Arbeitsjournal. Montag, der 23. Juni 2008.

5.18 Uhr:
[Arbeitswohnung. Montagsruhe.]
Latte macchiato und Morgenzigarette; eine nächtliche SMS, die ich verschlief, morgens standen indische ein-Riemen-Sandalen auf dem zugeklappten Laptop, die ich so gerne trage, aber seit letztem Sommer waren keine aufzutreiben in Old Europa, but not in this chamber, my house has many mansions, however, und nun passen die großen Zehen nicht hindurch. Der Zwillingsbub wachte auf und schrie sofort. Ich bereitete die Milch, stellte sie in den zugezippten Warmhaltefächern vor die Tür nach dem Wachwechsel, nahm den Arbeitsrucksack vor die Brust, das Cello auf den Rücken, zog hinter mir die Wohnungstür zu. Ein massives Gewitter mit Pladderregen hat kaum Abkühlung gebracht, die Straßen dampften im Morgenhell, unser kurdischer Lebensmittelhändler entlud seinen Ladebus, seine Frau richtete die neuen Gemüse an, wir winkten einander zu, ich radelte weiter.
Hier sieht’s völlig chaotisch aus, ich muß unbedingt einen Ordnungsgang einlegen, von UF allerdings ist als Spur nur noch das noch immer aufgeschlagene Lager geblieben; nachmittags waren wir über den Flohmarkt Mauerpark geschlendert, in der wundervollen Hitze, saßen im Sand, als wäre das Goa, süffelten Cola und alkoholfreie Cocktails und sahen den Babies zu, die unterdessen eher schon Kleinkinder sind. An Arbeit dachte ich nicht. Bisweilen spöttelten wir uns in Anlehnung an jüngste Korrespondenzen ein „inhaltsleer“ zu. Ich spüre momentan überhaupt keinen Arbeitsdruck: seltsam an sich, denn zu tun ist nicht wenig. Dennoch, ich brächte heute gern die letzte >>>> Scelsi-Variation, die Kanzone, zu Datei. Ist aber knifflig, weil ich das Gefühl für die Form noch nicht habe und ein Abschlußgedicht nirgends auch nur im mindesten „durchhängen“ darf; man kann es nicht mehr als Modulation begreifen. Außerdem wird es wohl das letzte in dem Buch überhaupt.
Viel Spott, dazu, weil bei >>>> dielmann immer so unsicher ist, ob ein Buch wann und wie erscheint; diese Unsicherheit hält auch Rezensenten schon davon mal ab, etwas zu schreiben, „denn dann laufen die Leute in den Buchhandel“, was ich für reichlich übertrieben halte, „und wollen ein Buch, das nicht da ist.“ Ich erfuhr so manchen Hintergrund über das Listing oder eben nicht-Listing bei http://amazon.de und Hintergründe bei Grossisten überhaupt. „Was >>>> Libri ausmustert“ (sie musterten nach einem System von verkauften Exemplaren aus, es sei denn, ein Autor ist an einen Verlag gebunden) „erscheint auch bei amazon nicht mehr, gleich, ob es ein Buch gibt oder nicht“. Nun bin ich, seit es das Netz gibt, diesbezüglich sehr ruhig; was es gibt und was man haben möchte, bekommt man dort nämlich auch, nicht immer über die „normalen“ Wege, aber von >>>> ZVAB, >>>> Buchhandel.de bis zu Privatverkäufen; selbst >>>> DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS, sah ich, ist lieferbar, nach fast 27 Jahren. Das ist eine prinzipiell neue Situation sowohl für den Handel wie für die Präsenz von Autoren. Ah ja, bei >>>> Jesses habe ich angerufen: die >>>> AEOLIA (Stromboli) sei jetzt beim Buchbinder und in zwei Wochen mit den ersten Exemplaren zu rechnen. UF war ganz fuchsig: „Ich habe denen geschrieben, das Buch bestellt und nach dem Erscheinungsdatum gefragt, vor ein paar Wochen schon; es kam bis heute nicht einmal Antwort.“ Nun ließ er sich entfuchsen, weil er bei meinem Telefonat dabeiwar.
Keine Ahnung, noch, wie ich diese Kanzone angeh.

10.17 Uhr:
Die erste Cellostunde über nur Technik geübt; mir macht das einen irren Spaß, meine Lehrerin ist immer ganz verwundert. „Mehr Technik, mehr Technik“, ich langweile mich in der Tat nicht eine Sekunde dabei, ärgere mich nur drüber, daß es nicht so flutscht, wie ich gern hätte. Manchmal laufen die Finger nach ihrem eigenen Kopf, der ja keiner ist, und also gibt’s ein Gehuddel, bei dem ich selbst nicht mehr richtig weiß, ist das jetzt der mittlere oder der Ringfinger. Anderes wiederum funktioniert, ohne daß ich das überhaupt willentlich steuere; das ist absolut erstaunlich, wie man Körperteile konditionieren kann. Es braucht einfach nur Zeit, das ist alles. Allerdings hatte ich gestern ein bißchen Schmerzen im linken Arm: Sehnen. Also aufpassen. Auf Pausen achten (ich hab ja die Tendenz, Erholungszeiten zu ignorieren, weil sie mir wie leere Zeiten vorkommen).

