Arbeitsjournal. Mittwoch, der 19. Dezember 2007.

5.21 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Jemand hatte mir gestern einen >>>> TAGESSPIEGEL in den Briefkasten gesteckt; als ich ihn aufschlug, wußte ich sofort, warum. (Das heißt jetzt n i c h t, es habe eine Absicht dahintergesteckt; aber für jemanden wie mich, der die Wahrscheinlichkeit, in uns wirkten – biologische – Determinanten, für sehr viel höher anschlägt als daß er glaubte, wir seien „frei“, nehmen solche auch über die Postwurfsendung vermittelten Zufälle immer ein wenig den Geschmack geschlossener Systeme an). Auf Seite 3 – die ganze Seite, was auch schon interessant ist – >>>> ein Artikel über die noch wenigen >>>> Kreationisten, die es in Deutschland gibt, die es in den USA aber schon schaffen, die wissenschaftlichen Wissens-Grundlagen der Schulen erfolgreich zu torpedieren. Geschrieben hat den Artikel ein Herr Fredy Gareis, für den die Redaktion unter der Headline und „von Fredy Gareis“ auch seinen Wohnsitz angibt: Klosterreichenbach. Das wirkt wie eine Characterisierung, und ich fragte mich sofort: Was soll das?
Erzählt wird von einer Familie, die ihre Kinder unter Mißachtung der Schulpflicht alleine zuhause erzieht: „Die Berliner Behörden wissen davon nichts. Das soll nach dem Willen der Familie auch so bleiben, weswegen ihr richtiger Name nicht in der Zeitung steht.“ Das ist, so formuliert, eine indirekte Parteinahme, die die Mißachtung der Schulpflicht d e c k t. Aus dem Fakt, wo der Artikel und wie er plaziert ist, läßt sich also einiges schließen, das schon – vielleicht ganz unbewußt – in die öffentlichen Medien der Aufklärung wandert.
Kreationisten lehren, es habe Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen; sie nehmen die Bibel wörtlich und lehnen die Evolutionstheorie ab. Pädagogisch heißt das, ihre Kinder werden auf eine und n u r eine Welterklärung festgenagelt, ganz unabhängig davon, daß sich so imgrunde nichts mehr erklären läßt und eigentlich auch Autos nicht fahren können dürften. „Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, autonom zu denken“, sagt der im Text Herr Rohleder genannte kreationistische Vater zweier Töchter. Die sollen nicht wissen, wie ein Penis aussieht. Sogar den Prozeß gegen in der Gegend affichierte Plakate hat er gewonnen, die für eine Sexmesse warben.
Ich dachte sofort, daß dies nun >>>> perkampus‘ Argumenten gegen die Ergebnisse der Hirnforschung ähnele, ja überhaupt, auf der genau anderen Seite, den Vorstellungen persönlicher und also restlos autonom entscheidungsbefähigter Freiheit, von der wiederum ich meine, daß es sie nicht gibt. Sie müßte tatsächlich von einem Schöpfer bewirkt sein, als ein Ausfall aus der Naturgesetzlichkeit. Und beide Enden berühren einander, der unbedingte Glaube an die Wahrheit Gottes wie der unbedingte Glaube an die Autonomie; sie berühren einander, obwohl sie von völlig fernen Sternen zu stammen scheinen und im Falle der Autonomie letztlich in die Demokratie geführt haben. Beides randscharf zu fassen, also dogmatisch, bedeutet, es je in das Gegenteil zu verkehren. Da ist mir ein Modell wie >>>> dieses näher; es kommt mir fruchtbarer vor, weil es Widersprüche vermittelt und es möglich macht, sowohl religiöse Gefühle zu haben, Freiheit empfinden zu können (das ist wichtig für die Folgen; unabhängig davon, ob es sie faktisch gibt) und strenge Naturwissenschaft empirisch zu betreiben. In diesem Sinn will ich auch >>>> meine Mariengedichte verstanden wissen, oder daß man Bachs Messen hört – also einen Synkretismus favorisierend, der sehr wohl die (Wol)Lust am Geschlecht und religiöse Inbrunst, Perversion und Güte, striktes mathematisches Denken und Phantastik mit scharfer Kritik, ja Kampf und humaner Zuneigung zu vereinen weiß. Genau das, glaube ich, muß Dichtung sinnlich vorführen – da liegt eine „Aufgabe“ von Kunst überhaupt, von Malerei, von Musik.

