Arbeitsjournal. Donnerstag, der 8. November 2007.

5.18 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bach, Partita Nr. 2 d-moll (für Violine solo: A. Grumiaux).]
Die Musik, die einer maßgeblich hört, bestimmt seine Arbeit. Imgrunde kann man gar nicht oft genug darauf hinweisen, imgrunde müßte das ins Z e n t r u m einer Poetik hinein. Es bestimmt das Grundgefühl einer Arbeit, ganz so, wie dieses Grundgefühl nun, da ich wieder bei geschlossenem Fenster in einem geheizten Raum arbeite, einem Kokon, dessen Wände aus Bildung bestehen, – wie also dieses Grundgefühl ein völlig anderes ist, als wenn ich, wie ich es die Vorjahre tat, winters mit dreivier Pullovern übereinander dasitze wie in einer weit geöffneten Höhle, noch den Kopf in Tüchern, und die Kälte zwar hereinströmt, aber auch ein Wind, der einen immer halb mit draußen verbindet. Gedanken an befriedete, aufgehobene, stillestehende (erlöste) Ewigkeit können einem nur in einem solchen Kokon kommen, sei es in einem Wüstenzelt, das man vor dem Sandsturm schließt, sei es in verrammelten Hütten wie jetzt, metaphorisch, dieser. Wer immer draußen ist, wird zwar auch an Ewigkeiten denken, nicht aber an geschlossene, sondern auch sie werden ihm ein Fließen sein: E n t -Subjektivierung. (Deshalb wohl notierte Nietzsche, man habe jedem Gedanken zu mißtrauen, der nicht an frischer Luft und in Bewegung entstehe).
Der erste Cigarillo zum latte macchiato.
[Bach, Partita Nr. 2 d-moll (für Klavier gesetzt: A.B.Michelangeli).]
Musik ist Seelenausdruck, da schiebt sich nur dem geübten Hörer der Geist zwischen Wahrnehmung und Ich, und auch nur dann, wenn er das will (um das Stück durchzuarbeiten, zu analysieren usw.) oder wenn die Interpretation so eigen ist, daß unmittelbar Fragen aufschießen.
Nichts macht meine Differenz zur Gegenwartsliteratur deutlicher: diese nahezu völlige Abwesenheit von Pop-Beeinflussung; so gesehen ist auch Musik eine Höhle, ein Kokon, der sich vor dem Sandsturm zumacht – da ist es völlig egal, in welchen Themen ich literarisch zuhause bin. Das ist eben k e i n e Frage von Modernität oder nicht, sondern eine des gefühlten Ausdrucks. Ich werde noch so viel über Internet, Kybernetik und technische Welten nachdenken und schreiben können, und ich werde noch so recht haben können dabei, daß die Grundlage immer eine Musik ist, die sich von der Musikerfahrung anderer, insbesondere meiner und der Nachgenerationen signifikant unterscheidet, genau das wird immer die Differenz und auch die Gegnerschaft aufrechterhalten. Erst, wenn viel Zeit vergangen sein wird, nach meinem und der anderen Tod, und wenn dann Fremde, historisch Fremde, auf meine und der anderen Arbeiten zurückschauen werden, wird die historische Relativität die Erscheinungen in den Mitten einander angleichen und vergleichbar machen, so, wie es für uns Heutige kein Problem der Rezeption mehr ist, Kleist und Goethe zugleich lesen und zugleich lieben oder ablehnen zu können. Eine Poetik, die für ihre Zeit entsteht und für ihre Zeit maßgeblich sein will, muß versuchen, diesen Blick Späterer zu extrapolieren: auch hier ist eine entindividuierte – das heißt auch: unsolidarische – Perspektive einzunehmen, die notwendigerweise eine der Kühle ist.