In der frühen Stunde eine Mail von Frau Büning; sie lenkt auf ausgesprochen freundliche Weise ein. Also d o c h kein Ende mit der Sonntagszeitung; ich möche bitte Vorschläge machen. Da war ich baff, auch ein bißchen beschämt.
Immer noch nix für die Kanzone, das zündet. Ich kann mir den Klang noch nicht vorstellen. Außerdem find ich für „reine“ Jamben kaum je gute Wortfolgen.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 23. Juni 2008.

  1. So g a n z stimmt das nicht mit libri und amazon und so. Genaugenommen listet (= bestellt) jeder Grossist eine gewisse Menge der Neuerscheinungen, gleich nachdem sie ihm (und zwar direkt, nicht über das VlB) gemeldet werden. (Je nach Autor und Gattung mehr oder weniger Exemplare.) Und wenn nach einem Jahr immer noch viele davon rumliegen, gehen diese eben an den Verlag zurück und der Titel wird “ausgelistet”. (Anders arbeiten direkt bestellende und dann remittierende Buchhandlungen ja auch nicht.) amazon dagegen listet erst einmal alles, was dem VlB gemeldet wird, hat sogar jede Menge alter Titel, dem Anspruch nach alles seit der Einführung der ISBN. (Und was nicht dem VlB gemeldet wird – AEOLIA zum Beispiel, wenn ich nicht irre – kann ein Verlag immer noch direkt bei amazon melden.) Soweit das Listing.
    Seit längerem jedoch ordert amazon Bücher kaum noch bei den Verlagen direkt, sondern vorwiegend über die Großhändler. Dies bedeutet: Was beim Großhändler (nicht nur Libri, auch KNV, Umbreit, Könemann und was es sonst noch so gibt) nicht gelistet ist, erscheint zwar bei amazon, allerdings mit dem viele Leser in die Irre führenden Vermerk: “Führen wir nicht oder nicht mehr”. Daß nun manche daraus schließen (und früher regelmäßig schlossen), das Buch sei überhaupt nicht lieferbar, sollte sich hoffentlich mittlerweile ein wenig geändert haben.
    Als Verlag bleibt einem angesichts der Marktmacht von amazon nun nichts anderes übrig, als derart gekennzeichnete Titel selbst als Verkäufer zu melden, möchte man einem potentiellen Käufer eine kleine Hilfe geben. Zwar gilt eine solche Verkaufs-Meldung nur für einige Wochen, dann muß man sie erneuern, aber solange die entsprechende Titelzahl sich noch im zweistelligen Bereich bewegt, ist dies alles eine Sache von wenigen Minuten.
    (So könnte beispielsweise auch Jesse die AEOLIA über amazon anbieten, wenngleich es ein wenig mehr Mühe macht, liegt keine ISBN vor.)

    1. @gp. Ich danke Ihnen für diesen Hinweis, bzw. die Richtigstellung. >>>> Dielmann macht das unterdessen auch so. Bei Jesse liegt die Sache anders, da er auch keine ISBN haben wollte. Das ist insofern nicht weiter schlimm, als die Auflage dieses Bandes, der ja auch ein Kunstbuch ist, sich auf 333 limitiert. Das kann man sehr gut und wahrscheinlich besser außerhalb aller Grossisten handeln; die Frage für mich ist in diesem Fall nur, ob die Deutsche Bibliothek das Buch dann als erschienen wertet. Aber letztlich ist auch das nur ein formaler, also bürokratischer Akt, weil ich die Publikation ja u.a. hier annonciere. Spätestens, wenn dann jemand darüber schreibt, hätte es einen ungemein ein Witz, wenn zugleich gesagt würde: das gibt es gar nicht und hat es nie gegeben. Ich muß zugestehen, daß ein solcher Umstand mir einiges Lachen verursachen würde.

  2. Amazon Praxis zweifelhaft Die Praxis von Amazon grundsätzlich alle im VLB gelisteten Titel zu übernehmen halte ich für mehr als bedenklich, vorallem wenn Titel gelistet werden, die man zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt ins eigene Programm zu nehmen. Das ist einerseits Irreführung der Verbraucher weil vorgegaukelt wird, der Titel sei nicht lieferbar – andererseits grenzt es an Nötigung gegenüber den Verlagen unter Ausnutzung der Marktmacht eine Zusammenarbeit mit Amazon zu erzwingen.

    1. Na ja, immerhin stellt amazon damit (genau wie alle anderen großen Online-Buchhändler) j e d e m ein Informationsinstrument zur Verfügung, während Buchhändler für einen VlB-Zugriff reichlich zahlen müssen.
      Da ist mir amazons “Führen wir nicht oder nicht mehr” immer noch lieber als die s e h r oft geübte Praxis von Buchhandlungen, bei Kundenfragen lediglich im Barsortimentskatalog von Libri zu schauen. Ist ein Titel dort nicht gelistet, wird aus Gründen der Bequemlichkeit oder der Kosten nicht im VlB nachgesehen, sondern der Kunde gleich mit dem Hinweis “das Buch gibt es gar nicht” heimgeschickt.
      Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Auch ich bevorzuge kleinere Buchhandlungen und betrachte mehr als skeptisch die Marktmacht von amazon wie besonders von Libri.

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