5 Uhr:
[Am Terrarium.]
Gebohrt, gedübelt., geschraubt, gepackt, gewuchtet, geräumt, geschwitzt, gestellt. So gestern von morgens bis abends. Aber es ist noch nicht fertig, ich muß einen weiteren Tag daranhängen. Mehr wird dann nicht gehen, zumal am nächsten Montag >>>> die Produktion des Marianne-Fritz-Hörspiels beginnen wird, zuzumalen gestern eine Mail von Peggy Lukac einging, einer der vorgesehenen Sprecherinnen, derzufolge sie eventuell die Rolle n i c h t werde sprechen können; sie rief nachmittags auch noch an, da stand ich bis zu den Knien in Dübeln und konnte nicht recht reagieren; das muß ich heute alles mit hineinschieben und auch meine Regieassistentin anrufen, die derzeit in Köln ist und beim WDR in den Archiven nach Musiken sucht, die ich ihr nannte; sie rief ebenfalls an (auf Mailbox). Im übrigen ist weiterzubohren, weiterzudübeln, weiterzuschrauben, weiterzupacken, weiterzuwuchten, weiterzuräumen und zu schwitzten; außerdem ist enorm in den Müll zu verfrachten; ich tendiere dazu, was ich angefangen habe, zu Ende zu bringen. Aber ab morgen muß ich mit Karacho in die literarische Arbeit, vor allem die Vorbereitungsarbeiten meiner Regie. Ganz wichtig ist, daß ich alle Musiken schon einmal vorgeschnitten habe.
Meine Hände tun weh und sehen schlimm aus; ich merkte das gestern während meiner 1,5-Stunden-Unterbrechung für den Cello-Unterricht. Die Nagelhaut eingerissen, einmal blutete sie auch, egal; jedenfalls krieg ich in zwei Tagen hin, wozu andere zwei Wochen brauchen, das ist ja auch eine Selbstbestätigung, immer ein bißchen Triumph durch Hartnäckigkeit, per aspera ad Schöner Wohnen, na ja. (Wobei es mich mit leiser Beruhigung füllt, daß die Arbeitswohnung insgesamt einigermaßen klar ist, auch wenn es, damit man dort auch mal gut durch den Flur kommt, nicht von der Hand zu weisen ist, daß sie auch dort angelegt werden müßte; vor allem wären die Bücher nach jenen zu trennen, die wirklich wichtig sind, und jenen, die ich allmählich mal weggeben sollte, weil ich ja eh nicht mehr hineinschaue).
Ich wollte und will noch immer auf einige Beiträge und Kommentare in Der Dschungel reagieren; muß ich schieben. N i c h t schieben darf ich >>>> die neuen Beiträge im Virtuellen Seminar. Daran werde ich mich jetzt gleich während der Früharbeit machen, sowie meine Pynchon-Rezension für den >>>> FREITAG ein letztes Mal durchgesehen und an die Redaktion hinausgeschickt worden ist. Ebenso sind dringende Mails zu beantworten. Um halb acht dann muß ich noch mal mit meinem Jungen zusammen zu seiner Schule radeln, um seine Musiklehrerin zur Rede zu stellen; um genau zu sein: ich will ihr die Autorität vor den Kindern nehmen. Nicht nur, daß sie Kinder, die nicht aufpaassen, viertelstundenweise vor die Tür schickt und sie nicht weiter am Unterricht teilnehmen läßt, nein, einen Freund meines Jungen hat sie mehrfach vor der Klasse einen „Dödel“ genannt und die Vergeßlichkeit meines Sohnes mit einem Witz à la Alzheimer lächerlich gemacht; einem anderen, der während des Unterrichts mit einem Buntstift spielte, diesen Buntstift weggenommen, ihn zerbrochen und weggeworfen, „und“, erzählte L. gestern, meines Jungen bester Freund, „wenn wir mal ans Glockenspiel gehen, rastet die immer gleich völlig aus.“ Wobei er ganz erwachsen sagte: „Ich habe überhaupt nichts gegen Musik, aber bei dieser Lehrerin hat man überhaupt keine Lust.“ „Mag sie überhaupt einer von euch?“ „Nur J., sonst keiner.“
Ich finde es bei Musik unerträglich, solche „Pädagogen“ wirken zu lassen; sie treiben den Kindern die sog. Klassische Musik gerade nur a u s und dann dem Pop erst recht in die Arme. Gestern sprach ich die Frau schon mal kurz, weil ich wissen wollte, was in der heutigen Klassenarbeit drankomme. Sie: „Was in seinem Musikheft steht.“ „Und wenn er nicht alles mitgeschrieben hat?“ Da zuckte sie nur die Achseln. „Dann können Sie mir das doch jetzt sagen, dann kann ich mit dem Jungen noch üben.“ „Was im Musikheft steht.“ „Also über die Zauberflöte.“ Sie hatte natürlich keine Ahnung, daß ich aus dem Stegreif darüber Referate halten konnte. „Ja.“ „Kommen auch Noten dran?“ „Nein.“ Sie wurde unwillig, ich merkte es; wir hatten uns nur angesehen und wußten, wie unsympathisch wir einander waren. Sie gehört in jenen verhärmten Frauentypus, der mangelnde erotische Befriedigung auf Musik verschiebt und dann immer verhärmter wird, weil Musik ihm eigentlich nicht geben kann, was er sucht; es wird immer bei der Verschiebung bleiben. Das mag auch okay sein, aber nicht, wenn man es auf Kinder projeziert, die ein sehr genaues Sensorium für solche Zusammenhänge haben, das Falsche daran begreifen, es dann aber nicht der unterleibsseelisch geschundenen (eigentlich ja: ungeschundenen) Lehrerin, sondern ihrem Fach anlasten. Und man wird für eben dieses Fach verdorben.