Guten Morgen, Leser. Ich lag bereits um 22.30 Uhr im Bett; das eine Baby kam schnell hinzu, diesmal das Mädel. Es schlief fast durch in meinem Arm. Einmal, gegen 3 Uhr morgens, wurde das Kind wach, weinte leis, war aber sehr schnell wieder in den Schlaf zu bringen auf meinem Bauch.
[Bach, Partita Nr. 2 d-moll (für Gitarre gesetzt: A. Segovia).]
Um halb fünf war ich sofort munter, brachte das weiterschlafende Mädel, eingewickelt in die von der eigenen Körperwärme warme Decke, der Mama; als ich das Am Terrarium verließ, war alles still, sowohl im Zimmer des Jungen, bei dem wieder seine Freundin schlief, als auch in dem der Liebsten. Hier dann, nach der Nacht-Durchfahrt über glänzend schwarze Straßen, empfing mich die bullige Ofenwärme, nach der es auch ziemlich riecht. Das geht in die Kleidung, macht aber insofern nichts, als sich das mit dem Geruch von Tabakrauch verbindet, der sowieso immer da ist. Ich will an die XVIII. Scelsi-Variation; ich will eine Erzählung fortsetzen, deren Entwurf ich gestern notierte; ich will an die >>>> ANNO-1900-Anthologie. Von >>>> Christian Filips erreichte mich eine Nachricht, die zu einem Treffen mit Komponisten einlud; es ist diesmal sogar bezahlt. Neue Kunst-Lieder sollen entstehen und im Frühjahr 2009 uraufgeführt werden. Da bin ich gerne dabei. Außerdem will ich meine >>>> erste Heidelberger Vorlesung noch einmal durcharbeiten und vor allem, für die Netz-Version, die ich am 15. abends, kurz bevor ich in Heidelberg zu sprechen beginnen werde, in Die Dschungel stellen will, mit Links versehen. Das ist an Arbeit insgesamt mehr, als dieser Tag wird tragen können.
Außerdem will ich mit dem Konzerthaus telefonieren, weil ich auf >>>> meine zweite Gluck-Kritik hin von dort nichts mehr gehört habe und eben auch nicht wegen einer weiteren bestellten Pressekarte. Ich hab ein wenig den Instinkt, man grollt mir dort, weil die zweite Kritik nicht so jubelnd wie >>>> die erste ausgefallen ist. Und in meinem Spamordner fand ich eine Nachricht der Deutschen Oper, ganz eventuell würde ich eine Pressekarte für >>>> die Netrebko-Vorstellung zugespielt bekommen. Das wäre sehr fein, wenn das klappte, ist aber nicht eigentlich nötig für mein musikästetisches Denken, sondern würde mehr mein narzißtisches Interesse befriedigen, diese Sängerinnenlegende auch einmal zu hören, von der ich allerdings in keiner Weise weiß, inwieweit (mit Man Ray gesprochen) ihre Schale nicht größer als die Banane, d.h. inwieweit sie mehr das Ergebnis guter PR als tatsächlich sanglich begründet ist.

6.13 Uhr:
[Schumann, Klavierquartett.]
Dies ist mein 11.000 Eintrag in Der Dschungel. Sah ich gerade, als ich den Text abgespeichert habe (ich speichere die Dschungel-Beiträge durchnumeriert).

11.46 Uhr:
[Sorabji, Opus Clavicembalisticum ffff.]
Nun ist >>>> das >>>> dabei herausgekommen.

Mittagsschlaf.

15.41 Uhr:
Das wird jetzt eine Wahnsinnswoche bis zur ersten Vorlesung am 15. in Heidelberg.
Eben kam die Bestätigung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung herein, daß ich über >>>> Lothar Zagrosek, auf der Grundlage >>>> meines mit ihm geführten Gespräches (18.18 Uhr) wie >>>> der Gluck-Inszenierungen ein Portrait schreiben soll, das in der Zeitung am 17. 11. erscheinen wird. Dafür werde ich auch am Sonntag arbeiten müssen; nur morgens geh ich mit meinem Sohn in >>>> eine neue Kinderoper. Über die ich a u c h schreiben soll, fürs Opernnetz, wie über >>>> die dritte Gluck-Inszenierung am Konzerthaus.
Dann schickte mir Renate Giacomuzzi soeben meinen Vorlesungstext mit Anmerkungen versehen zurück, die ich jetzt noch berücksichtige; zudem muß ich die binnentextlichen Verlinkungen vornehmen.
Mir wird ein wenig schummerig, und ich dusche mal eben dagegen an. Auch meinen Text über Marianne Fritz für >>>> VOLLTEXT will ich noch einmal anschauen; da muß morgen das endgültige Okay vorliegen.
Und Deters hat angerufen: Ob es mir gutgehe, will er wissen. Eigenartig.

21.47 Uhr:
[Am Terrarium.]
Spätarbeit ist angesagt, sonst schaffe ich das Pensum nicht bis nächsten Mittwoch; donnerstags sehr früh geht es ja dann bereits nach Heidelberg. Ich lege jetzt weiter die Links in den Vortragstext. Allerdings wär es gut, käme ich nicht allzu spät ins Bett; die Babies lassen einen selten durchschlafen, und um 4.30 Uhr wird mich das Mobilchen für die Früharbeit wecken. Was ich bei allem w e i ß, das ist, daß ich dreieinhalb bis vier Stunden schlafen m u ß nachts, sonst fehlt morgens die Konzentration.
So, ran.

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