wie lange die letzte >>>> in dem, problematisch. Ich habe mich >>>> dort dazu geäußert, weiß aber, daß auch dieses „Der da kommt“ bereits eine gute Lösung ist; nur, wahrscheinlich, nicht die beste mögliche.
Nun habe ich das Gedicht überhaupt erst vorgestern geschrieben, und bevor es (in einem Buch) veröffentlicht werden und dazu die endgültige Gestalt gefunden haben wird, werden noch einige Monate, vielleicht Jahre, vergehen. Manches muß „abhängen“, man merkt dann immer sehr schnell, was noch trägt und wo nicht. Es ist aber, ich wiederhole es hier bewußt, ein Projekt Der Dschungel, Arbeitsprozesse zu dokumentieren. Zu denen gehören auch die Auseinandersetzungen, die Streichungen, das Vergessen, das Wiederaufnehmen, die Zweifel und die Rauschmomente… daß sich das alles >>>> zugibt und zeigt.

Was des advocatus d.’s Grundunterstellung anbelangt, es käme mir darauf an, zu klingen „wie“, ist sie absurd genug, um darauf ein Wörtchen zu verlieren. Ich habe weiß Göttin über die letzten zweieinhalb Jahrzehnte ein genügend umfassendes Werk vorgelegt, um darauf verweisen zu können, daß es mir darauf ankommt, in Verlaufslinien zu stehen, wohl aber sehr eigene Fährten in sie einzuschreiben. Ich führe sie weiter oder beende sie (selten) sogar. Der Advokat möge sich einfach ein wenig kundiger machen. (Wobei mir schon der Gedanke kam, es könne sich um einen meiner altbekannten… sagen wir „Picker“ handeln… die mal wieder in neuer Maskierung den Schnabel ansetzen mögen. Sollte dieser Gedanke irren, bitte ich um Entschuldigung.)
Außer dieser Auseinandersetzung lief der Tag ruhig und familiär vor mir hin.

20.20 Uhr:
Übrigens… d a s noch:
Als mich Arnulf Conradi, damals noch Chef des Berlin Verlages, aus seinem Haus warf, war eine Auseinandersetzung um >>>> BUENOS AIRES. ANDERSWELT vorausgelaufen, in großer Runde, ungut, weil sich meine Kurzzeit Agentin Karin Graf mal wieder verspätet hatte und wir alle in der Krisensitzung einander gegenüber auf sie warten mußten… egal; jedenfalls warf man mir vor, daß sich mein Buch nicht verkauft hätte. Das gab ich zurück, indem ich vorschlug, man möge mich doch die Vertreter mal coachen lassen, dann sähe alles gleich anders aus. sales nämlich habe ich in meiner Börsenzeit bis zum Kotzen, und bis es Tanzen wurde, gelernt. Es gab ein ständiges, aggressives Hin und Her, schließlich hielt mir Conradi vor, nicht an die Leser zu denken – sein Sachverstand für Dichtung hat beim Realismus Stop gemacht; sein Traum war – und ist es vielleicht immer noch -, daß >>>> Margaret Atwood Nobelpreisträgerin würde, die er (und weil er sie?) nämlich gut kennt und, soweit ich weiß, übersetzt hat… na, ebenfalls wurscht; sowieso, weil ihm >>>> Elfriede Jelinek dazwischenkam, die er nicht mag, aber ihres Lektors wegen (noch v o r dem Nobelpreis und auch nur dem Verdacht, sie werde ihn bekommen) ins Programm nehmen mußte … SCHWAMM. Ich hielt Thomas Pynchon ins Feuer. Darauf er: „Sie wollen sich doch nicht mit Pynchon vergleichen?!“ Ich: „Wenn ich das nicht wollte – wenn es mir nicht darauf ankäme, auf diesem Niveau zu arbeiten -, hätte ich zu schreiben schon vor Jahren aufgegeben.“ – Es ist d i e s e Form von Arroganz, die einem nicht verziehen, die einem übelgenommen wird; und zwar aus einem Mißverständnis, das auf mangelnder Einfühlung beruht. Ein Satz, wie ich ihn da aussprach, ist nämlich Selbstverpflichtung – eine, die man entweder erfüllt, oder an der man scheitert. Es gibt rein gar nichts dazwischen. Und sehr wahrscheinlich, das ist ihre besondere Härte, wird man noch, wenn man stirbt, nicht wissen, o b man gescheitert ist oder es geschafft hat.
Wegen meiner erklärten Absicht, nicht unter Pynchons Niveau zu schreiben, warf er mich dann raus. Übrigens mit folgenden Worten: „Ich weiß, Sie haben noch ein Buch unter Vertrag bei uns. Wir werden es machen, wenn Sie das wollen. Aber glauben Sie nicht, daß Sie beim Verkauf den Verlag hinter sich haben werden. Sie können sich auch dazu entscheiden, daß wir es n i c h t machen. Ihren Vorschuß dürfen Sie behalten.“ Der letzte Satz sagt v i e l über den Mann; man muß nur wissen, daß Autorenvorschüsse zwar verrechenbar, nicht aber einklagbar sind. Das Buch, um das es ging, ist dann bei >>>> tisch7 erschienen: >>>> DIE NIEDERTRACHT DER MUSIK.
Als Karin Graf endlich erschien, war imgrunde alles gelaufen. Es war eh eine dumme Idee von mir, sie zwischenzuschalten. Conradi gehörte übrigens zum Beraterstamm von Gerhard Schröder; auch das sagt genug. Ich nannte ihn – womit ich mir erst recht keine Freunde machte – einen Verlagsspekulanten. Verbrannte Erde, mal wieder, war.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 9. September 2007.

  1. Thumbs up! Hats off! Ich respektiere zutiefst jedes künstlerisches Selbstbewusstsein bzw. Selbstbehauptung. Die Zeit wird schon zeigen wie angebracht dieses ist/war, nicht wahr? Der Vorwurf „nicht an die Leser zu denken“ passt gut in den Mund eines Geschäftsmannes. Ich denke dem braucht man nichts entgegensetzen. Es ist bestimmt jeder Arbeit förderlich die Ziele hoch und nicht tief zu setzen. Wie war gleich ihr Krausser-Zitat? Erst kommt der Größenwahn, dann die Größe? (Denke ich an Kraussers literarische Entwicklung, so sehe ich in ihm den lebenden Beweis, dass er Recht hat) Bestimmt brauchen wir in der Literatur standfeste Persönlichkeiten, die sich einen Dreck um Absatzzahlen scheren (das ist Marketing),hingegen allein ihrer Kunst bedingungslos verpflichtet sind. R.D.Brinkmann schrieb einmal an seinen Verleger:
    „Es war ihr Risiko, einen Vertrag mit dem Autor R.D.Brinkmann zu schließen. Sie tragen das, so wie ich für meine Worte die Verantwortung trage.“

    in diesem Sinne Herr ANH haben sie auch alles Recht der Welt ihre eigene Arbeit gut zu nennen. Das Gegenteil muss erst noch bewiesen werden. Sicherlich beurteilen sie doch auch ab und an eigene Texte als schlecht: jene, die dazu verdammt sind niemals veröffentlicht zu werden. Es wäre ja absurd, eigene Werke als schlecht beurteilen zu dürfen, hingegen nicht als gut. Falsche Bescheidenheit ist nicht selten zum Kotzen.

    Grüße
    ky

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