Marc Buhl. 375. Anfang der Rezension (Entwurf).

[Geschrieben für den WDR.]

Es geschieht nicht mehr oft, daß mir bei der Lektüre eines neuen Romanes die Tränen kommen. Ich bin 53 Jahre alt und habe einiges erlebt, gesehen und gelesen. Hier kamen sie, in den letzten Achteln des Buches, nachdem ich bereits zuvor sehr aufmerksam wurde. Vielleicht, dachte ich, haben die Ostdeutschen ja wirklich die besseren Geschichten, denn Geschichten braucht es, wenn jemand nach wie vor mit Recht realistisch – also herkömmlich – erzählen will. So gehen die Geschichten der Ostdeutschen als Geschichten in den Schatz der deutschen Literatur ein, Erfahrungsgeschichten von wie hier ergreifender Natur: als Unterhaltungsliteratur, selbstverständlich, von der gilt, was >>>> Wolfgang Weyrauch vor Jahrzehnten gesagt hat: wenn sie nicht zum Besten zähle, gehöre sie zum Schlechtesten. Dieses Buch gehört zum Besten. Dafür stehen, neben der unaufdringlichen, aber zwingenden Konstruktion der Geschichte, die etwa den ostdeutschen Cremer mit dem Fluch einer ins Banat verschlagenen und zurückgekehrten Schwarzwälder Familie und dadurch mit einem Abschnitt der Lebensgeschichte Erich Mielkes verklammert, der später im Buch auch leibhaftig auftritt – dafür stehen einige Sätze. Diese zum Beispiel:

Aber seltsam: Wenn ich jetzt zurückdenke, dann lag das Glück ganz woanders: In dem Strauß aus Löwenzahn, Schnittlauch und Gänseblümchen etwa, den meine Tochter in einem Frühjahr gepflückt und im Zahnputzbecher auf meinen Arbeitstisch gestellt hat (…). Oder in den verschlafenen Blicken meiner Frau, wenn ich nach durchwachter Nacht hinter dem Okular mit frischen Corissants nach Hause kam und ihr den Kaffee ans Bett brachte. Damals war mir das ganz unwichtig erschienen, aber jetzt sieht es so aus, als ob gerade darin das Glück meines Lebens gelegen hat. Vielleicht ist das mit dem Glück dem Doppler-Effekt unterworfen, und die Frequenz ändert sich, je nachdem, ob sich das Glück auf einen zubewegt oder von einem weg.


3 thoughts on “Marc Buhl. 375. Anfang der Rezension (Entwurf).

    1. @ M.P. Termin. Das hier schreibt mir gerade der Redakteur von “Gutenbergs Welt”: (…) der Beitrag steht noch zbV in der Planung, er wird im August gesendet. Genaueres kann ich im Moment nicht sagen. Tja.

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