“Ich mag eigentlich Leute (…) nicht mit meinem Herumschweifen aufhalten. Ich will ja, dass sie Bücher schreiben, nicht Korrespondenz.” – Antwort an eine Leserin.

Ich habe mir seit langem angewöhnt, Korrespondenzen, wenn ich sie denn führe (bisweilen exzessiv, dann kann ich sie ganz plötzlich abbrechen, was möglicherweise als verletzend empfunden, so aber nicht gemeint ist; vielmehr führe ich Korrspondenzen weniger mit Personen als mit Gedanken) für enorm wichtig zu halten, gerade auch mit Lesern – ebenso wie ich in den ganzen bald drei Jahrzehnten, die ich mich nun in diesem Betrieb unbeliebt mache, immer auch unfertige Arbeiten öffentlich vorgetragen und nicht selten Kritik, die ich dabei erfuhr, in den laufenden Prozeß der Entstehung eines Buches mit eingearbeitet habe. Wenn man darin konsequent ist, führt das übrigens nicht dazu, daß man dem Leser gefälliger schreibt, sondern fast in das Gegenteil – nimmt aber den Leser radikal mit in den Text hinein, nimmt ihn also radikal ernst. Meine Erfahrung ist, daß genau das, jedenfalls s o, nicht gewünscht wird, weil dann >>>> Spiegelfunktionen zum Tragen kommen; man darf nicht vergessen, daß sich Leser (wie ich mich auch) zwar gern identifizieren möchten, aber durchaus nicht mit ihrem realen, sondern dem jeweiligen Ich-Ideal. Das in aller Regel ein völlig anderes als die empirische Person selbst ist. Ein literarisches Verfahren, wie ich es entwickelt habe, macht die Lust an der Identifikation deshalb unangenehm – (Lese)Lust wird dann erst empfunden, wenn leserseits Arbeit aufgebracht wird. Über THETIS schrieb mir neulich eine Leserin: “Ich lese Ihr Buch Thetis.Anderswelt jetzt das dritte Mal, ich musste es mir erarbeiten… ich beginne jetzt mit dem Text zu fließen, manche Sequenzen machen mich süchtig, ich muss sie wieder und wieder lesen, sitze dabei still, wie stock und steif in meinem Sessel, und habe einfach nur dieses Buch in der Hand…” Das sind die größten Bestätigungen, die man als Autor erhält. Wenn ich in MEERE schrieb, Kunst (zu schaffen) sei Archäologie, so gilt das auch für den Leser: er muß in sich selbst graben, damit sich eine Dichtung wirklich erschließt. Für mich selbst, mit Kunstwerken, ist das nicht anders. Gerade die schwierigen Werke geben enorme Lust – aber erst dann, wenn man sie sich erarbeitet hat. Man muß investieren – und kann sich natürlich auch geirrt haben. Dann bleibt man unbefriedigt sitzen und ärgert sich. Doch dieses Risiko ist ein geringes im Vergleich zu der Schalheit, die einen meist nach leicht eingängigen Stücken zurückläßt: als hätte man ein Leben nicht gelebt, sondern ver-entertaint. Man muß sich da entscheiden, was man will: Lust oder Spaß. Beides schließt einander aus. Spaß kriegt man schnell und an jeder Ecke, Lust bekommt man nur um das Risiko einer heftigen Frustration; sie ist fast immer, auf der einen und/oder anderen Seite mit Schmerz verbunden, Spaß nur mit Langeweile.

Ihr
ANH.

P.S.: Ich werde, wie ich das nahezu immer halte – es sei denn, man bittet mich darum, davon Abstand zu nehmen -, Teile unserer Korrespondenz in Die Dschungel stellen ; wenn ich aus der Ihren zitiere, dann anonymisiert.

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