In meinen Sitz gekuschelt sitze ich am Fenster und schaue raus. Ich versinke dieses Mal nicht in einer Zeitachse, sondern in der vorbeifliegenden Landschaft. Den Strom der Gedanken mit- und wegfliegen lassen, hinsehen, aber nichts wirklich erfassen wollen, keine Begrifflichkeiten vergeben. Einfach nur still sein… und aus dem Fenster gucken. Eine Weile nicht wieder auftauchen wollend registiere ich, dass sich jemand neben mich setzt. Ich drehe den Kopf, Paul Reichenbachs Augen lächeln leise verschmitzt… „Sie sind aber schweigsam heute“. Kommt von hinten eine Hand durch die Mitte der Polster, eine Nase über die Polster gewandert: „Schweigen heißt nicht stumm sein, sondern sich weigern zu sprechen, also immer noch sprechen“. „Satre“ sage ich leise lakonisch und sehe im Aussprechen das fast unmerkliche Zucken von Paul Reichenbachs linker Augenbraue. Die Hand zwischen den Polstern zieht sich zurück, um über die Lehne greifend sich mein Buch zu nehmen, welches ich in der Hand halte. „Oh… schönes Büchlein“. „Ja, ich bin an einem Satz hängengeblieben, den ich nicht auf die Reihe kriege, überhaupt, Peter Bichsel lässt einen ganz schön allein mit seinen Texten“. „Können sie das begründen?“. „Fachlich qualifiziert sicher nicht, es ist ein Gefühl, für mich gibt es ein intentionales Schweigen von Sprache, dieses Schweigen muss ich mit meinen eigenen Worten und Gedanken auffüllen“. „Na das klingt schon garnicht schlecht“ kommt es leise von hinten über den Sitz. „Um welche Geschichte geht es denn?“ fragt Paul Reichenbach. „Es ist die Geschichte von dem alten Mann, der eine Sprache neu erfinden möchte. Er leert alle ihm bekannten Wörter und füllt sie neu. Zum Schluß aber verstummt und vereinsamt er, weil er nur noch diese von ihm erfundene Sprache versteht“. „Und um welchen Satz geht es?“. „Am Mann blieb der alte Fluß lange im Bild läuten“… „Partikularsprache“ ertönt es wieder von hinten. „Na toll, was soll ich denn mit dieser Begrifflichkeit anfangen… ich will ein Gefühl für einen Text, ich will einen Faden der sich spannt, da hilft mir die Definierung von Form herzlich wenig, mein Gefühl, das ich bei diesem Satz habe, ist ein Verstummen… von Rede, da stocke ich dann auch beim Lesen und hole erst mal Luft“. „Das mit der Partikularsprache vergessen sie mal, dass was sie da feststellen, ist nichts anderes als das, was man den Schatten eines Textes nennt, manchmal macht ein Schriftsteller so etwas absichtlich, er wirft einen Schatten und verlangt so vom Leser, sich mit dem Text zu beschäftigen, ihn sich zu erarbeiten. Das bedeutet, dass dieses Schweigen, was sie da empfinden, mehrere Schichten haben kann“ antwortet Bruno Lampe erklärend. „Danke, da war mein Gedanke ja garnicht so verkehrt, dann werde ich mich mal in die Schichten dieses Schattens vertiefen“ antworte ich und nehme Bruno Lampe das Büchlein wieder aus der Hand. Er schaut mich an: „Sie werden Werkzeug brauchen“. „Werkzeug?… ich habe zu Hause eine Tastatur und die Buchstaben landen auf dem Papier…ähem Bildschirm“. „Nun ja, ein wenig Wissen über die Formen an sich könnte nicht schaden, wir haben da eine Werkzeugkiste… aber lesen sie erstmal in Ruhe“.