8.21 Uhr:
[Bei Kühlmanns.]
Nicht zu glauben, ich hab bis sieben Uhr geschlafen; natürlich ging einiges an Getränk über Lippen und Lippen gestern abend und nacht über die Zunge und spülte am Zäpfchen vorbei.
Jetzt bin ich knapp, werde also wohl später direkt aus der Uni dieses Arbeitsjournal weiterführen, das gestern so litt, weil ich einige Zeit lang nicht mehr ins Netz hineinkam, d a herumkämpfen, dann noch, zwei Stunden vor der Vorlesung, die Webcam besorgen und mich im übrigen ja auch noch ein wenig vorbereiten mußte. Einen großen Dank hab ich an Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der mir auf meinen Anruf hin für das >>>> Zagrosek-Portrait sofort den Aufschub um eine Woche gewährte. So daß ich mich nächste Woche in aller Ruhe wieder daransetzen kann. Ich hätte sonst gestern die Nacht durch schreiben müssen.
Zur Vorlesung selbst, das heißt: zu den Hörern. Da es für die Teilnahme keine Scheine gibt und ich die Klagen gut kenne, daß Studenten nurmehr direkt in akademische Veranstaltungen gingen, für die sie Benotungen bekommen, hatte ich befürchtet, es würden vor allem Leute aus Lesekreisen usw. erscheinen, also eher ältere, sagen wir, auserwachsene Leute von außen (die Vorlesung war öffentlich); tatsächlich erschienen zu 70 bis 80 Prozent junge Leute, erschienen Studenten. Nichts hätte mir mehr gefallen können. Ich las/trug vor eine und eine Viertel Stunde, am Stück, mal wieder zu schnell, wie hinterher bemerkt wurde; aber anders als früher störte mich der Einwand nicht: Die Vorlesung steht ja >>>> im Netz, und ich habe die Adresse Der Dschungel gleich zu Anfang an die Tafel geschrieben; so kann nun, wer mag, sie daher beziehen und kann nachlesen und kann Einwände detaillierter und begründeter erheben, als wenn man auf das, was ohnedies immer auch nur vorüberrauscht, sofort reagieren soll. Ich will den Text bis morgen auf der Site stehenlassen und danach hinunternehmen; sollte sich allerdings in den Kommentaren eine Diskussion entwickeln, ließe ich ihn auch länger stehen. Mich interessiert brennend, ob und inwieweit sich physische Präsenz mit Publikation im Netz vermitteln läßt, inwieweit das eine das andere stützt und ergänzt, auch: ob man vielleicht direkt im Netz (hier also in Der Dschungel) eine Art virtuelles Poetik-Seminar abhalten kann. Meines Wissens wäre auch das neu und brächte eine Bewegung in das Literarische Weblog, das sich Newsgroups vergleichen läßt. Auch hier also (m)eine synktretistische Idee. Sollte das der Fall sein, würde ich den Vorlesungstext samt Kommentaren in eine eigene, dann neu anzulegende Rubrik verschieben, damit die nervöse Beweglichkeit der Hauptsite nicht gestört bleibt.
Nun aber will ich duschen. Kühlmann ist zum Reifenwechsel weg (es lag heute morgen Schnee auf dem schrägen Oberlicht meines Zimmers); in einer Stunde wird er zurücksein, dann wollen wir nach Heidelberg fahren. Er muß allerdings zu einer Verlagsbesprechung nach Tübingen weiter und wird vor meiner Abreise morgen nicht zurückkommen. Ich wiederum habe um elf mein erstes Schreibseminar zu halten (creative writing, igitt, was’n Wort), und um 16 Uhr werd ich dann die erste öffentliche Literatur-Lesung dieser Poetik-Dozentur abhalten, werde die >>>> Vergana lesen, auf die ich mich gestern abend in der Vorlesung bezogen habe. Vielleicht trag ich auch zwei/drei Gedichte noch vor. Das aber dann, bewußt, wieder aus dem Laptop. Mal sehn.
Jetzt muß ich sich der Knecht >>>> Ruprechtkarls aber sputen.
Guten Morgen.
10.31 Uhr:
[Universität Heidelberg, Arbeitszimmer, Raum 328. Bach, Partita Nr. 2 (Argerich).]
Eine halbe Stunde vor dem Schreibseminar; ich höre die Argerich und habe den Netzeingang zur Uni wiederhergestellt, IP- und Gateway-Adressen umgeschrieben, learning by doing ist doch das beste, was einem geschehen kann. Mit Zuhause telefoniert, mit dem Profi telefoniert, mit Do telefoniert; alle beben irgendwie mit, daß diese Dozentur auch gut verläuft. Erste Zugriffe auf >>>> die Vorlesung sind schon meßbar. Ich denke, ich werde den Text heute schon in eine eigene Rubrik stellen; aber das mach ich später, nachmittags vielleicht oder abends, wenn ich dazu kommen werde, auch mal wieder einen „normalen“ zu schreiben, oder wenn die Mitschreiber eigene Beiträge geschrieben und eingestellt haben werden. Der Riesentext gibt ja vor allem Neu-Lesern erst einmal einen völlig falschen Eindruck von dem, was in Der Dschungel tatsächlich geschieht. Sollte aber ein „virtuelles Seminar“ über Die Dschungel abgehalten werden können, wäre das ausgesprochen fein für die Entwicklung lehrfähiger Kommunikation. Die Idee geht mit mir parallel seit vorhin unentwegt um; ich werde vielleicht im Schreibseminar darauf zu sprechen kommen; vielleicht biete ich den Studenten an, in einer eigenen Rubrik Der Dschungel ihre für das Seminar geschriebenen, bzw. zu schreibenden Texte einzustellen und sie dort auch von mir und von den Mitlesern diskutieren zu lassen: die Schreibwerkstatt als Öffentlicher Akt. Darüber werde ich weiter nachdenken.
Gerade kommt meine Frau in Skype; vielleicht laß ich sie ein wenig an meinem Blick zum Schloß hinauf teilhaben. Aber dann muß ich schon auch los.
15.34 Uhr:
[Wieder Arbeitszimmer in der Uni.]
Zu der Schreibwerkstatt heute früh später mehr. Nur so viel: daß die jungen Leute sich auf das virtuelle Seminar einlassen möchten. Also werde ich ab oder für ab morgen eine neue Rubrik einrichten, die WERKSTATT heißen wird. Zu den dort eingestellten Texte sind auch Fremd-Kommentare, Lektorate usw. ganz ebenso willkommen wie zu den übrigen Beiträgen Der Dschungel. Die Beiträger werden daraus lernen, bzw. ihre eigene Positionierung, ihre eigenen Interessen im Rahmen dieser virtuellen Werkstatt formulieren, vor allem für sich selber fühlen müssen.
So, ich muß jetzt gleich zu meiner ersten literarischen Lesung weiter. Irgend etwas sagt mir allerdings, daß es da nicht voll werden wird. Das ganze Haus ist sehr ruhig, fast still, bisweilen hört man das ferne Echo eines Lachens, eines Rufens… es ist Freitag nachmittag, wer soll da kommen?
Was die WERKSTATT anbelangt: Willkommen sind auch Texte von Leuten, die nicht in dem Seminar saßen; wir mischen Virtuelles mit Realem. Ich bin gespannt.
Die Lesung wird um 16 Uhr beginnen und etwa bis 18 Uhr gehen, mitsamt Diskussion.