Arbeitsjournal. Sonnabend, der 8. Dezember 2007.

5.31 Uhr:
[Arbeitswohnung. Rossini, La Donna del Lago.]
Ich war derart müde gestern nacht, daß ich geradezu übergangslos in Schlaf gefallen bin; bereits in der U-Bahn waren mir die Augen zugefallen. Die Nachricht von Stockhausens Tod tat da einiges hinzu. Sterblichkeit.
Immer noch wie im Tiefschlaf wachte ich auf, tat, was zu tun war, in einer Art Schlaftrance, gewissermaßen bin ich auch schlafend hierhergeradelt, höre nun meinen Mitschnitt von >>>> gestern abend und setze mich an die Kritik. Hübsch war übrigens, nachdem ich bei der Deutschen Oper anlangte, das kurze Gespräch mit dem Pressechef >>>> wegen meiner Tiefland-Kritik für die Sonntagszeitung. Man sah mich bereits kommen, es war wie ein „Ah ja“, das durch seine und seiner Mitarbeiterin Mimik ging. „Tut mir leid“, sagte ich, „daß meine Kritik nicht so gut ausgefallen ist“, wobei dieses „tut mir leid“ eine Floskel ist, über die ich mich jetzt ärgere; vielleicht mal einen Augenmerk darauf legen, daß man gern, um einen Gesprächseinstieg zu haben, etwas Unwahres sagt, das einlenkt. Natürlich tut mir das eben n i c h t leid, sonst hätt ich’s so ja nicht geschrieben. Beide fanden die Kritik ungerecht, weil so gut wie nichts über die in der Tat gute Arbeit des Regieteams und der Mitwirkenden gesagt war; was aber so auch nicht stimmt; allerdings kommen sie fast nur im Nebenbei vor. Es blieb mir da aber gar nichts anderes übrig, weil ich sonst das Stück indirekt wieder aufgewertet hätte. Darüber hatte ich ja schon nachgedacht, als ich die Kritik schrieb. Das hat mich dann auch auf die Idee gebracht, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, wenn mich das Opernnetz tatsächlich rausgekickt haben sollte. Etwas, das es s o auch noch nicht gegeben hat. Ich hab das in der letzten Woche ja schon mehrfach angedeutet; diesbezüglich wird nun vieles von meinem Telefonat nachher mit dem einen der beiden Opernnetz-Herausgeber abhängen. Egal. Was ich eigentlich sagen wollte: welche Macht es einem verleiht, wenn man für ein Organ wie die Sonntagszeitung schreibt, das ist schon bemerkenswert; auch, wie man das fühlt, zu fühlen b e k o m m t, wie sich einem das geradezu entgegenspült. Das hat durchaus etwas eitel-Angenehmes; ich hab das gestern abend genossen. Zugleich spüre ich, wie ungerecht das eigentlich ist, auch wie unbegründet. Dazu werde ich mich wohl eingehender äußern, sofern ich meine Projektidee umsetzen sollte. Ich möchte es hier nur jetzt nicht unerwähnt lassen. Es war genau diese unlautere Macht, die Stockhausen seinerzeit verletzt hat, als er eine Kritikerin vor seiner Aufführung des randvollen großen Saales der Alten Oper Frankfurtmain verwies: wie da die gesamte Journaille quer durch die Blätterwälder von Verletzung der Pressefreiheit schrie… ich fand das schon damals ein Fest. Er hatte doch gar nichts anderes getan, als sein Künstlerrecht zu verteidigen – auch das Recht, nicht etwas, das ihm am Herzen liegt, einer Kritikerin zum Fraß vorzuwerfen, von der er wußte, daß sie es so oder so verreißen würde. Bei all seiner Neigung zur Selbstvergötzung, es gibt kaum einen Komponisten der Gegenwart, vor dem ich je einen solchen Respekt, eine solche Achtung empfunden habe wie vor Karlheinz Stockhausen und seiner unbedingten künstlerischen Konsequenz. Auch wenn sie im letzten Jahrzehnt immer wieder quasireligiös überkandidelt ist. Seit ich ihm als ganz junger Mann begegnet bin, seit er mich, ein Greenhorn rundum, anfuhr: „Ihnen muß ich erstmal erklären, was K u n s t ist!“, ist er für mich irgendwie d e r Maßstab künstlerischer Unbedingtheit geblieben. Indem er nun gestorben ist, ist für mich einer ihrer letzten Garanten gestorben und damit auch eine Art Vater, ein innerer Vater. Das beschäftigt mich sehr, beschäftigt mich durch die Kopfhörer hindurch, aus denen ich mir meinen Rossini-Mitschnitt anhöre, während ich dies schreibe und doch zugleich, parallel, multi tasking, darüber nachdenke, wie ich meine Rezension anlegen werde.
Guten Morgen. Traurigen Morgen.

9.33 Uhr:
[Stockhausen, Inori.]
>>>> Fertig geworden. Es ging leicht von der Hand. Jetzt such ich grad was bei ebay herum, muß meine DAT-Bänder ergänzen, weil sich momentan keine Aufnahme mehr ohne schrecklichen Klangverlust analog einspielen und als wave abspeichern läßt. Sagen Sie mal, ja, vielleicht kennt sich einer unter meinen Lesern da aus: Ich bräuchte ein Gerät, das DAT-Bänder direkt in den Computer einlesen kann. Was nimmt man da?

9.43 Uhr:
Von >>>> Svarupa.

Karl-Heinz Stockhausen ist am 5. Dezember gestorben, nicht gestern. Ich wollte Sie schon eher darauf aufmerksam machen, dachte mir aber, dass Sie das schon wüssten. In der Wiki >>>> steht es auch schon. Über Stockhausen bin ich zur Neuen Musik gekommen. Ein einzigartiger Mensch, ich weiß… das sind wir alle, aber er war ein sich eigener Mensch.An Svarupa.Nein, ich wußte es nicht. Ich schreibe >>>> meine Rezension jetzt aber nicht mehr um. Es gibt auch persönliche Wahrheiten.
14.12 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung nach Am Terrarium.]
So kam dann, ich war bereits drüben, der Auftrag herein, bitte etwas Persönliches, und ganz schnell, zu Stockhausen zu schreiben. Das habe ich die letzten beiden Stunden getan, nicht viel, aber solch ein Textchen muß sitzen; gerade bei persönlichen Stellungnahmen ist Bescheidenheit mit Innigkeit zu wiegen. Ich warte jetzt noch die Bestätigung ab, daß alles da ist, dann schließe ich die Arbeit für heute. An die Vorlesung kam ich nun nicht, wie auch nicht an die neu eingegangenen Werkstatt-Texte.
Ich komme aus dieser Betroffenheit über diesen Tod nicht raus; es ist, als hätte ich ein Sedativum geschluckt. Und meine Augen sind müde, die Lider kleben dauernd zusammen. Nicht, daß ich weinte.

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