6.21 Uhr:
[Am Terrarium. Brahms, Erstes Klavierkonzert.]
Bleibe heute morgen hier, bis der Junge zur Schule fährt. Er hat heute ein Gedicht vorzutragen, das wir zwei gestern abend erst einstudiert haben; das möchte ich gerne beim Frühstück mit ihm festigen. Einen „Reim“ hieß es, solle jedes Kind der Lehrerin vortragen. Ich habe Ringelnatzens männlichen Briefmark für ihn ausgesucht – lieber wäre mir noch das Gipsreh im Park gewesen, das ich ungemein poetisch finde; aber mein Sohn favorisierte eindeutig die Tragik des Lebens.
Seit Tagen tu ich nur Unfug. Schlage mich mit der nicht, bzw. nicht richtig funktionierenden Blutooth-Funktion des neuen Mobilchens herum oder gehe sonstigen Beschäftigungen nach, die mit Installation und insgesamt Begreifen von Programmen zusammenhängen; bin dabei unruhig, mal wieder testosteronal getrieben, was übrigen Unfug nach sich zieht; und wenn ich b e i mir bin, nehme ich das Cello und übe. Dabei kann man nicht einmal sagen, daß ich wirklich schöne Töne hervorbrächte, aber das ist ganz egal; zumal ich merke, daß dieses Üben wirklich etwas bringt, musikalisch bringt; „plötzlich“ klappen Phrasierungen wie automatisch. Alles in s e h r kleinem Rahmen, klar, es sind ja die ersten Schritte für Kinder, wonach ich lerne oder zu lernen versuche – aber allein, diesen Cellokörper an sich zu spüren, hat eine wunderbare Intensität. Dabei ist er mir zu klein, es ist ja nur ein halbes Cello, das auf Kinder ausgerichtet ist. Manchmal nehme ich den Bogen und krieg dann eine solche Kraft, daß die Saiten protestierend zu schnurren anfangen, weil sie dieses gewaltsame Aufstampfen nicht gewöhnt sind.Ein Gedicht fiel mir ein, daran werde ich nachher noch etwas sitzen; die ersten Zeilen habe ich eben notiert. Sie hängen >>>> damit zusammen. Ich m u ß da was bearbeiten, ich darf das nicht einfach so schleifen lassen. Dann, gestern, erreichte ich >>>> dielmann; MEERE soll nun in einer Woche fertigsein. Es ist mir eigenartig gleichgültig, ich denk immer wieder: Ich habe genug Bücher geschrieben; die können ja ruhig e r s t mal gelesen werden, bevor ich nachlege; außerdem ist mir meine Netzpräsenz literarisch sehr viel mehr entscheidend geworden; Leser gibt’s ja also. Deshalb trag ich’s gelassen, daß die BAMBERGER ELEGIEN – aufgrund diesmal m e i n e s „Verschuldens“ – mitnichten schon zur Leipziger Messe fertigsein werden. Dielmann, den ich gestern endlich ans Telefon bekommen habe, erhob keinen Einwand; wie allerdings sollte er auch? Allerdings, „es wäre aber gut, hätten wir für die beiden Leipziger Lesungen dann wenigstens schon die Fahnen“. Das sollte sich schaffen lassen. Wann die AEOLIA erscheint, wiederum, ist momentan ebenfalls ungewiß, weil die Verlegerin nicht damit fertigwurde, den 10. Odyssee-Gesang zu erfassen, der dem Buch voran- und nachgestellt ist. Ob vielleicht i c h das abtippen könne? Nur daß ich nicht weiß, ob auf Griechisch. Meine Frage danach ist unbeantwortet geblieben. So bleibt das Buch noch drei weitere Wochen liegen. Ich nehme an, daß es nach meiner Rückkehr aus Spanien weitergehen wird. Ebenso wird es mit dem Buch bei >>>> Manutius sein; einfach, weil ich es vor der Tournee nicht mehr schaffen werde, die Heidelberger Vorlesungen für die Drucklegung angemessen vorzubereiten. Ich sollte dem Verleger vorher ein paar Zeilen schreiben. Vielleicht werde ich die auf der Fahrt nach Hausach, also am Sonntag, verfassen und von dort aus dann wegschicken.