Ich werde aufpassen müssen nachher, daß ich nicht ausraste.
So, an den Pynchon.
o.t. Wollen Sie das wirklich so im Netz stehen lassen? Sind Ihnen alle, die das zu lesen kriegen könnten, so wohlgesonnen, dass man sicher sein kann, dass da nichts daraus gestrickt wird? Könnte ich Ihnen hier offen raten, dann . . .
Was, lieber Herr Hurka, finden Sie daran problematisch? Ich habe, anders als normalerweise, nicht einmal Namen genannt. Sie können sich allerdings vorstellen, wie sauer der Schulleiter war, als ich die betreffende Lehrerin vor der Kollegenschaft angeraunzt habe; er nahm diese Lehrerin und mich in sein Zimmer und wollte nicht einmal, daß mein Sohn bei dem Gespräch dabei ist. „Hier ist m e i n Bereich, die Regel bestimme i c h.“ Daraufhin ich: „Dann gehe ich wieder und schreibe eine Dienstaufsichtsbeschwerde.“ Er ließ dann meinen Sohn zu dem Gespräch hinzukommen. Wir trennten uns äußerst kühl. Aber, so erzählte meine Junge nachmittags, die Lehrerin hat sich, von sich aus, kann man sagen, bei den Kindern für ihr Verhalten entschuldigt. Also trag ich jetzt nichts nach und verzichte auch darauf zu tun, was ich eigentlich vorhatte: nämlich einen Rundbrief an alle Eltern zu starten, sie möchten doch bitte ihre Kinder nach dieser Lehrerin befragen. Morgens noch – ich war nach dem Gespräch mit meinem Jungen zu seinem Klassenzimmer hinauf, um seine Klassenlehrerin zu informieren – sprach ich mit der Mutter eines Klassenkameraden, der dann auch sofort klagte.
Also, wenn mir jemand „etwas daraus drehen“ will, soll er’s tun; ich werde in jedem Fall dann hier in Der Dschungel, und zwar dann m i t Namen, reagieren. Es geht um das Wichtigste, das wir haben: nämlich um unsere Kinder. Und zwar k ö n n e n Lehrer ausgebrannt sein, gar keine Frage, und es ist ihnen nicht zu verübeln; aber dann sind sie, als wären sie schwer erkrankt (was sie dann ja s i n d) unversehens zu beurlauben, ansonsten richten sie bleibende Schäden an. Stellen Sie sich mal vor, man würde das bei Piloten von Passagierflugzeugen anders halten oder bei Busfahrern usw. Da würde jedermann protestieren, und zwar mit Recht. Nur bei Lehrern scheint die Gesellschaft ein seltsam tolerantes Herz zu haben.
o.t.2 und Ihr Sohn zwischen allen Fronten?
@hurka. Die Problematik ist mir bewußt. Aber sie fällt unter das, was ich „sich nicht korrumpieren lassen“ nenne. Wenn er zwischen die Fronten gerät, muß er in seinen Leistungen tadellos sein; ich vermittle ihm das auch immer wieder. Wer fachlich voransteht, ist letztlich unangreifbar. Es sei denn, er klaut Löffel aus Gold. Und was sollte mein Junge mit sowas?
Argumente Glauben Sie mir, ich hätte genug Argumente für meine Haltung, werde sie hier aber sicher nicht – der schlafenden Hunde wegen – ausbreiten. Nur soviel noch: Einer kindlichen Psyche, die in Hegelmonialkämpfe von Erwachsenen involviert wird, nützt Leistung gar nichts. Sie ist da immer angreifbar und verwundbar.
Wir Erwachsenen merken das nur nicht immer, weil Kinder das oft nicht zeigen, um uns nicht zu verunsichern.