Das alles dachte ich auf – Klo, diesen Artikel auf den Knien bei zu den Waden hinuntergelassenen Hosen. Er hat etwas schwärend Ambivalentes, auch etwas, das sehr, wenn auch noch leise, in mir warnt, als wäre ein Tier in der Nähe und ich das Wild, das sich ins Unterholz kauert und wartet, bis man es stellt. Zugleich spüre ich, daß sich die Kreationisten ein Stück Selbstbestimmung zurückholen, auch und gerade dann, wenn es auf einer horrenden Illusion beruht und schließlich dazu führen wird, daß jener Herr Rohleder seinen bald geschlechtsreifen Töchtern nicht gestatten kann, mit Jungens zu schlafen, mit denen sie’s wollen, und auch dafür Sorge tragen wird, daß sie in seinem Sinn verheiratet werden. „Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, autonom zu denken.“ Also, d a liegt der Querschluß, bestimmen w i r, was er zu denken hat. Und zu fühlen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das so auch funktioniert. Diese Lehre erteilt uns die Burka.

8.58 Uhr:
Das Konzept für die geplante Opern-Netzpräsenz an die Berliner Häuser hinausgeschickt und auch bei >>>> Leukert angefragt, ob ich ihn als Mitarbeiter gewinnen kann. Er ist vor allem für alles wichtig, das mit Neuer Musik zu tun hat; immerhin war er dafür Musikchef beim Hessischen Rundfunk; überdies ist er homme de lettre. Ich muß jetzt sehr genau darauf schauen, daß die diversen Entrées funktionieren; dazu sind namhafte Mitarbeiter wichtig. Selbstverständlich habe ich an Helmut Krausser gedacht und auch an Gerd Jonke in Wien, die ich ja beide kenne. Herbert Rosendorfer wäre ebenfalls eine Option, nur habe ich da keinen persönlichen Kontakt. Und persönliche Kontakte sind erst einmal das, auf was ich mich stützen kann.
Jetzt geht’s „konzeptual“ gleich weiter: Das >>>> Virtuelle Seminar ist zu beschreiben, um an der Heidelberger Uni eine Fortsetzung ins Sommersemester durchzubekommen, und auch darüber hinaus. Auch hier wird es eine Frage sein, ob die Heidelberger lieber selber ein Weblog programmieren, etwa über >>>> wordpress, oder ob wir uns auch dafür auf >>>> twoday stützen. Für letzteres spricht die gute Erfahrung, die ich für DIE DSCHUNGEL mit diesem Provider gemacht habe. Das bestimmende Wort dabei haben allerdings in beiden Fällen die Träger des jeweiligen Projektes.

12.04 Uhr:
Der Turmsegler hat >>>>> auf meine Erwiderung geantwortet; darauf habe >>>> nun ich wieder reagiert und deshalb die Arbeit an dem Uni-Konzept unterbrochen. Meine Antwort ist noch nicht freigeschaltet; wenn Sie sie lesen möchten, versuchen Sie es in Abständen. Spätestens in einer halben Stunde sollte es drinstehen. Ich aber, jetzt, brauche dringend meinen Mittagsschlaf. Viel Arbeit danach wird es nicht mehr werden können, da um 15 Uhr ein Konflikt-Termin in der Schule meines Jungen stattfindet (Ärger mit der Hortleiterin) und danach ein Weihnachts-Theaterstück aufgeführt werden wird, das seine Klasse und eben auch er einstudiert haben. Mal sehen, wann ich dann wieder am Schreibtisch sitzen werde.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 19. Dezember 2007.

  1. Kreationisten? Die gibts doch auch in lustig und nett und bunt. Die haben dann was übrig für Stripper-Fabriken und Piraten. Für Nudeln. Und die mögen die Farbe Pink. May Her Hooves Never Be Shod – besonders nicht in der Schule!

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