Daß übrigens der Profi hier >>>> etwas kommentiert hat, ist sensationell. Da muß er sich wirklich s e h r geärgert haben. Ich habe das Gefühl, >>>> wieder einmal Arndt gegenüberzustehen, den für eine Romanfigur zu halten ich mir längst selber angewöhnt habe. Und sah den Eintrag entsprechend baff. Ich muß ihn – den Profi, nicht den Eintrag – heut abend darauf ansprechen; wir wollen in der Arbeitswohnung eine Flasche 92er (!) Weißwein leeren, von dem wir nicht wissen können, ob er nicht längst gekippt ist.
Guten Morgen. Ich mach jetzt mal unbedingt mit dem >>>> La-Bohème-Text weiter. Heute abend sollte der Rohling stehen.
8.46 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bruckner, Zweite.]
Jetzt bin ich hier. Der Junge k a n n das Gedicht; es ist wirklich eine Freude mit ihm. Nur zum Friseur muß er mal dringend, auch wenn er nicht mag. Und ich muß dringend mit dem Text weitermachen. Da heute nachmittag für die morgen stattfindende große Geburtstagsfeier meines Sohnes eingekauft werden und jemand auf die Babies aufpassen muß, ist meine Zeit abermals eingeschränkt – zumal ich unbedingt unbedingt Cello üben will. Aber das kann ich ja vielleicht dann und dabei tun…
12.24 Uhr:
Absolutes Bruckner-Getobe heute hier in der Arbeitswohnung. Jetzt noch zweimal hintereinander in Konzertlautstärke die Dritte gehört, erst unter Inbal, dann unter Jochum; gerade eben ist die Coda verschallt, und ich leg mich zum Mittagsschlaf hin. Wie ich SCHAUNARD VOM PRENZLAUER BERG erzähle, ist nun eigentlich klar, und auch m e i n e Coda dabei, die von Pädagogik nicht ganz frei ist – nur daß keine „Knaben“ gemeint sind.
15.06 Uhr:
[Penderecki, Zweites Cellokonzert. Toll! Und zum Espresso.]
Telefonat mit Seidl, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Ich habe vorgeschlagen, da >>>> der Anlaß und ein Großteil des >>>> Gesprächsinhaltes meines Zagrosek-Portraits ja nun wirklich lange zurückliegt, es fallenzulassen und statt dessen eine Reportage von der Spaniern-Tournee des >>>> Konzerthausorchesters (unter Zagrosek) zu bringen. Er hat sofort eingewilligt. Jetzt zahle ich auch insgesamt nicht mehr drauf, weil man mir für die Verpflegung je einen Tagessatz gibt. Das Portrait werde ich dann h i e r einstellen – es sei denn, es findet sich noch jemand anderes, es zu bringen. Allerdings ist das aus den genannten Gründen unwahrscheinlich. Nett war Seidls Frage, ob ich auf der payroll des Konzerthauses stünde. Das ließ sich ja nun sehr guten Gewissens verneinen.
Es geht also weiter. Allerdings krieg ich meinen Bohème-Text nun wohl doch heute nicht mehr fertig. Aber ich komme voran.
rastlos In Kürze jährt sich zum zweiten Mal der Todestag meiner Mutter . Ich stelle ähnliche Befindlichkeiten fest ,wie Sie sie in Ihrem Tagebuch beschreiben.Davon abgesehen beschäftigt mich meine Mutter seit Ihrem Sterben mehr als zu Lebzeiten. Das ist teilweise erschütternd . Als ob eine Nähe entstehen würde , die wir in dieser Form nicht gehabt haben . Ich habe vier Tage und vier Nächte bei ihr gewacht , bevor sie gestorben ist. Auch in dieser Form bin ich seit meiner KIndheit nicht mehr bei ihr gewesen . Die Aufarbeitung findet bei mir in meiner Malerei statt. Das ist mein Weg , mir und der Welt etwas näher zu kommen.