Es geht hier nicht um Hegemonialkämpfe. Die fände ich auch uninteressant. Sondern es geht darum, für eine sinnvolle Pädagogik einzustehen und dabei Werte zu vertreten. Borges‘ Vater ging so weit, seinen Sohn erst gar nicht auf die Schule zu geben, damit er nicht verdorben würde. So etwas geht selbstverständlich n u r dann, wenn das Elternhaus die nötige Bildung paratstellen kann, für alle übrigen Menschen ist die Schulpflicht ein Segen. Für die wenigen aber ist sie ein Elend – oder kann es doch sein. Etwa hat mein Junge eine Klassenlehrerin, die man gar nicht genug rühmen kann; sie i s t ihr Beruf, und so sollte es zwar immer sein, besonders aber bei Pädagogen. Wie mich schon schrieb: Flugzeugpiloten würden, sowie sie auch nur S p u r e n eines Ausgebranntseins zeugen, sofort vom Dienst nicht nur freigestellt, sondern ihnen würde untersagt zu fliegen. Mit vollem Recht. Man sollte das bei Lehrern ganz ebenso halten. (Wobei mich die Moral der Lehrer gar nicht interessiert; ich kenne Fälle, da waren die Lehrer menschlich nun nicht gerade das Gelbe vom Ei; aber sie hatten die Fähigkeit, für ihr Fach zu begeistern. Begeistern zu können halte ich für das Wichtigste überhaupt, L u s t zu vermitteln am Lehrstoff. Es gibt ja auch die Gegenfälle, und einige von denen „durfte“ ich erleben: Deutschlehrer mit enormer sozialer Kompentenz; zugleich vertraten sie die Ansicht, es komme nicht so sehr darauf an, daß man viel gelesen habe; vielmehr sei die richtige politische Haltung das Wichtige. Und in der Tat, sie h a t t e n nicht viel gelesen; selbst der Abendgymnasiast, der ich damals war, brauchte bloß zweimal nachzustechen, schon viel das gesamte Bildungsgebäude in sich zusammen. Das Ergebnis bekamen wir in Pisa aufgetischt – allerdings stehen „wir“ damit immer noch weitaus besser da als die USA; überhaupt kein Vergleich.)
falsch verstanden Wenn ich von Hegemonialkämpfen spreche, dann aus der Perspektive des Kindes – dezidiert!
Auf irgendwas Bildungsmäßiges stößt man sicher immer, wenn man was rechtfertigen will. Sie haben Recht und das 1000 Mal!
Aber stellen Sie sich doch bitte mal vor, ein republikbekannter Zeitungsredakteur würde im Leitartikel praktisch namentlich gegen eine Lehrerin seines Sohnes vorgehen – wie käme das denn bei Ihnen an – nicht wie mit Kanononen auf Spatzen schießen? Und wären die Kanonen dann nicht im Unrecht. Dass Sie Ihre Invektive wirklich als anonym ausgeben, halte ich für eine Rationalisierung, weil Sie irgendwie aus der von Ihnen selbst
installierten Struktur nicht mehr rauskommen. Ich will wirklich nicht gegen Sie argumentieren, Recht haben und so weiter!
@hurka. 1) Ein Kind erlebt, daß seine Eltern gegen schulische Belange auf seiner Seite stehen, und zwar egal, was ist. Wo sehen Sie da aus der Perspektive des Kindes Hegemonialkämpfe? Ich finde das, vom Persönlichen abgesehen, auch sachlich eine spannende Frage.
2) Ich habe weder einen Namen noch eine Schule genannt; da es aber auch an ein- und derselben Schule mehrere Fachlehrer gibt, könnten ganz verschiedene Lehrer gemeint sein. Wo finden Sie, daß ich Anonymität verletze?
3) Abgesehen davon, weshalb sollten Lehrer, die ihre Schüler mit Schimpfworten vor der Klasse lächerlich machen, anonym bleiben? Es scheint mir eigentlich sogar sinnvoll zu sein, die Namen zu nennen und die Vorgänge eben nicht abstrakt auszutragen. Ich bin ja insgesamt für Öffentlichkeit, siehe meine häufigen Einlassungen zu „Das Private ist politisch“.
4) Seit Jahren werde ich selbst von der Presse auf oft infam persönliche Weise angegriffen, was bis zur üblen Nachrede geht, für die meine Herkunft nur ein Motiv ist. Weshalb soll das bei anderen anders gehandhabt werden?
5) Ich bin kein republikbekannter Zeitungsredakteur, sondern ein Autor, der innerhalb seiner Szene nicht ohne Bekanntheit ist; treten Sie drei Schritte aus der Szene heraus, ist es mit der Bekanntheit schon vorbei. Also dieser Vergleich hinkt nun wirklich. Hinkte er aber nicht, und sagen wir Schirrmacher nutze seine Wege zum Schutz seines Kindes, könnte ich das immer noch verstehen; es wäre etwas anderes, handelte es sich um ein von der Öffentlichen Hand getragenes Publikationsorgan, dessen Inhalte demokratischer Vorgänge bedrüften.
6) Der Schaden, den manche Lehrer anrichten, ist ganz sicher größer als derjenige, den Publizisten anrichten können – und zwar auch nur entfernt.
@ alban herbst also ich finde sie haben da doch völlig recht.
nun bin ich ja immer ein äusserst pingeliger mensch, aber ich finde
absolut nichts verwerfliches daran, sowohl so ein pädagogisches
missverständnis anzugreifen als auch darüber zu schreiben.